«Megafon»: Mit Druckmaschine und Twitterstunts

Nr. 28 –

Die Zeitung der Berner Reitschule sorgt mit ihrer Medienkritik für Aufsehen. Nun will der Milliardenkonzern TX-Group das «Megafon» verklagen. Was treibt die MacherInnen an?

Journalistisches Handwerk und scharfsinnige Analyse zwischen Pappschachteln: In der «Megafon»-Redaktion.

Am Ende schlug sich selbst der Berner Stadtpräsident auf ihre Seite. «1 : 0 in glasklarer Analyse fürs ‹Megafon› gegen Rutishauser», twitterte Alec von Graffenried. Die Zeitung aus der Reitschule hatte die Journalistin Michèle Binswanger für ihre Aussage vorgeführt, dass der Vorwurf, politisch rechts zu stehen, ein gesellschaftliches Todesurteil bedeuten könne. In einem satirischen Meme überspitzte das «Megafon» Binswangers Wortwahl. Auf Twitter veröffentlichte es ein dreiteiliges Meme, wovon ein Teil eine Hinrichtungsszene aus der Französischen Revolution mit ihrem Kopf zeigt. Als die Satire nicht als solche verstanden wurde, entschuldigte sich die Zeitung. Der eigentliche Skandal begann, als Tamedia-Chefredaktor Arthur Rutishauser in einem Kommentar eine Strafanzeige ankündigte und einen Vergleich mit der Volksverhetzung durch die Nazis zog. In seiner scharfsinnigen Analyse meinte das «Megafon»: «Wir vertrauen darauf, dass die Satirefreiheit in der Schweiz auch für misslungene Werke gilt.»

Eine Woche nach dem Aufruhr sitzen drei RedaktorInnen des «Megafons» im Innenhof der Berner Reitschule. Basil Schöni, Felix Graf und Jérémie Reusser sind in ihren Zwanzigern. Sie arbeiten als Informatiker, als Quartierarbeiter oder studieren Biochemie. Wie alle achtzehn Kollektivmitglieder engagieren sie sich ehrenamtlich beim «Megafon». Schnell wird klar: Trotz Freiwilligenarbeit sind die drei Medienprofis. Das hat viel mit der Reitschule zu tun, genauer mit dem Umgang der Medien mit dem linksalternativen Kulturzentrum.

Bloss keine Verlautbarung

Gegründet wurde das «Megafon» 1987, wenige Tage nach der Räumung des Hüttendorfs Zaffaraya. Als Sprachrohr der Jugendbewegung erschien die Zeitung erst wöchentlich, später monatlich. Auch dank hauseigener Druckerei überlebte sie bis heute. Intern wurde das «Megafon» wegen seiner Themenhefte auch schon als «NZZ Folio der Reitschule» bezeichnet, dann startete ab 2014 eine jüngere Generation. In einer halbjährigen Pause überlegte man sich neue Strategien, bevor man sich an einen Relaunch wagte. «Von Beginn weg war uns die Medienkritik wichtig», erinnert sich Graf. Auf der ersten neuen Ausgabe stand der programmatische Titel «Medien vs. Reitschule».

«Die Reitschule ist praktisch alle drei Monate ein Aufreger», sagt Schöni. «Die Berichterstattung ist janusköpfig: Über kulturelle Anlässe dort wird wohlwollend geschrieben, die politischen Auseinandersetzungen hingegen kommen wie der Auftritt des Leibhaftigen daher», meint Graf. «Auch wenn sich Konzerne wie Tamedia vordergründig ständig empören: Mit ihrer Klickkultur sind sie gierig nach Polemik und Gewalt», ergänzt Reusser. «Umso wichtiger ist uns selbst das journalistische Handwerk.» Das mussten sie zuerst auch der eigenen Szene klar machen. «Wir lassen beim Gegenlesen nicht zu, dass man uns halbe Artikel umschreibt», sagt Schöni. In Workshops mache man politische Gruppen darauf aufmerksam, dass es bei der Medienarbeit nicht nur um die Deklinierung von Positionen gehe, sondern auch um ihre kritische Hinterfragung. «Medien sind deshalb eines der besten Mittel zur Einschränkung von Autoritäten», meint Reusser.

Dass sich das «Megafon» nicht als Verlautbarungsorgan versteht, zeigt sich schon im Untertitel. Es nennt sich nicht Zeitung der Reitschule, sondern Zeitung aus der Reitschule. Im Kulturzentrum sind mehrere Kollektive tätig. Sie sind voneinander unabhängig, unterstützen sich aber wirtschaftlich: So wird das Kulturprogramm im «Megafon» abgedruckt, die Zeitung wiederum ist ein wichtiger Auftrag für die hauseigene Druckerei.

Der Steinkauz als Wappentier

Auf dem zunehmend monopolisierten Berner Medienmarkt ist das «Megafon» zu einer wichtigen Stimme geworden. Die kontinuierliche Arbeit brachte der Redaktion Vertrauen und Know-how ein. So kann sie immer wieder brisantes Material veröffentlichen, etwa zur Polizeigewalt. Und sie führt gerne Irrtümer der anderen Medien vor. Beispielsweise enttarnte sie ein angebliches Opfer von Coronamassnahmen als QAnon-Anhängerin. Die Autorin des fehlerhaften Artikels: Michèle Binswanger. Die Androhung der Strafanzeige kann man auch als Reaktion der Tamedia auf die Aufdeckung dieser Pfuscherei verstehen.

Inmitten all der ernsthaften Aufklärung: Warum flattern eigentlich ständig Steinkäuze durch den Twitter-Account des «Megafons»? «Auch das hat mit einer Medienkritik zu tun», erklärt Schöni. Man habe sich einmal in einem Tweet über einen Bericht des Newsportals «Nau» lustig gemacht, in dem fünfmal zu lesen stand, dass im Zoo Basel junge Steinkäuze geschlüpft sind. Seither erhält das «Megafon» regelmässig Fotos von VogelfreundInnen, die es gerne teilt.

Vor dem Treffen haben die drei nochmals den Briefkasten geleert. Bis jetzt ist keine Strafanzeige der Tamedia eingetroffen. Dafür sei die Abozahl um fünfzig Exemplare auf 800 gestiegen. «Wir hoffen, dass dank unserer Twitter-Aktivität auch die Zeitung mehr Beachtung findet», sagt Graf. Aktuell beschäftigt man sich darin mit Polizeieinsätzen und der fehlenden parlamentarischen Kontrolle in der Stadt Bern. «Das Gute am ‹Megafon› ist, dass sich die Form immer wieder wandelt. Wir sind selbst gespannt, was die Zukunft bringt. Nichts ist in Stein gemeisselt», sagt Reusser. Da passt der Steinkauz als Wappentier ganz gut.