Strommonopol: Strom von nah oder von Bern

Nr. 8 –

Der Thuner Gemeinderat will sein Elektrizitätswerk an die BKW verkaufen. Das gibt Ärger.

Letzte Woche kündigte der Thuner Gemeinderat - die städtische Exekutive - an, er wolle 49 Prozent der stadteigenen Energie Thun AG an die Bernische Kraftwerke AG (BKW) verkaufen. Der Kaufpreis beträgt 75 Millionen Franken. Den Rest des Unternehmens kann die Stadt Thun bis Ende 2015 zum Preis von 9100 Franken pro Aktie im Nennwert von 1000 Franken an die BKW übertragen. Die Energie Thun AG versorgt auf dem Stadtgebiet rund 42 000 EinwohnerInnen mit Strom, Erdgas und Wasser, macht damit einen jährlichen Umsatz von sechzig Millionen Franken und beschäftigt rund 120 Personen. Mit dem Verkauf setzt die Stadtregierung einen Vorstoss der SVP vom Dezember 2005 um.

Der Verwaltungsrat wusste nichts

Viele ThunerInnen reiben sich ob des Vorhabens die Augen. SP und Gewerkschaften haben bereits angekün-digt, dass sie sich dem Verkauf widersetzen werden. Im April kommt die Vorlage vor den Stadtrat; da sie dem fakultativen Referendum untersteht, ist eine Volksabstimmung wahrscheinlich. Schon im Gemeinderat ist die Vorlage umstritten: Peter Siegenthaler (SP) dis-tanziert sich vom Verkaufsentscheid (vgl. Interview weiter unten).

Die Gemeinderätin Ursula Haller (SVP), die das Geschäft betreut, verteidigt den Entscheid: «Es ging uns darum, der Perle Energie Thun im Hinblick auf die Liberalisierung im Strommarkt eine gute Chance und zusätzliches Know-how zu geben.» Dabei hätten nicht nur finanzpolitische Überlegungen wie Schuldensanierung - die Stadt hat 200 Millionen Franken Schulden - im Vordergrund gestanden. Haller zählt die für Thun günstigen Eckdaten aus dem Vertrag - der unter Verschluss gehalten wird - auf: Die Energie Thun AG behält die operative Führung; der Geschäftssitz bleibt in Thun. Die BKW will die heutige Anzahl Arbeitsplätze erhalten und das regionale Gewerbe berücksichtigen. Die Versorgungspreise werden infolge der Transaktion nicht erhöht.

Die entscheidenden Verhandlungen liefen unter grosser Geheimhaltung ab. «Damit wollten und mussten wir verhindern, dass es im Umfeld der börsenkotierten BKW zu Insidergeschäften kommen kann», erklärt Haller.

Selbst der Verwaltungsrat der Ener-gie Thun AG war über die Verhandlungen nicht informiert. Sein Präsident, Fritz Grossniklaus, sagt: «Wir haben verschiedene potenzielle Interessenten durch das Werk geführt und ihnen alle notwendigen Unterlagen vorgelegt.» Vom Kaufentscheid wurde er allerdings überrascht, gibt er zu: «Die Eigentümer können ihre Aktien natürlich ohne Information des Verwaltungsrates verkaufen.» Dies sei aber ein eher unübliches Vorgehen. Den Vertragsentwurf kennt Grossniklaus nicht - er wolle ihn im Moment auch nicht kennen, da er in den Ferien weile.

Die SP-Stadträtin Eveline Fahrni-Gränicher will den Vertrag bekämpfen. Für sie ist eine eigenständige Ener-gie Thun AG Garantin für günstige Strompreise und für Kundennähe. «Für mich geht es nicht darum, ob die BKW nun zu viel oder zu wenig bezahlt hat, sondern um die Gemeindeautonomie.» Thun habe ein gutgehendes Werk, das der Stadt jährlich Leistungen im Wert von fünf Millionen Franken liefere. Der Strompreis sei in Thun deutlich güns-tiger als im benachbarten BKW-Versorgungsgebiet. «Ich bin sicher, dass die Strompreise nun steigen werden. Das geht auf Kosten der Familien», fürchtet Fahrni.

Zweifelnde Fachleute

In den nächsten Wochen wird Thun die Grundsatzfrage um den Service public beschäftigen - aber auch Vertragsdetails wie der Preis. Ursula Haller will ihn nicht kommentieren und verweist auf die SpezialistInnen der Beratungsfirma The Corporate Finance Group (TCFG). Diese Gruppe ist weltweit beim Kauf und Verkauf von Unternehmen tätig und hat den Verkauf der Energie Thun AG begleitet. Die TCFG ist eine Vertrauensfirma der BKW und hat laut eigener Website zuletzt den Verkauf der oberaargauischen Elektrizitätsgesellschaft Onyx an die BKW betreut. Fritz Grossniklaus, VR-Präsident der Energie Thun AG, bezeichnet den Verkaufspreis als gut, wenn nicht gar zu hoch, und auch die SP Thun bezeichnet den Preis in ihrem Communiqué als hoch. Unabhängige Fachleute hegen hingegen Zweifel: Der Wert der Stromverteilungsanlagen in einem Siedlungsgebiet beträgt etwa 2000 bis 4000 Franken pro Person, im Einzugsgebiet der Energie Thun AG mit 40 000 Personen hätten diese Installationen allein schon einen Wert von 80 bis 160 Millionen Franken. Hinzu kommen die Thuner Stromproduktionsanlage - unter anderem ein Flusskraftwerk und etliche Solarstromanlagen - sowie die Infrastruktur für Gas und Wasser, womit der Wert der Energie Thun AG insgesamt mehr als 200 Millionen Franken betragen würde.

Ursula Haller weist zudem auf eine sogenannte Put-Option hin: Sie ermöglicht es der Stadt Thun, bis 2015 den Rest ihrer Aktien zu einem festen Preis an die BKW zu verkaufen. Dazu wäre jedoch ein Volksentscheid obligatorisch. Die Option sei angesichts eines möglichen Wertezerfalls im liberalisierten Strommarkt eine gute Sache, sagt Haller.

Man kann es auch anders sehen. Gemäss Vertrag gehen wichtige Teile des operativen Geschäftes an die BKW über - darunter die Netzführung und die Fernsteuerung der Kraftwerke sowie das Energiedatenmanagement. Ausserdem hat sich die Energie Thun AG in allen Fragen der Energieversorgung mit der BKW abzusprechen. Damit sichert sich diese grossen Einfluss auf das Unternehmen und braucht die restlichen 51 Prozent der Aktien gar nicht. Übernimmt die BKW dereinst trotzdem das gesamte Aktienpaket, kann sie mit einer einmaligen Zahlung die vertraglich zugesicherten Gratisleistungen an die Stadt Thun im Umfang von zwei Millionen Franken auslösen - die Stadt Thun würde zu einer ganz normalen BKW-Kundin.

Für Aufsehen dürfte weiter das Honorar der TCFG für ihre Dienstleis-tungen sorgen: Sie soll zwei Prozent der Verkaufssumme erhalten, im konkreten Fall rund 1,5 Millionen Franken. Bei einem Stundenansatz von 600 Franken ergäbe das mehr als 2000 Arbeitsstunden.

Die BKW - zurzeit noch mit knapp 53 Prozent der Aktien im Besitz des Kantons Bern - arrondiert mit dem Kauf ihr Einflussgebiet. Geht er in Thun über die Bühne, ist als Nächstes wohl das Elektrizitätswerk der Stadt Bern (EWB) dran, das Bürgerliche, aber auch Grüne privatisieren wollen, um damit Schulden zu bezahlen. Nächste Woche soll der Berner Gemeinderat die Weichen fürs weitere Vorgehen stellen. Als Erstes geht es um die Frage, ob das EWB eine eigenständige AG werden soll. Genau so hat es in Thun im Jahr 2001 auch begonnen.

Das Strommonopoly

In den letzten fünfzehn Jahren sind die einst staatlichen Energie-unternehmen ins Visier der Privat-i-sierer-Innen geraten. Während in Deutschland der Strommarkt schon weitgehend privatisiert ist, gelingt das in der Schweiz nicht so recht. Vor allem an den Urnen werden Privatisierungsabsichten der Stromlobby immer wieder zurückgestutzt:

- Stadt Zürich: Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) hätte im Jahr 2000 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden sollen. Die StimmbürgerInnen verwarfen die Vorlage und stoppten damit weitere Privatisierungsschritte. Heute glänzt das EWZ durch tiefe Strompreise und innovative Angebote.

- Kanton Zürich: 2001 scheiterte auch die Umwandlung des Elektrizitätswerks des Kantons Zürich (EKZ) in einer Volksabstimmung. Ausschlaggebend waren die deutlichen Nein-Mehrheiten der Städte Zürich und Winterthur.

- Stadt Bern: Das städtische Energieunternehmen EWB ist eine eigenständige Anstalt der Stadt. Wegen der schwierigen Finanzlage wird - auch von einigen Grünen - über die Veräusserung von Teilen des EWB nachgedacht.

- Kanton Bern: Die BKW (Bernische Kraftwerke AG) war bis in die neunziger Jahre im Besitz des Kantons. Dann reduzierte er seine Anteile laufend und hält heute noch 52,9 Prozent der Aktien. 20 Prozent hält das deutsche Stromunternehmen E.on, der Rest der Aktien ist im Publikum platziert. Bürgerliche Kreise möchten zwecks Schuldenabbaus weitere Anteile der BKW veräussern, für die rot-grüne Mehrheit im Regierungsrat ist das derzeit allerdings kein Thema.

- Biel: Der Versuch, das Energiewerk Energie Service Biel in eine Aktiengesellschaft zu überführen, scheiterte bereits in einem frühen Stadium. Linke und Gewerkschaften konnten die Stadtverwaltung im Jahr 2001 mit zwei Initiativen zum Rückzug der Vorlage bewegen.

- Langenthal: Die Elektrizitätswerke im Oberaargau - unter anderem im Besitz der Städte Langenthal und Herzogenbuchsee - wechselten 2006 die Hand. Die BKW bezahlte dafür rund 300 Millionen Franken. Allein die Stadt Langenthal erhielt für ihre Anteile 104 Millionen Franken.

- Basel: Die Industriellen Werke Basel (IWB) sind in staatlicher Hand. Bislang gibt es keine ernsthaften Bemühungen, daran etwas zu ändern.

- Freiburg: Der lokale Monopolist wurde 2001 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. 2006 schlossen sich die Freiburger Elektrizitätswerke AG (FEW) mit der Electricité Neuchâteloise AG (ENSA) zusammen.