Energiepolitik: «Aller Strom muss da durch»

Nr. 8 –

Viele Gemeinden besitzen ihre Elektrizitätswerke selbst. Soll das so bleiben? Über diese grosse Service-public-Frage stimmen am 4. März mit Kölliken und Windisch zwei Aargauer Gemeinden ab. Ein Besuch in Kölliken.

Soll das kommunale Stromnetz unter das Dach der Aarauer Eniwa AG? Darüber stimmt Kölliken am 4. März ab. Im Bild das Eniwa-Wasserkraftwerk in Aarau.

Bekannt geworden sind sie beide nicht für Schönes: Kölliken und Gretzenbach. Die Aargauer Gemeinde Kölliken beherbergte seit 1978 eine Sondermülldeponie, die das Grundwasser gefährdete – inzwischen ist der Abfall weg, die Grube aufgefüllt. Gretzenbach im Kanton Solothurn kam wegen eines tragischen Unfalls in die Schlagzeilen: 2004 brannten Autos in einer Einstellhalle, während des Löschens stürzte das Dach ein. Sieben Feuerwehrmänner starben.

Nur ein Wald und die Kantonsgrenze trennen die beiden Agglomerationsdörfer in der Nähe des AKW Gösgen. Heute Abend ist Hansjörg Merz, Präsident der Elektra Gretzenbach, in Kölliken zu Gast. Die Gemeinde Gretzenbach besitzt ihr Stromnetz seit mehr als zehn Jahren selbst – und hat das bisher nicht bereut. Die Kölliker Stimmberechtigten müssen nun am 4. März entscheiden, ob sie ihr Elektrizitätswerk, die EWK Energie AG, auch behalten wollen – oder ob sie es für zwölf Millionen Franken an die Eniwa AG, die ehemaligen Industriellen Betriebe Aarau, verkaufen. Die EWK produziert keinen eigenen Strom, es geht also um das Stromnetz.

Ein natürliches Monopol

Im Saal des gediegenen Kölliker «Bären» – weisse Tischtücher, gepolsterte Stühle, Tatarspezialitäten – haben sich knapp dreissig Menschen versammelt. Bis 2004 habe das Stromnetz von Gretzenbach, Schönenwerd und Niedergösgen der Elektrizitätsgesellschaft Schönenwerd (EGS) gehört und sei von ihr mit Strom versorgt worden, erzählt Merz, der damals Gretzenbacher SP-Gemeinderat war. «Ende 2004 liefen die Konzessionsverträge ab. Der damalige Gemeindepräsident wollte vom Gemeinderat die Kompetenz, das Stromnetz verkaufen zu können. Ich stellte ihm im Rat die Frage, warum. Er konnte keine befriedigende Antwort geben.» Merz wehrte sich gegen den vom Verwaltungsrat geplanten Verkauf der EGS an die Avag, ein Tochterunternehmen der Atel (heute Alpiq). Die GretzenbacherInnen stimmten ab und beschlossen, ihr Netz selbst zu kaufen. «Die Diskussion war kontrovers», erinnert sich Merz. «Verkaufswillige prognostizierten uns einen Verlust von 800 000 Franken jährlich.»

Merz präsidierte die Kommission, die den Rückkauf organisierte und Strukturen entwickelte, um das Netz zu betreiben. «Es war schwierig, weil weder EGS noch Atel uns die nötigen Unterlagen geben wollten. Wir kämpften ein Jahr, bis wir sie hatten.» Das eigene Netz sei gut für Gretzenbach – es bringe jährlich etwa 280 000 Franken in die Kasse der Gemeinde, neben einem operativen Gewinn von 100 000 Franken für die Elektra AG.

Auch Roland Fischer von der Fachhochschule Nordwestschweiz spricht im «Bären». Er zeigt, dass Gebühren für die Netznutzung volle 37 Prozent des Kölliker Strompreises ausmachen – Geld, das der Gemeinde zukommt. Sein Fazit: Die bestehenden Stromnetze seien robust. Und: «Die Komplexität für kleine Elektrizitätswerke muss nicht zwingend steigen.»

Das sei ein wichtiger Punkt für die KöllikerInnen, sagt Sebastian Wildi, Präsident der SP Kölliken, zur WOZ. «Befürworter des Verkaufs sagen, ein eigenes Netz zu unterhalten, sei eine zu komplizierte Aufgabe für eine kleine Gemeinde – besonders falls die Strommarktliberalisierung kommt.» Wildi hält das für Angstmacherei: «Manche Dinge sind überhaupt nicht kompliziert. Das lokale Stromnetz ist ein natürliches Monopol: Aller Strom muss da durch – auch nach einer allfälligen Liberalisierung.»

Das Netz rentiert

Im «Bären»-Saal in Kölliken befürworten nur wenige den Verkauf. Der geplante Aktienkaufvertrag stimmt die meisten skeptisch: Er verspricht, dass sich für die StromkonsumentInnen vorerst nichts ändert – Kölliken hat günstigere Strompreise als Aarau. Allerdings gilt das laut Vertrag nur, «bis der Strommarkt vollständig geöffnet wird oder bis sich der regulatorische Rahmen verändert» – «und es ist ja gerade das Argument der Befürworter, dass die Liberalisierung vor der Tür steht», sagt ein Mann im Saal. Dass die Aarauer Stadtregierung letzte Woche angekündigt hat, sie wolle fünfzehn Prozent der Eniwa-Aktien an institutionelle Anleger wie etwa Pensionskassen verkaufen, macht die Skepsis nicht kleiner.

Im Saal sitzt auch der Energieingenieur Heini Glauser aus Windisch. Auch seine Gemeinde stimmt am 4. März über Strom ab: Der Windischer Gemeinderat möchte ein Projekt finanzieren, das die Umwandlung des kommunalen Elektrizitäts- und Wasserwerks in eine Aktiengesellschaft vorbereiten soll. Die SP, der auch Glauser angehört, wehrt sich: Sie befürchtet als nächsten Schritt einen Verkauf, wie er in Kölliken zur Diskussion steht – und damit den Verlust der demokratischen Mitsprache.

Glauser beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Strom. Er betont, dass ein Verkauf des Kölliker Netzes nicht nur aus Sicht des Service public, sondern auch ökonomisch absurd wäre: «Wer ein Stromnetz besitzt, hat eine garantierte Rendite, zurzeit fast vier Prozent Zins allein auf dem Wert des Netzes, und alle Investitionen können über die Netztarife den Kunden verrechnet werden.»

Das Fazit des Kölliker SP-Ortspräsidenten Sebastian Wildi: «Wenn wir das Elektrizitätswerk verkaufen würden und mit den zwölf Millionen etwas Gescheites tun wollten, müssten wir am besten ein Elektrizitätswerk kaufen.»

Strommarkt : «Niemals, niemals die Netze verkaufen!»

Die Debatte zur Strommarktliberalisierung ist im Moment eingeschlafen. Bundesrätin Doris Leuthard hat in mehreren Anläufen versucht, sie voranzutreiben, war aber bislang erfolglos. Dass es zurzeit still ist, dürfte auch damit zu tun haben, dass Leuthard wohl bald zurücktritt. Doch ihre Nachfolgerin oder ihr Nachfolger wird sich damit beschäftigen müssen, weil auch die EU Druck macht: Sie möchte ein Stromabkommen mit der Schweiz, das eine vollständige Marktöffnung beinhaltet.

Seit 2009 ist der Schweizer Strommarkt teilliberalisiert. Unternehmen, die grosse Mengen Strom beziehen, dürfen sich auf dem freien Markt eindecken. Kleine Unternehmen und private Haushalte sind hingegen weiterhin an ihre lokalen Elektrizitätswerke (EWs) gebunden.

Heute gibt es noch etwa 650 EWs, vor 2009 waren es etwa 80 mehr. Zum Teil haben sich kleinere EWs zu Genossenschaften zusammengeschlossen, andere begaben sich unters Dach eines grösseren – wie das jetzt in Kölliken passieren soll (vgl. Hauptext oben).

Die allermeisten EWs sind aber immer noch vollständig im Besitz der öffentlichen Hand. Wertvoll sind vor allem ihre lokalen Verteilnetze; die überregionalen Hochspannungsnetze sind bereits in eine unabhängige Netzgesellschaft, die Swissgrid, ausgelagert.

Seit den neunziger Jahren gab es immer wieder Versuche, die EWs zu privatisieren. Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) etwa sollte im Jahr 2000 vollständig privatisiert werden, die Bevölkerung lehnte die Vorlage jedoch an der Urne ab. 2015 versuchte der Stadtrat, das EWZ in eine öffentlich-rechtliche Gesellschaft zu überführen. Er argumentierte, unter der Fuchtel der Politik habe das Unternehmen gegen die grossen Konkurrenten keine Chance. Das Vorhaben scheiterte aber bereits im Parlament.

«Die Gemeindeverantwortlichen sollten sich nicht ins Bockshorn jagen lassen durch die Unkenrufe, dass kleine EWs nicht effizient seien», sagt Dore Heim, die beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund für den Strommarkt zuständig ist. «Ein kleines EW, das gute Fachkräfte beschäftigt und dem seine Gemeinde einen vernünftigen finanziellen Spielraum für unterjährige Investitionen und Kooperationen mit Dritten gewährt, hat intakte Chancen, im Strommarkt von morgen bestehen zu können.» Wenn die Energiewende erfolgreich sein solle, brauche es Fachleute vor Ort, die die Verhältnisse kennten, die Kundschaft beraten könnten und eine stabile Versorgung garantierten. «Niemals, niemals sollte eine Gemeinde die Kontrolle über das Netz aus der Hand geben», warnt Heim.

Susan Boos