Sozialhilfe: Reiche entlasten, Arme jagen

Nr. 5 –

Sie schafft Not. Noch schlimmer: Sie tut es ohne jede Not. Als gäbe es nichts Wichtigeres in diesem reichen Land, in einer für viele schwierigen Zeit. Am Mittwoch, 26. Januar, schlug Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP) dem Bundesrat vor, die Sozialhilfe für alle Menschen aus Drittstaaten zu kürzen, wenn sie diese in den ersten drei Jahren nach Erteilung ihrer Aufenthaltsbewilligung beziehen.

Damit verschärft sich die Armenjagd weiter, die sich in der Tiefe des Schweizer Sozialstaats abspielt. Im Visier: Menschen ohne Schweizer Pass, die auf Fürsorge angewiesen sind. Das Mittel: die Verknüpfung von Migrations- und Sozialhilferecht. So kann bei Sozialhilfebezug die Aufenthaltsbewilligung entzogen werden. Zuvorderst an der Hatz beteiligt: die Freisinnig-Demokratische Partei. Der neuste Vorschlag wurde noch vom früheren FDP-Präsidenten Philipp Müller in die Wege geleitet (siehe «wobei» Nr. 6/21).

Gemäss Bundesrat soll so der Anstieg der Sozialhilfekosten von Kantonen und Gemeinden «wenn möglich etwas gebremst werden». Wer im Detail nachschaut, was dieses «etwas» bedeutet, kommt aus dem Staunen über den bürokratischen Schimmel, der da wiehert, nicht mehr heraus: Gerade einmal vier bis fünf Prozent der Drittstaatsangehörigen haben in den ersten drei Jahren nach ihrer Einreise in die Schweiz überhaupt Sozialhilfe bezogen, heisst es in der Vorlage, die nun in die Vernehmlassung geschickt wurde. Laut einer Studie des Statistikbüros Bass sind das im Schnitt lediglich 1500 Personen pro Jahr. Zu den möglichen Spareffekten will das Justizdepartement keine Angaben machen.

Kein Wunder, denn das Resultat ist beschämend. Bereits heute erhalten vorläufig Aufgenommene und Asylsuchende eine tiefere Sozialhilfe. Um das Beispiel von Winterthur zu nehmen: Hier ist der Ansatz der gekürzten Sozialhilfe beim Grundbedarf für eine Einzelperson 300 Franken tiefer als bei der regulären. Wenn nun zusätzlich 1500 Drittstaatler:innen die gekürzte Sozialhilfe erhalten, könnten mit diesem Ansatz schweizweit wohl gerade einmal etwas mehr als fünf Millionen Franken jährlich eingespart werden.

Für die einzelnen Betroffenen geht es hingegen um viel. Gemäss Caritas deckt der Grundbedarf schon heute das Existenzminimum kaum. Wird er noch gekürzt, werden sie die Armut kaum je hinter sich lassen können. Für den Staat ist der Betrag ein Klacks. Man muss das im Verhältnis sehen: Die FDP setzt sich gerade dafür ein, dass Grosskonzerne mit der Abschaffung der Stempelsteuer jährlich mit 250 Millionen Franken weniger besteuert werden. Den Ärmsten der Armen will die FDP-Bundesrätin gleichzeitig aus Spargründen 5 Millionen Franken wegnehmen. Der einst grosse Schweizer Freisinn – er ist moralisch korrumpiert. Und im Bundesrat definitiv übervertreten.

Keller-Sutter liess zwanzig «Handlungsoptionen» prüfen, um den Armen das Leben zu erschweren. Die meisten erwiesen sich als in der Realität untauglich. Vor allem aber, das ist das Positive, hat der Widerstand zugenommen: im Bundeshaus, wo selbst Bürgerliche Verschärfungen zurücknehmen wollen, wie die Reaktionen auf den Vorstoss «Armut ist kein Verbrechen» von SP-Nationalrätin Samira Marti zeigen; bei Kantonen und Gemeinden, die sich nicht länger vom Bund restriktive Vorschriften machen lassen wollen. Die Einführung einer wirtschaftlichen Basishilfe in der Stadt Zürich steht als Protest dafür. Der Widerstand zeigt sich auch bei Anwälten und Sozialarbeiterinnen, die täglich mit den Folgen der unseligen Verknüpfung von Migrations- und Sozialhilferecht konfrontiert sind.

Wie dringend eine Umkehr bei der Fürsorge ist, zeigt auch die schikanöse Behandlung von Sozialhilfebezüger:innen in Dübendorf, zu der letzte Woche der Untersuchungsbericht erschienen ist. Er macht deutlich, dass es keine Gängelung von Armutsbetroffenen durch den Bund braucht. Nötig sind stattdessen eine Politik, die ihre Rechte stärkt, sowie eine ausreichende soziale Unterstützung für alle, die hier leben.