Schaffhausen: Eine Partei löst sich auf

Nr. 12 –

In Zürich verliert sie an Macht, in Schaffhausen gibt es sie gar nicht mehr: Ist die Alternative Liste in einer Krise? Wie geht es mit der Partei weiter?

Viele erfolgreiche Kampagnen – und trotzdem ist jetzt Schluss: Die Alternative Liste Schaffhausen auf ihrem Abschiedsspazierung Anfang März. Foto: Peter Pfister

An einem Mittwochmorgen Anfang März verrät nichts, dass die Alternative Liste (AL) Schaffhausen Ungewöhnliches verkünden wird. Sie lädt zu einem «kleinen Spaziergang» in einen städtischen Park; gutes Schuhwerk sei empfohlen, man wolle über die Ergebnisse der Strategieretraite informieren – mehr ist vorab nicht zu erfahren.

Und dann stehen da ein Dutzend Aktivistinnen und Parlamentarier neben einem Spielplatz, mit Plakaten einstiger Abstimmungskämpfe, und verkünden: Die Alternative Liste, aufmüpfigste linke Kraft der Region seit beinahe zwei Jahrzehnten, löst sich auf. Der Name AL wird mit einem letzten Schalk beerdigt: Eine gefälschte Todesanzeige im AL-Mitgliedermagazin, die von der «SP-Trauergemeinde» gezeichnet ist, klagt in den Worten Billie Eilishs: «Bury a friend».

Das ist kein Entscheid aus der Krise heraus: Bei den letzten Kantonsratswahlen konnte die Partei ihre Sitze verteidigen, in der Stadt kommt sie auf knapp zehn Prozent der Wähler:innenstimmen. Man muss sich die Schaffhauser AL ein bisschen wie Peter Pan vorstellen: Während sich ihre Exponent:innen in der Parlamentspolitik etabliert haben, will die Partei selber nicht erwachsen werden. Ihre Handschrift war stets die aktivistische Intervention auf der Strasse. Im Jahr 2014 etwa, im Jahr der Masseneinwanderungsinitiative, stellten die Aktivist:innen kurzerhand einen Schlagbaum in die Schaffhauser Altstadt und spielten Grenzwache.

Und doch gelang der AL Schaffhausen von Beginn weg auch der Sprung in die Parlamente; zeitweise war sie die viertstärkste Partei des Kantons. Sie zeichnete hauptverantwortlich für zahlreiche Abstimmungsniederlagen der Kantonsregierung, versenkte geplante Sparpakete, verhinderte zweimal eine Kürzung der Prämienverbilligung. Gleichzeitig steigerte sie mit ihren radikalen Ideen in fast jeder Legislatur ihren Wähler:innenanteil. Es war also eine Erfolgsstory – auch zuungunsten der SP und der Grünen, denen sie ab ihrer Gründung 2003 Beine machte und mit denen sie um Sitze konkurrierte. Nun will sie für die im Kanton erstarkende Juso und die Jungen Grünen Platz machen. AL-Kopräsidentin Angela Penkov sagt: «Als Vertreterin des Unangepassten soll die AL jüngeren Kräften nicht im Weg stehen, Kräften, die hoffentlich so zornig sind, wie wir es waren.»

Ihre eigene Kraft in den Parlamenten wollen die AL-Politiker:innen ausbauen, indem sie zur SP wechseln: Die meisten AL-Mandatsträger:innen werden ihr beitreten. Ausgerechnet jener Partei also, zu der sie sein wollte, was sie im Namen trug: eine Alternative. Dass dies möglich ist, hat ebenso viel mit der aktuellen AL wie auch der jetzigen SP zu tun. Einige haben Ambitionen, sich kommendes Jahr für Bundesbern aufstellen zu lassen – und unter sozialdemokratischer Fahne rechnen sie sich dafür die besseren Chancen aus. Und die SP macht gerade einen Strukturwandel durch, der sie kampagnenfähiger und bissiger werden lassen soll. Und auf städtischer wie kantonaler Ebene gibt es Kopräsidien, die den Neuzugängen positiv gegenüberstehen.

Zürcher AL im Abwärtstrend

Vergleichbare Erfolge hatte bis vor kurzem die Alternative Liste Zürich. Sie konnte ihre Stimmenanteile seit 2006 jeweils ausbauen oder zumindest halten. Linker Abwärtstrend wie bei der SP: Fehlanzeige. Das änderte sich im vergangenen Februar. Bei den Erneuerungswahlen verlor die AL Zürich nicht nur zwei Sitze im Gemeinderat, sondern auch ihren einzigen Stadtratssitz.

Parteiauflösung in Schaffhausen, Machtverluste in Zürich: Kriselt es bei der AL? Was bedeutet die Auflösung der Schaffhauser Schwesterpartei für Zürich? Wer mit einigen Zürcher Exponent:innen spricht, merkt: Viele nehmen die Entscheidung der Schaffhauser Verbündeten stirnrunzelnd zur Kenntnis. Schade, dass eine derart kreative Partei aufhöre. Aufgrund der dezentralen Parteistruktur sei man aber nur lose miteinander verbunden gewesen. Als Zürich im vergangenen Spätsommer ein Treffen initiierte, kamen Aktivist:innen der Alternativen Linken Bern sowie der AL Winterthur – aber keine aus Schaffhausen.

Die Gespräche zeigen: Die Wahlen haben Spuren hinterlassen, insbesondere die misslungene Allianz mit der SP und den Grünen. Im «Tagblatt der Stadt Zürich» machte AL-Kantonsrätin Anne-Claude Hensch jüngst das «halbherzig propagierte Achter-Ticket» von AL, SP und Grünen für die Wahlverluste der AL verantwortlich; die SP, an die der einstige Stadtratssitz ging, habe einen «Pyrrhus-Sieg» errungen. Das sei noch nett formuliert gewesen, sagt sie heute auf Nachfrage der WOZ. «Wir hatten einen so guten Wahlkampf wie noch nie, waren bei vielen Vorlagen tonangebend und durchdachter als die SP.» Aber es sei nicht gelungen, zusammen mit SP und Grünen eine Strategie auszuarbeiten.

Auch der frisch gewählte AL-Fraktionspräsident David Garcia Nuñez sieht eine Mitschuld bei der SP. «Sie hatte mit der GLP eine starke Konkurrenz aus der Mitte. Darum hat sie versucht, sich zunehmend nach links zu positionieren – mit meines Erachtens pseudoradikalen Vorschlägen, die unsere Klientel abholen sollten. Dann ging es zwischenzeitlich nicht mehr um Inhalte, sondern um Opportunitäten.» Die AL sei in diesen Momenten zu bescheiden gewesen.

Auflösung? Nicht doch

Solche selbstkritischen Töne sind dann aber eher selten. Insgesamt lautet der Tenor, dass man – trotz Mitverantwortung für eine gemeinsame Strategie – als kleinster Partner in der linken Allianz einfach am wenigsten zu sagen habe, am meisten auf die anderen angewiesen sei.

Daraus die Frage nach der Existenz der Partei zu stellen, ist ein legitimer Impuls. Mit dieser Frage konfrontiert, lacht Walter Angst – er, der mit der Verteidigung von Richard Wolffs Sitz betraut gewesen und nur knapp daran gescheitert war. An eine Auflösung denke in der AL Zürich nun wirklich niemand. «Die AL hat immer wieder kreative Inputs gegeben. Eine plurale Linke tut der Stadt gut.»

Zudem hat die Partei, kantonal betrachtet, auch Erfolge vorzuweisen. Etwa in Winterthur, wo sie nicht nur ihren Stimmenanteil leicht ausbauen konnte, sondern auch überraschend einen Sitz in der Schulpflege geholt hat. Ausserdem findet man dort ein gutes Beispiel für die Nachwuchsstrategie der Alternativen: Neu ins Stadtparlament gewählt wurde dort Sarah Casutt – Physiotherapeutin mit feministischem Streikhintergrund (siehe WOZ Nr. 23/2019 ).

Das neue Gesicht

Casutt dürfte auch für einen Prozess stehen, den die AL Zürich nun durchmacht. Denn in Gesprächen mit ihren Exponent:innen fällt der Begriff «Erneuerung» auffallend oft. Es sei jetzt Aufgabe der Partei, jene Personen, die zwar kandidiert hätten, aber nicht gewählt worden seien, direkt einzubinden, sagt Garcia Nuñez. Er betont, dass es sich vor allem um junge Frauen handle, die Lust auf Politik hätten. «Sie sollen zum neuen Gesicht der Partei werden.»

Diese neuen Gesichter werden sich auch auf die Parteistruktur und den künftigen Stil der AL auswirken. Im Zürcher Gemeinderat hat die Linke seit den Wahlen eine hauchdünne Mehrheit von 63 zu 62 Stimmen. Welche Allianzen die AL mit der SP und den Grünen eingeht und wo sie die Konfrontation sucht, wird nicht mehr nur an den konkreten Vorlagen liegen, sondern auch an den Nachzügler:innen.

Für die Kantonsrätin Anne-Claude Hensch ist dies gleichzeitig ein Versprechen: «Aktuell ist die grössere Frage zwar, wie wir das Alleinstellungsmerkmal der AL wieder pointierter kommunizieren können. Aber klar ist: Wir rappeln uns wieder auf.» Dazu gehöre eben auch die Frage, welche Köpfe dereinst im Namen der AL Druck von links machen sollen. Hensch drückt es diplomatisch aus: «Manche Personen machen sich Gedanken über die Dauer ihres Verbleibs im Parlament.»