Das Geschäft mit Putin: «In der Schweiz sitzt nur die Spinne im Netz»

Nr. 19 –

Strafrechtsexperte Mark Pieth sagt, der Bund sei nicht in der Lage, die Vermögen sanktionierter Oligarchen zu finden, weil das Anwaltsgeheimnis deren Firmenkonstrukte schütze. Doch der Druck der USA auf die Schweiz werde steigen.

«Der grosse Fehler war, das Geldwäschereigesetz nicht auszuweiten»: Mark Pieth.

WOZ: Mark Pieth, Sie haben als Redner vor der vom US-Kongress ins Leben gerufenen Helsinki-Kommission den Umgang der Schweiz mit russischen Oligarchengeldern scharf kritisiert. Mitte-Ständerat Beat Rieder sagte daraufhin, dass die Schweiz eines der schärfsten Geldwäschereigesetze habe …
Mark Pieth: Die Antigeldwäschereiregeln für Banken sind relativ stark. Das gilt aber nicht für Anwälte, die Oligarchen helfen können, Geld zu verstecken. Diese sind nicht dem Geldwäschereigesetz unterstellt.

Die bürgerliche Mehrheit im Parlament hat Anfang 2021 verhindert, dass das Gesetz auf Anwält:innen ausgeweitet wird.
Ja. Dass ich als Anwalt dem Anwaltsgeheimnis unterstehe, wenn ich etwa jemanden juristisch verteidige, ist unbestritten. Ebenso unbestritten ist, dass dieses nicht gilt, wenn ich für einen Klienten Geld anlege. Dazwischen existiert eine Grauzone: Baue ich eine Firmenstruktur auf, um Geld zu verstecken, bin ich heute durch das Anwaltsgeheimnis gedeckt. Jene, die mich nun für meinen Auftritt in der Helsinki-Kommission angreifen, sind dieselben, die eine Ausweitung des Geldwäschereigesetzes torpediert haben.

Wer genau?
Die Genfer Anwaltslobby, aber auch die Mitte-Partei. Vor allem ihr Fraktionschef Philipp Matthias Bregy und Ständerat Rieder, den Sie eingangs erwähnt haben. Sie haben sich im Parlament stark gegen eine Verschärfung des Gesetzes ins Zeug gelegt.

Die beiden führen zusammen eine Anwaltskanzlei in Brig.
Ich bin erstaunt, dass Bankenvertreter aus der FDP wie Nationalrat Hans-Peter Portmann das nicht kritisieren. Denn mit dem, was sich die Schweiz mit ihren Anwälten leistet, zieht sie die Reputation der Banken nach unten. Die Banken haben sich kritisch zur Weigerungshaltung der Anwälte geäussert.

Wie kann ein Anwalt ganz konkret einem Oligarchen helfen, sein Geld zu verstecken?
Er kann für seinen Klienten bei Firmen wie Mossack Fonseca, die mit den Panama Papers Bekanntheit erlangte, eine Gesellschaft mit irgendeinem Fantasienamen bestellen. Er eröffnet für diese Gesellschaft Bankkonten etwa auf Zypern und übergibt dieses Konstrukt dann einem Treuhänder irgendwo auf der Welt. Der Anwalt, der durch das Anwaltsgeheimnis geschützt ist, weiss als Einziger, wem diese Firma gehört.

Einige Politiker:innen behaupten gerne, dass im Handelsregister einsehbar ist, wem eine Firma gehört.
Das ist Quatsch – dort kann ohne Weiteres ein Strohmann eingetragen sein. Weder im Schweizer Handelsregister noch im Grundbuch muss der wirtschaftlich Berechtigte stehen. Vor allem aber richten die Schweizer Anwälte die Gesellschaften meist nicht in der Schweiz ein, sondern etwa auf den British Virgin Islands. In der Schweiz sitzt nur die Spinne im Netz: der Anwalt.

Es ist Aufgabe des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), die Vermögen sanktionierter Oligarchen einzufrieren. Doch das Seco kann nicht nachschauen, wo Vermögen liegen.
Das Seco hat den Anwälten deshalb nur hilflos mitgeteilt, dass sie sich doch bitte melden sollen, wenn sie von Vermögen wüssten. Diese entgegnen, dass sie dem Seco im Bereich, der dem Anwaltsgeheimnis unterstehe, nichts sagen würden. Zu Recht! Sie sind heute rechtlich nicht dazu verpflichtet.

Sie sagen also, dass das Seco von Anwält:innen, aber auch von Kantonen Informationen verlangt, die diese aufgrund des Anwalts- und des Steuergeheimnisses gar nicht liefern müssen?
Ja, das Gesetz geht der Verordnung vor. Wir können nicht einfach kurzerhand das Anwaltsgeheimnis aufheben. Den grossen Fehler beging das Parlament, als es sich im März 2021 weigerte, das Geldwäschereigesetz auszuweiten.

Die Sanktionsverordnung ist also zu weiten Teilen ein Papiertiger?
Ja.

Bräuchte es nicht zusätzlich ein Register, in dem die wirtschaftlich Berechtigten von Firmen aufgelistet sind? So könnten zumindest die Schweizer Sitzgesellschaften durchleuchtet werden.
Ja, die EU hat ja entschieden, in all ihren Mitgliedstaaten ein solches Register einzuführen. Sie wird nicht ewig warten, bis die Schweiz mitzieht. Der Druck wird steigen.

Auch wenn dem Bund teilweise die Hände gebunden sind, haben Sie wiederholt gefordert, er müsse aktiver werden – etwa durch die Einsetzung einer Taskforce zur Aufdeckung der Gelder.
Eine Schweizer Taskforce hätte bereits in den ersten zwei Tagen nach der Übernahme der Sanktionen kommen müssen. Als grösster Offshorefinanzplatz der Welt müsste sich die Schweiz zudem der Taskforce der EU anschliessen.

Das Seco hat bisher 7,5 Milliarden Franken eingefroren. Wie beurteilen Sie diesen Betrag?
Die Zahl wird oft mit den 200 Milliarden Franken an russischen Geldern verglichen, die laut Bankiervereinigung auf hiesigen Banken liegen. Da muss man aufpassen: Auch wenn die Sanktionsliste immer länger wird, so sind das nicht alles sanktionierte Vermögen. Zugleich irritiert es, dass die Zahl seit Wochen stagniert. Hier zeigt sich, dass das Seco an gesetzliche Grenzen stösst.

Zudem sind 200 Milliarden nur Vermögen, die auf Banken liegen.
Ja, die Gelder, die über Schweizer Anwälte in Zypern landen, kommen dazu; wie auch Immobilien oder Beteiligungen von Oligarchen an hiesigen Unternehmen.

Sie haben in der Helsinki-Kommission dem US-Unternehmer Bill Browder zugestimmt, der die Schweizer Bundesanwaltschaft hart anging. Was kritisieren Sie?
Browder behauptet, ihm seien durch die Beschlagnahmung seiner Firma in Russland 350 Millionen US-Dollar genommen worden. Ein Teil des Geldes tauchte bei der Credit Suisse in der Schweiz auf, worauf er hier Strafanzeige einreichte. Der ehemalige Bundesanwalt Michael Lauber reiste dann 2014 mit zwei Mitarbeitern nach Russland, wo sie mit dem Generalstaatsanwalt Boot fuhren, später ging einer von Laubers Mitarbeitern auf russische Einladung Bären jagen. Danach hat Lauber nichts mehr unternommen, bevor er den Fall kurz vor seinem Abgang einstellte. Laubers Nachfolger Stefan Blättler meinte kürzlich, dass er die Vergangenheit ruhen lassen möchte; zudem hat er die zwei Stellvertreter Laubers behalten. Browder fordert nun die USA auf, die Schweiz bei der Rechtszusammenarbeit auf die Ebene eines Entwicklungslands herunterzustufen. Meine Position ist: Falls sich Bundesanwalt Blättler des Falls nicht noch einmal annimmt, behält Browder mit seiner Kritik recht.

Braut sich da über der Schweiz gerade ein Sturm zusammen?
Ständerat Rieder hat die Bedeutung der Helsinki-Kommission heruntergespielt, indem er sie mit einer NGO verglich. Sie ist jedoch eine parlamentarische Kommission, die von zwei Kongressmitgliedern geleitet wird. Wenn US-Parlamentarier anfangen, die Schweiz zu kritisieren, sollte man hierzulande die Drohung ernst nehmen.

Wie schätzen Sie die Haltung von Joe Bidens Regierung ein?
Momentan ist sie gegenüber der Schweiz konziliant, vor allem deshalb, weil sie die Schweiz dafür gewinnen will, dass Oligarchengelder nicht nur eingefroren, sondern eingezogen werden, um damit den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren. Nach meinen Kenntnissen sind Gespräche im Gang. Wenn die Schweiz jedoch bei der Beschlagnahmung der Vermögen nicht vorwärtsmacht, wird sich der Wind auch in der Regierung drehen.

Sie glauben, dass der Bundesrat die Sache nicht weiter aussitzen kann?
Die Stimmung wird nicht besser. Ich hatte Gespräche mit Kongressmitgliedern und Regierungsvertretern. Was ich sage, ist mehr als nur Spekulation.

Mark Pieth

Der emeritierte Basler Strafrechtsprofessor Mark Pieth (69) ist eine internationale Koryphäe auf dem Gebiet der Wirtschaftskriminalität. Er war unter anderem jahrelang Mitglied der internationalen Financial Action Task Force (FATF) zur Geldwäschereibekämpfung, leitete bis 2013 die OECD-Arbeitsgruppe zum Thema Bestechung und war ab 2004 am Komitee zur Untersuchung des Uno-Programms «Öl für Nahrung» im Irak beteiligt.