Ehrenkultur: Papas verlängerte Arme

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In Schweden will ein neues Projekt jugendliche Araber ermuntern, ihre Schwestern zu respektieren.

Sharaf ist arabisch und bedeutet Ehre. Hjältar ist das schwedische Wort für Helden. Das Projekt Sharaf Hjältar besteht zurzeit aus acht Jugendlichen: Charbel, Abgar, Leo, Özcan, Hakan, Ali, Zaid und Ozan. Sie sind zwischen siebzehn und zwanzig Jahre alt und haben ein gemeinsames Motto: «Mut ist es, für die Freiheit meiner Schwestern zu kämpfen.» Ihr Ziel ist es, die Einstellung Gleichaltriger zu beeinflussen, die in einer häuslichen und gesellschaftlichen Umgebung leben, die geprägt ist vom Prinzip der Ehre. Eine Kultur, die für die meisten SchwedInnen erst zu einem Begriff wurde, als die 26-jährige Kurdin Fadime Sahindal im Januar 2002 von ihrem Vater in Uppsala ermordet wurde. Im Namen der Ehre. Sie hatte diese «beschmutzt», weil sie sich selbst einen Partner gesucht hatte.

Nach dem ersten Erschrecken, aufgeregten Debatten in den Medien und im Parlament wurden verschiedene Projekte gestartet, um Mädchen und junge Frauen wie Fadime zu schützen: Hilfstelefone, Zufluchtswohnungen, Informationsveranstaltungen, Publikationen. Weniger Beachtung wurde zunächst den Männern und männlichen Jugendlichen geschenkt, die als potenzielle Akteure ebenfalls Opfer dieser «Ehrenkultur» sind. «Es sind diese Jungen, welche die verlängerten Arme ihrer Väter sind. Die ihre Schwestern und Kusinen bewachen. Wir müssen diesen Jungen Unterstützung geben, damit sie wagen, Nein zu sagen», erklärt Arhe Hamednaca, der das Projekt Sharaf Hjältar in Gang gesetzt hat:

«Sie müssen von dieser Unterdrückung durch den Ehrbegriff befreit werden, damit sie zu Männern heranwachsen können, welche dann einmal den eigenen Willen ihrer Töchter respektieren.»

Keine importierte Tradition

Viele Einwandererjugendliche wollten gar nicht nach den von ihrer Familie vorgeschriebenen Normen leben. Aber sie würden es nicht wagen, dagegen zu opponieren. Und das sei, so betont Hamednaca, nicht etwa eine erst von AusländerInnen nach Mitteleuropa importierte Tradition: «Auch hier legten die älteren Generationen früher ganz autoritär die Messlatte dessen fest, was tolerierbar sein sollte.»

Im Herbst 2003 startete Sharaf Hjältar im Stockholmer Jugendzentrum Fryshuset. Hier hatte man bereits Erfahrungen mit Projekten wie Expo - für Aussteiger aus der Neonaziszene - oder Lugna Gatan (ruhige Strasse), einer Arbeit gegen Drogenmissbrauch, Gewalt und Kriminalität vor allem in den Vorortmilieus, gesammelt. Wie bei diesen Initiativen sollten die Vorbilder für die, welche man erreichen wollte, aus dem eigenen Umfeld stammen. Weil dann die Botschaft besser ankommt.

Die ersten acht «Sharaf-Helden» durchliefen erst eine Phase theoretischer und praktischer Ausbildung und begannen dann im Oktober letzten Jahres ihren eigentlichen Einsatz mit Vorträgen und Veranstaltungen an Schulen und in Jugendzentren. Mit einem Stipendium der Regierung und einem Händedruck des Königs als finanziellem wie moralischem Ansporn.

Sharaf Hjältar ist eine offiziell hochgelobte Initiative, doch Arhe Hamednaca hat auch eine andere Seite kennen gelernt: «Manche denken, dass unsere Arbeit zu verstärktem Rassismus beitragen könne.» Er habe Telefonate und Briefe bekommen, in welchen ihm vorgeworfen worden sei, «nur nach der Pfeife der Schweden tanzen» zu wollen. Und man habe ihn beschuldigt, Muslime in den Dreck zu ziehen. «Ich versuche, solchen Leuten klar zu machen, dass es nicht um Religion geht. Es ist das Patriarchat, auf dem die Ehrenkultur sich gründet. Und das gibts auf der ganzen Welt.» Es seien nur die Art und der Grad an Unterdrückung und Gewalt, welche variierten.

Selbst wegen seiner Arbeit bedroht worden sei er noch nicht, sagt Hakan Gündoyu, einer von Sharaf Hjältar. Als Neunjähriger aus der Türkei nach Schweden gekommen, ist er jetzt achtzehn und besucht die letzte Klasse des Gymnasiums. «Manchmal habe ich schon Angst. Aber ich versuche zu denken, dass ich mich - wenn mir etwas passieren sollte - wenigstens für etwas eingesetzt habe, an das ich glaube. Es gilt zu wählen. Das versuchen wir auch anderen Jugendlichen zu vermitteln.» Der gleichaltrige Ali Atceken erzählt von Missverständnissen: «Wir hassen nicht etwa unsere Kultur. Wir lieben das Schöne in ihr. Nur das Schlechte wollen wir abwaschen. Und beim Thema Ehre - da gibts nichts Gutes.» Eine Botschaft, die zu vermitteln ihnen als Ausländern leichter falle: «Wir müssen keine Angst haben, als Rassisten beschimpft zu werden.» Ali beklagt aber auch die «Naivität der schwedischen Gesellschaft». Die habe sich jahrelang schwer getan, Fragen wie Ehrgewalt anzusprechen: «Dabei muss man Menschenrechte um jeden Preis verteidigen.»