Kommentar von Reinhard Wolff, Stockholm: Schwedens verpatzte Wende

Nr. 38 –

Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in den letzten Jahren in Schweden gewachsen. Anders als den Rechtsextremen ist es der Linken nicht gelungen, daraus Kapital zu schlagen.

Er ist seit hundert Jahren der erste Arbeiter an der Spitze der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Schwedens. Stefan Löfven, gelernter Schweisser und ehemaliger Vorsitzender der Metallarbeitergewerkschaft, wird nach der Parlamentswahl vom Wochenende voraussichtlich neuer Ministerpräsident des Landes werden. Die konservativ-liberale Koalition, die das skandinavische Land in den vergangenen acht Jahren regiert hatte, verlor ihre parlamentarische Mehrheit. Schweden wird nun eine rot-grüne Regierung bekommen.

Doch es wird kompliziert werden. Denn bei einem WählerInnenanteil von 31 Prozent haben die SozialdemokratInnen ihr zweitschlechtestes Ergebnis seit Einführung der allgemeinen Wahlen in Schweden eingefahren. Weil auch der angedachte Koalitionspartner, die grüne Umweltpartei, schwächelte, reicht das nicht für eine parlamentarische Mehrheit. Selbst mit der Linkspartei käme die vereinigte Linke nur auf 156 der 349 Reichstagssitze.

Es sind die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD), die mit ihren 49 Mandaten im schwedischen Reichstag nun sowohl eine bürgerliche wie eine linke Mehrheit blockieren. Die Partei mit Wurzeln in der Neonaziszene konnte mit ihrer Forderung nach geschlossenen Grenzen für Flüchtlinge mit 12,9 Prozent ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln und ist nun Schwedens drittstärkste Partei, wobei deutliche regionale Unterschiede und ein Stadt-Land-Gefälle auffallen. In Stockholm etwa bekamen die Schwedendemokraten nur einen halb so hohen Stimmenanteil wie im gesamten Land. Hatten sie ihre Hochburgen bislang vor allem in Südschweden, konnten sie nun erstmals auch im traditionell roten Norden des Landes Fuss fassen.

Erste Analysen erklären das damit, dass die Partei mit ihrem Wahlslogan «Masseneinwanderung oder Wohlstand» in hohem Grad WählerInnen anlocken konnte, die mit allen etablierten Parteien unzufrieden sind und die Folgen einer in den letzten Legislaturperioden geführten Politik von Steuersenkungen und neoliberalen Reformen zu tragen haben, einer Politik, die zu einer spürbaren Ausdünnung des sozialen Netzes und zu grossen Mängeln in der öffentlichen Infrastruktur geführt hat.

In der achtjährigen Regierungszeit des konservativen Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt wurden die Steuereinnahmen um jährlich 140 Milliarden Kronen (rund 18 Milliarden Franken) gesenkt. Profitiert haben besonders die Reichen. In den Villenvororten sammeln sich heute schon mal 4800 Franken pro Jahr mehr auf dem Konto eines Haushalts, bei der Krankenschwester in der Mietwohnung aber nicht mehr als 250 Franken. 1996 war Schweden von den Einkommensverhältnissen her die laut OECD weltweit «gleichgestellteste Gesellschaft» gewesen. Nun ist das Land auf den 14. Platz abgerutscht. In keinem OECD-Land hat sich die Kluft zwischen Arm und Reich seit 2007 so sehr vergrössert wie in Schweden.

Und in keinem Land wurde die staatliche Unterstützung für Arbeitslose und Kranke so massiv gesenkt wie in Schweden unter Einfeldt. Die Klagen über immer längere Wartezeiten vor Operationen häufen sich, den Schulen fehlt es zunehmend an den nötigen Mitteln, und alte Menschen werden aufgrund von Personalmangel immer ungenügender versorgt. Der Rückzug des Staats macht sich am empfindlichsten in ländlichen Regionen bemerkbar – dort, wo die SD auch am kräftigsten zulegen konnten. Die neu aufgerissenen sozialen Gräben scheinen das perfekte Revier für den Fischzug der RechtspopulistInnen und ihre rassistische Rhetorik zu sein.

Natürlich müssen sich die linken Parteien die Frage stellen, warum sie diesen Unmut nicht erfolgreicher auffangen konnten. Ein Grund dafür könnten ihre mangelnde Zusammenarbeit und das völlige Fehlen eines gemeinsamen Regierungsprogramms gewesen sein. Jede Partei kämpfte für sich: die SozialdemokratInnen mit einem Programm für mehr Arbeitsplätze, die Grünen für eine Energiewende, und die Linkspartei führte ihren Wahlkampf ausschliesslich mit der Forderung, Gewinne von privaten Schulen, Spitälern und andern Wohlfahrtseinrichtungen zu verbieten. Zudem gibt es zwischen den links-grünen Parteien unvereinbare Standpunkte etwa in der Frage des Atomausstiegs und der Rüstungspolitik.

Am Tag nach der Wahl hat Löfven nun überraschend erklärt, dass eine Koalition mit der Linkspartei für ihn nicht infrage komme. Seine geplante rot-grüne Minderheitsregierung wolle sich die fehlenden Mehrheiten von Fall zu Fall bei der Zentrumspartei und der Volkspartei suchen, die bislang in die bürgerliche Regierungskoalition eingebunden waren. Dumm nur, dass beide Löfvens Werben bislang strikt ablehnen.

Doch vermutlich werden sie aus «Verantwortung für Schweden», aber auch aus der Notwendigkeit heraus, den Schwedendemokraten nicht noch mehr Einfluss auf die Politik des Landes einzuräumen, ihre Meinung ändern. Fraglich ist dann allerdings, inwieweit Rot-Grün unter diesen Umständen noch eine wirkliche politische Wende einleiten kann. Denn das wäre die Grundvoraussetzung dafür, den RechtspopulistInnen das Wasser abzugraben.