Durch den Monat mit Ruth Genner (Teil 2): Ist Ihre Kandidatur Unsinn?

Nr. 6 –

Frau Genner, Sie kandidieren für die Zürcher Regierungsratswahlen am 27. Februar und treten gegen den CVP-Mann Hans Hollenstein und den SVP-Mann Toni Bortoluzzi an. Wieso tun Sie das?
Ich bin die politische Alternative zu den zwei bürgerlichen Kandidaten, die im Kanton Zürich einen Abbau bei den Sozialleistungen, bei der Bildung und im Umweltschutz wollen. Jetzt wäre die Möglichkeit da, im Regierungsrat eine links-grüne Mehrheit zu erreichen.

Nicht einmal die SP Zürich unterstützt Ihre Kandidatur. Sie hat sich entschieden, ihren Wählerinnen und Wählern Hans Hollenstein zu empfehlen – Ihre Chancen sind also sehr klein. Ist Ihre Kandidatur damit Unsinn?
Nein. Die Grünen zeigen mit der jetzigen Kandidatur eine neue Perspektive auf. Nur wenn wir aktiv sind und kandidieren, merken die Leute, dass es uns ernst ist und welche politischen Positionen wir vertreten.

Und die SP?
Die SP getraut sich nicht, neue Perspektiven für den Kanton zu denken.

Sind Sie enttäuscht von der SP?
Ich bin persönlich enttäuscht. Aber nachdem uns die SP bei den Bundesratswahlen 2003 bereits die kalte Schulter gezeigt hat, ist das auch nichts Neues. Parteipolitisch und inhaltlich ist es allerdings absurd, dass die SP in diesem Wahlkampf einen bürgerlichen Kandidaten unterstützt – dieser realpolitische Kniefall hilft der SP für die Zukunft sicher nicht. Sie macht das aus reiner Angst, der SVPler Toni Bortoluzzi könnte das Rennen machen. Dabei trägt jede Stimme für mich dazu bei, das absolute Mehr zu erhöhen und so den Durchmarsch der SVP zu verhindern.

Die SP kann in den letzten Jahren linke Themen in der Öffentlichkeit kaum mehr prägnant besetzen – profitieren die Grünen davon?
Das ist zum Teil sicher so. Unser Aufwind begann noch unter der SP-Ära von Christiane Brunner, die ja sehr zurückhaltend war.

Inwiefern?
Nachdem die Linke im Mai 2003 unter anderem die Abstimmungen zu den Miet-, Lehrstellen- und Atominitiativen verloren hatte, wollte Brunner «so nicht mehr weiterpolitisieren». Sie hätte das Referendum gegen das Steuerpaket, das ja dann letztes Jahr ein riesiger Erfolg für uns wurde, nicht ergriffen – aus Angst, wieder zu verlieren. Die SP ist in den letzten Jahren sehr realpolitisch geworden. Unser nationaler Wahlerfolg im Herbst 2003 hat nicht zuletzt damit zu tun, dass wir Grüne die entstandene Lücke füllen.

Ist die Linke gespalten?
Nein, aber es gibt einen gewissen – ich sage dieses Wort nicht gerne – Wettbewerb auch auf linker Seite. Seit Hans-Jürg Fehr SP-Präsident ist, haben wir allerdings einen intensiveren Dialog mit der SP. Seit letztem Sommer treffen sich die beiden Parteispitzen vierteljährlich – das hat es vorher noch nie gegeben. Wir wollen diese institutionalisierte Zusammenarbeit fördern, weil wir damit Kräfte bündeln und die Linke stärken können. Aber: Grün bleibt Grün und Rot bleibt Rot.

Sie sind seit drei Jahren im Präsidium der Grünen Schweiz: Welche Themen haben Sie im letzten Jahr gesetzt?
Das aktuelle Thema ist sowieso gesetzt, und zwar von den Bürgerlichen: Es heisst Sparen. Die Bürgerlichen haben damit ein politisches Programm festgelegt, ohne jedoch zu sagen, was sie damit wollen. Sie haben es schlicht auf den kalten Abbau angelegt. Und das müssen wir den Leuten klar machen. Bei der Abstimmung übers Steuerpaket haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger erkannt, dass es den Bürgerlichen nur ums eigene Portemonnaie geht, und es deswegen verworfen.

Was halten Sie der Sparhysterie für ein Konzept entgegen?
Die Chancengleichheit – ohne sie bricht unsere Gesellschaft auseinander. Wenn die Leute das wieder begreifen, haben wir viel erreicht. Das abgelehnte Steuerpaket ist ein Zeichen.

Das Wort Chancengleichheit hört sich heutzutage als politisches Programm fast nostalgisch an.
Ich bin überzeugt, dass es das einzig Richtige ist. Als Kind habe ich zuhause hautnah erlebt, wie patriarchalisch mein Vater war und wie wenig meine Mutter zu sagen hatte – obwohl sie massgeblich zum Einkommen der Familie beitrug. Ich begriff schnell, dass es schwierig ist, irgendwo mitzudiskutieren, wenn man am Schluss nicht entscheiden kann. Und mir wurde auch sehr früh klar: Eine gute Ausbildung ist der Schlüssel zur Selbständigkeit. Ich musste dafür kämpfen, das Gymnasium besuchen zu können. Das prägt.

Ruth Genner, 49, sass von 1987 bis 1997 im Zürcher Kantonsrat. Seit 1998 ist sie Nationalrätin der Grünen Zürich.