Sozialdemokrat Blocher: Dr. Blochers feines Gespür für Volkszorn

Nr. 8 –

Die UBS-Partei SVP entdeckt die Finanzkrise: Die Parteileitung stellt linke Forderungen und spielt eigene Wirtschaftsexperten aus. Der ehemalige starke Mann der Partei versucht sich ein letztes Mal ins Spiel zu bringen.


«Sekretariat Dr. Blocher, Frau Rottweiler!», stellt sich die freundliche Dame am Telefon vor. Dr. Blocher sei gerade nicht zu sprechen, sagt sie, aber am Montag werde er eine kontradiktorische Pressekonferenz abhalten. Ein Spektakel, verspricht Frau Rottweiler: auf der einen Seite Christoph Blocher, für seine neuen UBS-Pläne zum Juso-Ehrenmitglied vorgeschlagen, auf der anderen Seite der SVP-Finanzexperte und Ex-Chefökonom diverser Banken, Hans Kaufmann. Und in der Mitte Parteipräsident Brunner, Toni, Subventionsempfänger aus dem Toggenburg, der in der Nationalratsdebatte zum UBS-Rettungspaket im Dezember 2008 keinen Ton gesagt und mit seiner Partei alle kritischen Anträge der Linken, etwa jene zu Salär- und Bonibeschränkungen, abgelehnt hatte. Das 68-Milliarden-Franken-Paket wurde mit einer komfortablen Mehrheit aus FDP, CVP und SVP vorbehaltlos durchgewinkt.

Die selbst ernannte Volkspartei zeigte auf, wie sie sich ihre Opposition vorstellt: für die UBS und die amerikanischen Investmentbanker und gegen die Schweizer SteuerzahlerInnen. Man kann sich vorstellen, dass Brunner in seiner Beiz «Haus der Freiheit» Mühe gehabt hat, diese Art von Opposition seiner Bauern- und KMU-Klientel zu verklickern. Und kurz darauf ist die SVP in den Umfragen eingebrochen und erhielt in der Abstimmung zur Personenfreizügigkeit trotz Krise und Unsicherheit Prügel. Frau Rottweiler dankt für das Interesse der WOZ, weil: Der WOZ würden die neuen Pläne von Dr. Blocher sicher ganz gut gefallen. Und legt auf.

SVP-Informant Hans-Jürg Fehr

Die Krise ist da, und nur die Linke sagte bisher klar, dass die Fahrlässigkeit der Grossbanken und der Finanzmarktaufsicht Finma Konsequenzen haben müsse. Die SVP hingegen hatte da ein Problem. Denn UBS-Verwaltungsräte, Credit Suisse, Marcel Ospel, Martin Ebner, Supersaläre und Boni – das alles ist SVP.

Darum hat sie bisher geschwiegen, und ausgerechnet Christoph Blocher, das Bindeglied zwischen Hochfinanz und Kuhstall, hat nun das Schweigen gebrochen.

Die SVP-Banker und -Nationalräte sassen vergangene Woche in der Wirtschaftskommission des Nationalrats und kämpften gegen die von der Linken geforderten Lohnabstriche bei den Grossbanken, als SP-Nationalrat Hans-Jürg Fehr den verdutzten SVP-Nationalräten Blochers Communiqué vorlas: Mehr oder weniger analog zu den SP-Forderungen vom letzten Dezember will der Partei-Vize nun, dass – solange die UBS mit Steuergeldern am Leben gehalten wird – ein Vertreter des Bundes im dreizehnköpfigen UBS-Verwaltungsrat Einsitz nimmt; dass die Löhne der Manager auf Staatsbetriebsniveau gesenkt werden; dass In- und Auslandgeschäft getrennt werden, damit die Schweizer SteuerzahlerInnen keine Ausfälle im Ausland mitfinanzieren. Und gegen die Boni für Banker, die Milliardenverluste einfahren, wetterte Blocher auch. Der konservative Unternehmer und Milliardär, dessen Freund Marcel Ospel die UBS in den Abgrund und die Schweiz in eine Wirtschaftskrise geführt hat, redet wie ein Sozialdemokrat. Wer hätte gedacht, dass seine Abwahl 2007 ihn in Finanzfragen – aus welchen Gründen auch immer – vorübergehend zum Linken machen wird? Man hätte es wissen können, analysiert SVP-Finanzexperte Hans Kaufmann: «Meine Frau sagt immer: Jene, die weit rechts sind, kippen irgendwann nach links.»

«Willig, aber harmlos»

Hans Kaufmann kriegt die Breitseite Blochers ab. Dabei stand der Banken-Chefökonom der Partei immer für die SVP ein: Er stand hinter dem Messerstecherplakat, hinter dem Gang in die Opposition, er stand für die neoliberale Politik der Volkspartei und hat auch 2009 noch gegen die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit gestimmt. Das einzige, was nicht zu einem SVP-Politiker seines Formats passt, ist sein Ficheneintrag: Während des Kalten Krieges hat sich Kaufmann in eine Frau aus Bratislava verliebt. Die Botschaft teilte dem Fichenbüro damals mit: «Sie: Will in den Westen. Er: Ist willig, aber harmlos.»

Inzwischen ist Kaufmann, was die Pläne der Parteileitung betrifft, zwar nicht mehr willig, aber nach wie vor harmlos. Der SVP-Finanzexperte sagt angesichts der Krise Sätze, die kompetent klingen, die aber keiner versteht. Anders Blocher. Er, der sich alter Bindungen entledigt hat, tönt klar, einfach, empört. Und sozialdemokratisch. Aus dem Milliardär spricht der Volkszorn.

In der Grundsatzfrage, dass sich der Staat aus der Wirtschaft rauszuhalten hat, ist Hans Kaufmann der eigenen Parteileitung in den Weg gekommen. Oder sie ihm. Oder die Partei sich selbst. Anders als noch vor zwei Monaten fordert die Parteispitze nun, der Staat müsse mitreden können, wenn dies aufgrund der «Too big to fail»-Problematik unausweichlich sei.

Weil diese Forderung für die SVP höchst ungewöhnlich ist, lud sie zu eben jener kontradiktorischen Pressekonferenz, die Parteipräsident Toni Brunner als «Konzept Kaufmann gegen Konzept Parteileitung» vorstellte. Das ging dann so: «Ich habe das Gefühl, das Kaufmann-Konzept ist gar kein Konzept», sagte Blocher. Kaufmann hielt sich mit Angriffen auf Blocher zurück, sagte aber nach der Pressekonferenz: «Mein Konzept ist kein Konzept? Die Parteileitung streut den Leuten Sand in die Augen. Blochers Konzept ist kein Konzept, denn es ist rechtlich nicht umsetzbar.» Während der Pressekonferenz sagte SVP-Kaufmann: «Die SVP betreibt Wettbewerbsverzerrung.» Kaufmann wolle, dass alles so weitergeht wie bisher, sagte Blocher, «der redet wie die Grossbanken». Und Toni Brunner sagte: «Wir können nicht so tun, als herrsche nach wie vor freie Marktwirtschaft.» Und Kaufmann entgegnete: «Es gab in unserer Partei immer Abweichler. Dieses Mal ist es die Parteileitung.» Es war das bizarre Hin und Her einer Partei, die bisher den Spagat zwischen neoliberal und nationalkonservativ (vereint durch Blocher) perfekt meisterte, und der dieser Spagat im Angesicht der Krise nicht mehr recht gelingen will.

Überforderter Brunner

Endlich kann sich SVP-Parteipräsident Toni Brunner nun also empören. Plötzlich kein Verständnis mehr für die UBS und die Boni und die Milliardenverluste, sondern alles eine Riesensauerei. Bei den Linken will er nicht abgekupfert haben, aber dass die WOZ zum Pressetermin kommt, freut ihn trotzdem: Er ist überzeugt, dass er mit diesen Plänen in der WOZ endlich einmal lobend erwähnt wird. Und dann strahlt er wie ein Sünneli und wiederholt noch einmal, dass die SVP-Vorschläge nicht bei der SP abgekupfert seien. Was natürlich ein Scherz ist, sind sie doch mehr oder weniger identisch.

Dass Brunner dies derart vehement bestreitet, hat einen einfachen Grund: Es würde sich sonst noch offensichtlicher die Frage aufdrängen, warum vor ein paar Wochen die SP einen ganzen Katalog voller kritischer Einsprachen gegen das Rettungspaket parat hatte und die SVP gar nichts.

Schaf und Raubsaurier

Das Hin und Her der SVP ist ein Ausdruck der Krise, die so einiges umkrempelt: Die konservative Revolution ist vorbei. Der Neoliberalismus, den Blocher in den neunziger Jahren gepredigt hatte, zwingt Staaten weltweit, rund 11 000 Milliarden Franken für das gescheiterte System aufzubringen. Jo Lang, Nationalrat der Grünen, hat zur soeben erschienenen Blocher-Hausbiografie treffend geschrieben, das Werk sei vor allem ein Geschichtsbuch. Blocher beerdigt in den eigenen Trümmern. Mit seinen Freunden Martin Ebner und Marcel Ospel wird sich der nationalkonservative Heilsbringer nicht so bald an einem «Buurezmorge» mehr blicken lassen. Klar aber ist auch, dass sich im Gegensatz zum Dezember im Parlament eine Mehrheit unter anderem für die Beschränkung der Löhne und Boni der UBS abzeichnet. Und dass die SVP als stärker nationalkonservativ ausgerichtete Partei durchaus Zukunft hat.

Das attestiert auch Hans Kaufmann: «Ein Nebeneffekt ist realisiert worden. Wir haben beim Thema das Zepter nun mit in der Hand. Das war parteitaktisch klug.» Solche Publicity braucht die SVP jetzt – und Blocher braucht sie erst recht, denn seine Zeit läuft immer rasanter ab. Angesichts der klaren Niederlage für die Partei wäre es womöglich klüger gewesen, das Referendum gegen die Personenfreizügigkeit nicht zu ergreifen – wie Blocher ursprünglich gefordert hatte. Der Abstimmungskampf erweckte den Eindruck, der selbst ernannte Parteistratege (68) habe sich vom St. Galler Nationalrat Lukas Reimann (26) die richtige Strategie erklären lassen müssen. Und der Thurgauer Unternehmer Peter Spuhler lässt sich einfach nicht das Maul verbieten – etwa wenn Blocher ihn als Teil eines «faulen Nests» bezeichnet. Ueli Maurer, die Integrationsfigur, wurde nur dank Hans-Jörg Walters Stimme in den Bundesrat gewählt – wo er abgestellt ist wie ein alter Besen und Soldaten ins Ausland schicken will. Nach der Niederlage bei der Personenfreizügigkeit verglich Blocher die Schweizer Demokratie mit Hitler, mit Nazideutschland: Wie wenn alle dem Führer nachrennen würden, sei das, meinte er nach der Abstimmung. Die einstige Lichtgestalt mit angeblich höherem Auftrag, die sich als Vizepräsident der Partei in der jetzigen Sache wieder selbst wie ein richtig charismatischer Führer aufführt: einer, der nicht debattiert, sondern handelt. Und der eigentliche Parteipräsident Brunner sitzt daneben und klatscht erfreut und wirkt leicht überfordert. Als Toni Brunner während der kontradiktorischen Pressekonferenz sagte, niemand habe die Krise kommen sehen (zumindest niemand in der SVP, entgegnet die WOZ), schüttelte Vizepräsident Blocher langsam den Kopf, als wolle er sagen: So definitiv, Brunner Toni, kann man das nicht sagen. Aber er sagte es nicht. Doch es war eine starke Geste, die den Präsidenten neben dem Vize ein weiteres Mal wie ein fröhliches Schaf neben einem in die Enge getriebenen Tyrannosaurus Rex erscheinen liess.

Christoph Blocher hat politisch deswegen überlebt, weil er die Fähigkeit besitzt, aus neuen Entwicklungen das Wesentliche schnell und klar herauszufiltern: Dr. Blochers feines Gespür für Volkszorn. Wirklich klappen tut das schon länger nicht mehr – womöglich auch deshalb, weil das sogenannte Volk inzwischen von anderen Themen getrieben wird, als es Blocher gerne hätte. Aus den Abzockern von gestern, den Sozialhilfebetrügerinnen, den MissbräuchlerInnen im Asylwesen sind Banker geworden, eine Elite, die durch ihr Handeln in kurzer Zeit mehr Schaden angerichtet hat, als ihn alle SozialhilfebetrügerInnen zusammengerechnet auch nur ansatzweise jemals anrichten können.

Dieses Missverhältnis lässt sich nicht kaschieren. Der rechte Parteistratege hat sich deshalb Rat bei der Linken geholt. Das letzte Kunststück, das Christoph Blocher vollführte, um innerhalb der SVP noch einmal nach der Macht zu greifen: Er rief nach dem Staat.

Das grosse Schweigen

Sondersession zur Finanzkrise im Dezember 2008 - endlich kann das Parlament das Notpaket zur Rettung der UBS «beraten»; darüber entschieden hatte bereits der Bundesrat. Doch SP-Nationalrat Hans-Jürg Fehr stellte mit grossem Erstaunen fest, «dass es hier eine Diskussion zwischen den Grünen und den Roten gibt und dass sich die bürgerlichen Fraktionen offenbar dieser Diskussion verweigern. Auch das ist ein Verhalten. Ich weiss nur nicht, ob es hier der Sache angemessen ist, zu schweigen, anstatt mitzudiskutieren.» Die SVP aber schwieg - Opposition und eine klare Position sehen anders aus. Ueli Maurer, damals selber noch nicht Bundesrat, liess sich sogar zur grossen Verwunderung vieler Parlamentarier von der Rednerliste streichen - ein höchst seltener Vorgang.

Toni Brunner sagt heute: «Wir stellten damals keinen Bundesrat. Wir sind mit den UBS-Milliarden vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Die Parteipräsidenten wurden vom Bundesrat orientiert, aber an jener Sitzung hatte ich das Gefühl, der einzige zu sein, der zum ersten Mal von den Plänen hört.» Auch die Grünen hatten keinen Bundesrat, debattierten aber fleissig mit.