Jochen Hörisch: Gegen Theoriefieber

Nr. 6 –

Zugegeben, zurzeit wäre die Empfehlung einer richtigen Apotheke angebrachter - gerade vonseiten der grippegeplagten WOZ-Redaktion. Aber das ist hier nicht unser Geschäft, und so sei wenigstens die «Theorie-Apotheke» empfohlen: Der Literatur- und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch hat 32 Theorieschlagworte der vergangenen fünfzig Jahre zusammengestellt. Jeweils auf wenigen Seiten werden diese vorgestellt und ihre «Wirkungen, Risiken und Nebenwirkungen» dargelegt - als Ergänzung zu den Theorien, die üblicherweise ohne Beipackzettel geliefert werden.

Ein Witz? Mehr als das: Für Hörisch drückt die Metapher von der Apotheke sein Bekenntnis zum Theorienpluralismus aus. Gab es einst die «Gross-Theorien», die «allgemeines Heil versprachen», so versprechen heute «die meisten humanwissenschaftlichen Theorien allenfalls noch Heilung von spezifischen Krankheiten und Leiden». Die Zeit der «grossen Erzählungen» - auch das ist Thema einer Theorie - ist in der westlichen Kultur vorbei, das ist für Hörisch gut so.

Gemäss der Bedeutung des griechischen Worts pharmakon kann einmal Arznei sein, was ein andermal Gift ist. So wird Theodor W. Adorno im Kapitel «Kritische Theorie» mit viel Sympathie vorgestellt, kriegt aber unter «Medientheorie(n)» für seinen Kulturpessimismus sein Fett ab. Die Schlagkraft der «Analytischen Philosophie» würdigt Hörisch, warnt aber eindringlich vor deren Nebenwirkungen; gleiches gilt für «Feminismus/ Gender Studies» zumindest deutscher (Schwarzer’scher) Provenienz, während die «Systemtheorie (Niklas Luhmann)» gar noch in ihren Nebenwirkungen fruchtbar ist. Richtig böse ist der Autor nur mit dem Stichwort «Interdisziplinarität», das er auf zwölf Zeilen abfertigt und deren Nebenwirkung er in der «Konjunktur der S(t)ammelbände» sieht.

Hörisch vereinfacht so viel, wie es die Kürze verlangt; Hörisch schreibt, und das ist für einen deutschsprachigen Theorietext sehr bemerkenswert, schön, elegant; so, dass es Freude macht, ihm zu folgen. Das Buch hat das Zeug, zum Geheimtipp für StudentInnen der Humanwissenschaften zu avancieren (der Preis, begründet in der bibliophilen Aufmachung, steht dem etwas entgegen). Und es sei ausdrücklich auch allen NichthumanwissenschaftlerInnen ans Herz gelegt, die sich für jüngere Philosophiegeschichte interessieren und im Dschungel des feuilletonistischen Jargons nach einem Wegweiser suchen.