Undercover: Die Polizei, dein Kokainkunde
In St. Gallen geht die Polizei mit Kokainscheinkäufen gegen afrikanische Kleindealer vor. Die neue Strategie wird als Erfolg gefeiert.
St. Galler Polizei und Staatsanwaltschaft sind zufrieden: Seit September 2003 verhafteten sie 104 Drogendealer. Die Strategie mit dem Namen «Aktion Ameise» sei ein Erfolg, die Händlerszene verunsichert und dezimiert, lobten sich die Behörden selber. Wie funktioniert die Methode, die im Kanton St. Gallen zum ersten Mal in diesem Massstab eingesetzt wurde?
Speziell ausgebildete Polizeibeamte in Zivil kaufen bei Dealern in der St. Galler Bahnhofsunterführung Kokain ein. Dazu brauche es bloss Blickkontakte, dann müsse man eine Fünfzigernote in der Hand halten, und der Deal laufe, schildert Staatsanwalt Thomas Hansjakob den Ablauf. Geredet werde dabei nicht. Wenn das Geschäft nicht sofort stattfinde, werde der Scheinkauf abgebrochen. Damit bewege man sich in einem unproblematischen Rahmen, ist Hansjakob überzeugt.
Sekunden nach der Übergabe des Kokains erfolgt «der Zugriff». Der Händler wird verhaftet, kommt in Untersuchungshaft, innert 24 Stunden hat er den Strafbescheid. «Beim zweiten Mal gibt es eine unbedingte Gefängnisstrafe», so Hansjakob. Am Hauptbahnhof St. Gallen finden solche Scheinkäufe alle paar Wochen statt. Die Polizei schlägt dann am gleichen Tag zweimal zu, danach hat sich der Trick herumgesprochen, und die Szene löst sich für kurze Zeit auf. Die Methode richtet sich explizit gegen afrikanische Kleindealer. Von den 104 Händlern, die die St. Galler Polizei nach Scheinkäufen festnahmen, stammen vier aus der Schweiz, je einer aus Spanien und Italien, 98 aus afrikanischen Ländern.
Undercover-Aktionen im Drogenbusiness: Wie weit darf da die Polizei gehen? Für Rechtsanwalt Peter Dörflinger ist der Fall klar: Solange der Polizist passiv herumsteht und vom Dealer angesprochen wird, ist das Vorgehen legal. Geht die Initiative für den Handel dagegen vom V-Mann der Polizei aus, frage dieser zum Beispiel den Dealer, ob er noch mehr Stoff beschaffen könne, wird er zum Agent provocateur, zum Anstifter, was strafrechtlich höchst problematisch ist.
Betrachtet man die Erfolgsbilanz genauer, wird schnell klar: Bei der «Aktion Ameise» geht es nicht wirklich um die Bekämpfung der Drogenkriminalität. Denn da ist der Ertrag höchst bescheiden. Die sichergestellten Kleinstmengen fallen nicht ins Gewicht. Die Drahtzieher der Deals bleiben ungeschoren. «Dabei wird jeder Händler befragt, und auch die Handys werden routinemässig ausgewertet», zeigt sich Hansjakob frustriert.
Das Ziel der Aktion ist vielmehr eine Vertreibungspolitik zur Stärkung des Sicherheitsgefühls in der Bevölkerung, wie sie in dieser Konsequenz in keinem anderen Kanton umgesetzt wird. Sie liegt ganz auf der Linie der als Hardlinerin bekannten St. Galler Justiz- und Polizeidirektorin Karin Keller-Sutter und passt zum geplanten Wegweisungsartikel, mit dem Störenfriede aus dem St. Galler Stadtbild vertrieben werden sollen. Herzstück der Strategie sind denn auch nicht die Scheinkäufe, sondern die raschen Verurteilungen. Davon versprechen sich die Behörden eine abschreckende Wirkung. Die Rechnung geht teilweise auf: «Es gibt weniger Händler von auswärts», so Hansjakob. Zudem agierten die Verkäufer nicht mehr so offensiv wie früher.