Agrobusiness: Die Krabbe bringt den grossen Schaden

Nr. 10 –

Den armen Ländern den Marktzugang ermöglichen oder die Liberalisierung bekämpfen? Der neue «Widerspruch» fragt nach einer linken Landwirtschaftspolitik.

Nie war ein so kleiner Teil der Menschheit in der Landwirtschaft tätig; nie war Landwirtschaftspolitik geopolitisch von derartiger Bedeutung wie heute. Die laufende Liberalisierungsrunde der WTO dreht sich um die Landwirtschaft; multinationale Konzerne dringen in Bereiche vor, die traditionell die Domäne einzelner Bauern und Bäuerinnen waren; die Gentechnik greift verändernd in die Biologie von Nutzpflanzen ein und schafft irreversible Tatsachen.

Der globalisierungskritischen Bewegung wird im Zusammenhang mit der Landwirtschaftspolitik immer wieder die Gretchenfrage gestellt: Wie haltet ihrs mit dem Liberalisieren? Haltet ihr auch dann an eurer Liberalismuskritik fest, wenn Handelshemmnisse den ProduzentInnen der Entwicklungsländer den Zugang zu unseren Märkten verwehren? Kann man in Landwirtschaftsfragen gleichzeitig LiberalismuskritikerIn und entwicklungspolitisch engagiert sein?

Es läuft falsch …

Den Fragen stellt sich der jüngste «Widerspruch» mit dem Thema «Agrobusiness - Hunger und Recht auf Nahrung». Arundhaty Roy schreibt über das irrwitzige Staudammprojekt am Narmada, Jean Ziegler über das «Massaker des Hungers» (mit 100 000 Opfern täglich). Die ersten beiden Beiträge machen die Stossrichtung klar: Es läuft vieles falsch in der Ernährungs-, Land- und Landwirtschaftspolitik unserer Tage. Mit den Worten «Die kapitalistische Landwirtschaft … » beginnt der dritte Beitrag und benennt den bösen Feind; verkörpert ist er in der Welthandelsorganisation (WTO).

Dagegen will man auch gar nicht viel einwenden, nur: Es beginnt sich bei der Lektüre ein ungutes Gefühl einzuschleichen, das bei Artikeln wie «Nestlé in Kolumbien - nachhaltige Zerstörung» von Felipe Polania Rodriguez und Barbara Rimml heftig wird. Da liest man Wendungen wie «… hat sich im Zuge der neoliberalen Globalisierung alles zum Schlechten gewendet …», und massive, ernst zu nehmende Vorwürfe an den Schweizer Nahrungsmittelgiganten mischen sich mit plumpen Schlagworten.

Dazwischen finden sich glücklicherweise Beiträge mit mehr Tiefgang. Analysen aus dem südlichen Afrika, aus China oder Brasilien stellen konkrete Fälle nationaler Landpolitiken vor. Andreas Missbach von der Erklärung von Bern (EvB) zeigt, wie die Regierung Luiz Inácio «Lula» da Silva die grossen Hoffnungen der brasilianischen Landlosenbewegung (MST) enttäuscht. Die Regierung beschloss wohl eine Landreform im Sinne des MST. Ihre Prioritäten aber setzt sie so, dass Brasilien zum Musterknaben der Finanzwelt werden soll. Es fehlt dadurch nicht nur das Geld zur Umsetzung der Reform; es entwickelt sich auch die Landwirtschaft in Richtung Exportorientierung, was den Konzepten einer nachhaltigen Landwirtschaft, wie das MST sie fordert, diametral entgegensteht. Die multinationalen Agrokonzerne erhalten heute mehr staatliche Kredite als alle Kleinbauern und Kleinbäuerinnen zusammen.

Vor- und Nachteile

Der Soziologe Qin Hui sagt, dass es in China nicht wie im Westen eine Alternative «mehr Laisser-faire oder mehr Wohlfahrtsstaat» gebe, sondern dass China beides brauche. Eine Privatisierung von Land tue Not, und in der WTO sieht Hui nicht nur das Böse: Der WTO-Beitritt von 2002 dürfte, hofft Hui vorsichtig, für die KleinbäuerInnen letztlich mehr Vor- als Nachteile bringen.

Nicht nur negativ sieht auch Marianne Hochuli von der EvB die WTO: Sie sei das einzige Instrument, mit dem ein Abbau der exorbitanten Exportsubventionen durchgesetzt werden könne, mittels deren die reichen Länder die Märkte der armen Länder mit ihrer Überschussproduktion überschwemmen. Hochuli stellt sich der eingangs genannten Gretchenfrage. Und wie immer bei solchen Fragen fällt die Antwort differenzierter aus, als der oder die Fragende erwartet. Einerseits, schreibt Hochuli, müssten die Exportsubventionen abgeschafft werden. Andererseits müssten die Staaten des Südens aber das Recht haben, ihre eigene Landwirtschaft durch Importzölle zu schützen. Die EvB wehre sich gegen ein «Marktöffnungsdogma»: Es wäre keineswegs sinnvoll, wenn die Schweiz ihre Äpfel aus Kenia importierte. Einigkeit herrscht unter den AutorInnen, dass es «ein folgenreicher Strukturfehler» sei, «die Prinzipien der Industrie - Intensivierung, Effizienz, Produktivitätssteigerung - auf die Landwirtschaft zu übertragen» (Christa Wichterich). Landwirtschaft, die den Menschen dient, darf nicht in erster Linie exportorientiert sein. «Nachhaltige Entwicklung» sei geradezu ein Widerspruch in sich, wenn Entwicklung als Wachstum, Handelsliberalisierung und Effizienz verstanden werde. Die indische Aktivistin Vandana Shiva hat errechnet, dass mit jedem Franken, der am Export von Fleisch, Blumen oder Krabben aus den armen Ländern verdient werde, diesen Ländern ein ökologischer Schaden von fünf Franken erwachse.

«Widerspruch. Beiträge zu sozialistischer Politik. Nr. 47: Agrobusiness - Hunger und Recht auf Nahrung». Zürich 2004. 232 Seiten. 25 Franken.