Helping Hands: Der Sklave an meinem Tisch

Nr. 11 –

Haussklaven gehören auch in der Schweiz bald zum guten Ton. Das pol.theater mit einer neuen Uraufführung in Zürich.

«Die siebzehnjährige Gloria musste im Winter zusammen mit dem Hund draussen vor dem Restaurant warten, während die Familie zu Mittag ass. Und der Sohn belästigte sie sexuell und versuchte, sie zu vergewaltigen», heisst es in einem Fallbericht von Terre des hommes.

Sans-Papiers im Designerbad

Vor fünfundsiebzig Jahren verabschiedeten die Vereinten Nationen eine Konvention gegen die Sklaverei, seit 1948 ist Leibeigenschaft durch die «Allgemeinen Menschenrechte» verboten. Doch 2003 gibt es laut der Zeitschrift «National Geographic» fünfundsiebzig Millionen Sklaven auf der Welt. Sie sind Opfer von Menschenschmuggel, Kinderhandel, Prostitution, Zwangsarbeit, Überschuldung. Auch in der Schweiz. Die «SonntagsZeitung» berichtete von fünfzig Fällen moderner Sklaverei in Bern, zumeist in privaten Haushalten. Terre des hommes Basel lancierte eine Kampagne gegen die Ausbeutung minderjähriger Hausmädchen, die oft aus Drittweltländern rekrutiert, ohne Einkommen und eigenes Zimmer als billiges, williges Arbeitsmaterial gehalten werden. Abhängig machen heute nicht nur physische Gewalt, sondern auch psychischer und wirtschaftlicher Druck. Schwer wiegt dabei die Rechtlosigkeit. Eine Aufenthaltsbewilligung - die Gloria und vielen anderen vielleicht den Ausbruch aus der Ausbeutung ermöglichen würden - haben sie nicht und kaum eine Chance, sie zu bekommen, weil sie sich, nicht selten unfreiwillig, illegal im Land aufhalten: der Teufelskreis der Sans-Papiers.

Ist das Stoff für eine Theaterbühne? Unbedingt, befand das pol.theater, das sich auf politische Themen spezialisiert, «weil diese auf der Bühne einfach zu selten behandelt werden», wie Patrick Boltshauser sagt, einer der Gründer. Für das Theater an der Winkelwiese schrieb er zusammen mit Marianne Freidig, Daniel Goetsch, Stefanie Grob und Gerhard Meister ein Stück aus fünf Monologen. Das Thema: Haussklaven. Kein dramatisches Pamphlet, sondern eine hintersinnige Reflexion. Zu Wort kommen nämlich nicht die Opfer, sondern die Täter, und die machen sich nicht mal schuldig, denn mittlerweile - das Stück spielt in der nahen Zukunft - gehören Haussklaven zum guten Ton und sind völlig legal zu erwerben. Zum Beispiel durch die renommierte Vermittlungsfirma Helping Hands, mit der alle beteiligten Figuren in Kontakt stehen.

Wenn einE AusländerIn - meist im Schlafsack - unter dem gleichen Dach schläft, wenn man also zur BesitzerIn eines Menschen geworden ist, tauchen Probleme auf: Die Bediensteten waschen Unterhosen, kochen Mittagessen, putzen das Klo - aber müssen sie deshalb mit aufs Familienfoto? Verdienen sie freundliche Bedienung im Café? Wird man schief angesehen, wenn man ihnen mal ein Geschenk macht? Man will sich ja bemühen und informiert sich, wie über ein neues Haustier, bei der Firma Helping Hands, die für alles ihre Statuten hat. Oder den passenden Arzt. Denn was ist, wenn ein Hausmädchen schwanger wird, oder krank oder gar stirbt?

Das Kuriose an dem Stück ist, dass es die Problematik überspitzt, indem es nicht den offensichtlichen Skandal in den Mittelpunkt rückt, sondern die Sorgen der Herrschaft mit ihren Arbeitskräften. Eigentlich sind sie ja nur zum Dreckwegputzen da, doch bestenfalls sollen sie den WohlstandsneurotikerInnen auch noch helfen, ihr psychisches Leben zu meistern; und plötzlich entdecken diese gar, dass ihre Helping Hands auch Menschen sind. Geheimnisvoll und attraktiv noch dazu. Geht nicht das Gerücht um, dass Schwarze besser sind im Bett? Ein zukünftiger Hausmannbesitzer plant schon mal die Verführung mithilfe eines Wörterbuchs in Huda.

Sprengstoff im Alltag

Regisseur Michel Schröder lässt die fünf Figuren in einem surrealen Raum zwischen Selbsthilfegruppe und Swiss Miniature aufeinander treffen, ohne konkrete Beziehung, als Schicksalsgemeinschaft. Ihn interessiert weniger der Tatbestand der legalen Sklaverei, sondern die innere Versklavung der Besitzenden, ihre Gewissensquetschung, ihre herablassende Unzufriedenheit und ihre Jämmerlichkeit punkto zwischenmenschlicher Beziehungen. Sie kämpfen mit den alltäglichen Problemen der Satten, mit denen sich die Zuschauer identifizieren und die sie gleichzeitig abartig finden können. Die Kritik gilt nicht einem Zustand, sondern dem Verhalten, das ihn hervorbringt.

Das pol.theater, bestehend aus fünf AutorInnen, einer Produzentin und einer Schauspielerin, die durch diesen Zusammenschluss mit gebündelter Kraft in der Theaterszene auftreten wollen, legt mit «Helping Hands» sein zweites Stück vor. Bereits in «Gelobtes Land», das 2003 an der Winkelwiese uraufgeführt wurde, haben die damals noch vier AutorInnen gesellschaftspolitische Themen aus dem Blickwinkel des Alltäglichen betrachtet: Wie lebt es sich mitten im Nahostkonflikt und welche Perspektive nehmen wir von hier aus dazu ein? Weil in der ersten Produktion der Bezug zur Schweiz eher auf Umwegen hergestellt werden musste, beschlossen sie, die zweite im eigenen Land anzusiedeln. Durch Zeitungsberichte wurden sie auf das Ausmass der modernen Sklaverei in unseren Breitengraden aufmerksam. Nach gemeinsamer Recherche und Lektüre entstanden Figurenskizzen, die von jedem individuell ausgearbeitet und schliesslich von Michel Schröder und den SchauspielerInnen Michael Hasenfuss, Regula Imboden, Judith Niethammer, Sandra Utzinger und Nils Torpus zu einem Theaterabend verwoben wurden. Ein ganz anderes Verfahren als bei «Gelobtes Land», das aus vier separat geschriebenen und inszenierten Kurzstücken bestand.

Um sich nicht mit Diskussionen über moralische Vertretbarkeit auseinander setzen zu müssen, benutzten die AutorInnen den Kniff, die Handlung in der nahen Zukunft anzusiedeln. Damit kann sie nicht «politically incorrect» sein, weil sie unzweifelhaft fiktiv ist. Und um sich nicht als fragwürdiges Sprachrohr vieler unterdrückter Unbekannter aufzuspielen, dichteten sie den Opfern nicht Worte und Befindlichkeiten an, sondern beliessen sie stumm und ohne Lobby, wie sie es auch im realen Leben sind. Ob sie das befriedigend vertritt?

Pol.theater mit «Helping Hands» in: Zürich Theater an der Winkelwiese, Do, 17. März, 20.30h, Premiere. 19./20./23./24./31.März; 1./2., 6.-9.April; Infos: www.winkelwiese.ch