Fünf Gründe gegen Schengen und Dublin
Schengen/Dublin ist kein Projekt der Öffnung, sondern ein Projekt der polizeilich kontrollierten europaweiten «inneren Sicherheit».
1. Festung Europa
Handschellen auf dem Rücken - dieses Bild «ziert» die Anzeige, mit der die Justiz- und PolizeidirektorInnen seit Monaten für den Schengen/Dublin-Beitritt werben. Die Symbolik macht klar: Hier geht es nicht um mehr Freiheit und Offenheit, sondern um mehr Kontrolle und Überwachung. Die Schengener Kooperation war und ist ein Laboratorium für polizeiliche Zusammenarbeit, bei der weder die Parlamente der beteiligten Staaten noch die BürgerInnen etwas zu sagen haben. Die Verträge von Schengen und Dublin sind die rechtlichen Fundamente und Mauern der Festung Europa. Sie sind der Ausgangspunkt für eine restriktive Asyl- und Visumspolitik. Sie zementieren eine rigide polizeiliche (und militärische) Überwachung der Aussengrenzen, die in den letzten zehn Jahren tausende von Toten gefordert hat.
2. Kontrolle überall
Das Schweizer Grenzwachtkorps betont: An den Grenzen des Landes wird sich gar nichts ändern. Erstens kann der Schweizer Zoll bei den weiter bestehenden Warenkontrollen auch in Zukunft Personen kontrollieren. Zweitens werden schon heute im ganzen Schengen-Raum die Grenzen wieder geschlossen, wenn es etwa darum geht, unliebsame DemonstrantInnen vom Besuch internationaler Protestveranstaltungen abzuhalten - so geschehen bei allen grösseren globalisierungskritischen Mobilisierungen (Genua, Davos, Evian). Und drittens plant die Schweiz nach deutschem Vorbild die Grenzkontrolle durch die Schleierfahndung zu ergänzen, das heisst durch verdachtsunabhängige Kontrollen im Landesinnern. Diese Kontrollen sind notwendigerweise willkürlich, sie richten sich nach äusserlichen Merkmalen («fremdländisches» Aussehen, unangepasste Jugendliche). Sie sind ein Verstoss gegen das verfassungsmässige Recht der Bewegungsfreiheit und führen den Ausweiszwang durch die Hintertür ein.
3. Neue Fichen
Anfang 2003 waren 1,2 Millionen Personendaten im SIS erfasst. Nur 1,6 Prozent der Personen waren wegen einer Straftat zur Festnahme ausgeschrieben. Fast 90 Prozent der Personendatensätze betraf dagegen Menschen, die aus ausländerrechtlichen Gründen gesucht wurden (abgelaufenes Visum, zur Zurückweisung an der Grenze usw.). Die Verbrechensbekämpfung dient also als Vorwand zum Betrieb einer Datenbank und Kontrollinfrastruktur, die sich vor allem gegen AusländerInnen richtet. Das SIS ist damit das technische Instrument der Festung Europa. Der Ausbau zum «SIS der zweiten Generation» und der zusätzliche Aufbau einer Visumsdatenbank werden diese Tendenz verstärken.
4. Abbau der Asylrechte
Kern des Dubliner Abkommens und seiner Folgeregelungen ist der Ausschluss von Zweitgesuchen. Weil die Schweiz mitten im Dubliner Raum liegt, hätten praktisch nur noch jene Asylsuchenden eine Chance, die auf dem Luftweg einreisen. Economiesuisse verspricht sich Einsparungen im Asylbereich von hundert Millionen Franken, weil mit der Fingerabdruck-Datenbank Eurodac Zweitgesuche umgehend erkennbar wären.
Die Asyl-«Minimal Standards» der EU bringen keine Abhilfe: Erstens sind sie auch bei einem Dublin-Beitritt für die Schweiz nicht rechtlich bindend. Zweitens enthalten sie im Vergleich zum schweizerischen Asylrecht nur minimale Vorteile (geschlechtsspezifische Fluchtgründe), dafür aber eine rigide Drittstaatenregelung. Diese verweigert unter anderem Flüchtlingen, die auf dem Landweg die Schweiz erreichen, das Recht, ein Asylgesuch zu stellen. Denn die benachbarten EU-Staaten sind «sichere» Drittstaaten.
5. Sonderweg für Sonderwünsche
Wenn die Rechte und die Wirtschaft ihre Interessen auf dem bilateralen Weg durchsetzen können, wird sich in der Schweiz keine Mehrheit für einen Beitritt finden lassen. Es ist nicht einzusehen, weshalb die Linke in vorauseilendem Gehorsam die hässlichsten Teile der EU-Vereinbarungen schlucken soll, während die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU von der Schweiz weiterhin freundlich ignoriert werden.
Deshalb …
… sind wir für eine demokratische und offene Schweiz in einem demokratischen und offenen Europa.
Bürgerliche GegnerInnen und bürgerliche BefürworterInnen des Schengen/Dublin-Beitrittes streiten sich heute darum, wer die schärfere Law-and-order-Politik betreibt. Die SVP kämpft mit fremdenfeindlichen Argumenten für die Beibehaltung der nationalen Grenzen. Bundesrat und PolizeidirektorInnen wollen an die Stelle des repressiven Kleinstaates den modernen europäischen Überwachungsstaat setzen. Wir wollen weder das eine noch das andere. Unser Massstab sind die Grund- und Menschenrechte. Das haben wir gemeinsam mit der demokratischen Opposition in der EU.
Deshalb sind wir für ein linkes Nein zum Schengen/Dublin-Beitritt und zur Wohlstandsfestung Europa.
Totaler Staatsschutz
«Wer Macht will, macht zuerst mal Angst. Dann liefert er das Rezept: seine starken Muskeln. Seit dem 9/11-Vorfall wird die Bevölkerung mit der Angst vor Terror und Verbrechen eingeschüchtert. So ist der Weg frei für einen totalen Staatsschutz. Die EU baut innen Grenzen ab, zieht sie dafür aussen hoch.
Wer es trotz allem in die EU schafft, wird mit dem Dubliner Erstasylabkommen abgewehrt. Die EU gedeiht, derweil Millionen auf der südlichen Hemisphäre auf der Flucht sind. Die Mächtigen stört es nicht. Sie sorgen dafür, dass die letzten Ölquellen noch fliessen.
Die Millenniumsziele der Uno gegen Armut sind aber nicht ohne Verzicht erreichbar. Dieses Versprechen muss unser Ziel sein und nicht Schengen/Dublin.»
Geri Müller, Nationalrat Grüne, Baden AG
Das falsche Eintrittsbillett
«Der Vertrag von Schengen verstärkt die Abschottung der ‹Festung Europa› gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern, die nicht zur Europäischen Union gehören. Im Schengen-Polizeicomputer SIS gespeichert sind vor allem unerwünschte Migrantinnen und Migranten, AktivistInnen der Antiglobalisierungsbewegung und so weiter. Die Übernahme dieses repressiven Instrumentariums, notabene ohne demokratische Mitentscheidungsrechte, lehne ich ab. Ein Ja zu Schengen ist das falsche Eintrittsbillett für Europa. Deshalb stimme ich am 5. Juni gegen dieses Abkommen.»
Niklaus Scherr, Zürcher Gemeinderat der Alternativen Liste, Stiftungsrat Archiv Schnüffelstaat Schweiz