Les Reines Prochaines: Holprige Reime, aufmüpfig und ungeschönt
Seit achtzehn Jahren frisch und unverdrossen unterwegs, präsentieren die Königinnen ihr neuestes Kampflied, «Starke Kränze».
«Der Geschlechterkampf tobt», behaupten Les Reines Prochaines angriffslustig im Titelsong ihrer neuen Maxisingle «Starke Kränze». «Kapital und Ressourcen», singen sie im marschunterlegten Chor, «die Hälfte der Macht / das gehört uns das bekommen wir / haben wir gedacht ...». - Tobt er wirklich noch, der Kampf der Geschlechter? Hat die kleine Empörung überlebt, die Bürgerinnen (und Bürger) unseres Landes aufschreckte, als die Frauen einen Bundesratssitz an den Rechtspopulisten Christoph Blocher abtreten mussten? Die Stellungnahme der Reines Prochaines ist unzweideutig, sie kennt keine Diplomatie, überschreitet Anstandsgrenzen und verfehlt ganz gezielt den guten Ton. «Es gibt Lieder, die geschmettert werden müssen. Jawohl. Der Ärger ist gross über die peinliche Wahl in Bern. Eklig. Ein Stich in die eitrige Geschlechterverhältnisbeule unseres bergigen Landes. Jetzt spritzt der Saft. Ja klar. Feminismus ist salonfähig.»
Wider den stummen Stillstand
Die Kampfansage der fünf Protagonistinnen (Michèle Fuchs, Fränzi Madörin, Muda Mathis, Barbara Nägelin und Sus Zwick) gilt - ganz unabhängig von streitbaren Tagesaktualitäten - der unsäglichen Vorsicht, dem tatenlosen Vertrauen, der zögerlichen Reflexion, dem stummen Stillstand. Aufmüpfig und ungeschönt posaunen sie holprige Reime ins Mikrofon, mit beissendem Vokabular, in gemimter Ekstase oder doppelbödiger Melancholie stiften sie zum Aktionismus an. Aus dem Widerstand gegen politisch, sozial, biografisch bedingtes Unbehagen speisen sich Texte und ihre Vertonung; Pop, Tango, Volksmusik und Klassik können Pate stehen. Die Konzerte, die gleichzeitig oder mehr noch Performances sind, kultivieren einen kindlich anmutenden Dilettantismus. Der Charme des Selbstgemachten sichert die Nähe zum Publikum, während ein gut ausgerüstetes Tonstudio, Website und professioneller CD-Vertrieb die Anfänge der Reines Prochaines zur nostalgischen Erinnerung verblassen lassen.
Man erinnere sich: Vor achtzehn Jahren gründeten drei Performerinnen, Musikerinnen, bildende Künstlerinnen die Reines Prochaines: Teresa Alonso, Regina Florida Schmid und Muda Mathis waren die ersten Bandmitglieder, kurz darauf stiessen Fränzi Madörin und Pipilotti Rist dazu. «Anfangs hatten wir einen Synthesizer, wir sangen und haben herumgeschlägelt.» In wechselnder Besetzung - fünf ehemalige Königinnen gibt es inzwischen - und in anhaltender Praxis im Studio und vor Publikum erweiterten sie ihr Repertoire: «Natürlich haben wir eine riesige Entwicklung durchgemacht. Anfangs versuchten wir etwas mit vier Tönen zu machen, heute sind es Arrangements. Wir machten zum Beispiel die Erfahrung, dass wir mit dem Publikum kommunizieren konnten und nicht mehr bloss unsere Lieder vortragen wollten. Musikalischer ist es geworden, erzählerischer auch, performativer, und mit jedem Mitglied kann sich das Spektrum auch instrumentalisch verändern. Ein Stück weit vertrauen wir darauf, dass das Wesentliche im Konzert selbst geschieht, mit dem Publikum.»
Bittersüsse Provokation
Wie hat sich das Selbstverständnis der Königinnen gewandelt? «Wir sind älter geworden. Da, wo wir als junge Menschen drauflos agierten, im Kreis von Freundinnen, die teilweise auch zusammenwohnten, ist es jetzt ruhiger geworden. Wir haben vieles professionalisiert, alle wohnen jetzt in ihren Beziehungen und nicht mehr in WGs, alle machen beruflich Seriöses, und ein Teil hat Familie.» Die Reines Prochaines haben es mit einem veränderten feministischen Bewusstsein auch in den eigenen Reihen zu tun. Muda Mathis, Königin der ersten Stunde, beobachtet eine jüngere Generation, die heute das Erbe feministischer Slogans antritt: «In den neunziger Jahren verfolgten wir die 'Strategie der Selbstverständlichkeit'. Die jungen Frauen sagten, mit dem Feminismus sei es jetzt vorbei. Heute beobachte ich, wie viele intellektuelle Frauen, die jetzt etwa dreissig sind und Kinder haben, brutal von der Realität eingeholt werden und dann ziemlich radikal feministisch werden, mindestens in ihrer Sprache, in der Verbalisierung. Sie erwachen, nachdem sie gedacht hatten, es sei eigentlich jetzt in Ordnung und man müsse nicht mehr 'stürmen'. Das sind keine Anti-Feministinnen mehr, das sind eigentliche Post-Feministinnen, die sich sehr dezidiert artikulieren.»
In gewitzter Inszenierung und neuen Songs stürmen sie weiter. Die hartnäckig bittersüsse Provokation in den Songs geht einher mit einem differenzierten Blick auf die weitgehend apolitische Musik- und Kunstszene. «Es drängt etwas dazu, wieder Stellung zu beziehen», formuliert Muda Mathis heute stellvertretend für die Band, die sich - allein durch die aktive Beteiligung von Künstlerinnen - auch der bildenden Kunst zugehörig fühlt und ihr Know-how teilweise aus den Ateliers der Mitglieder speist. «Halluzination», der Titel des jüngsten Konzertprogramms, bezieht sich lose auf den Mangel an risikobereiten Stellungnahmen: «Man hat die Haltung gegenüber politischen Themen in der Kunst unendlich viel mehr gefürchtet als vieles andere. Ein Werk war jeweils gut, wenn es das politische Interesse hat flirren lassen, ohne konkret Stellung zu beziehen. Wir Künstlerinnen und Künstler haben es regelrecht kultiviert, Latenz herzustellen. Eigentlich haben wir ja mit der Politik an höchster Stelle, die Geld für die Pro Helvetia und kantonale Kulturförderungen spricht, überhaupt nichts zu tun. Man ignoriert sich gegenseitig, scheinbar kann man es sich leisten, man ist weder im Gespräch noch interessiert man sich füreinander, und wenn es dann zum Konflikt kommt wie bei Thomas Hirschhorn, der ja die Politik im Visier hat, stellen wir fest, dass wir überhaupt keine Formen der Auseinandersetzung geübt haben.»
Sinnliches Beiwerk
Konflikte lassen sich schüren, und sei es bloss im eindringlichen Entertainment, in der Exklusivität von dicht besetzten, nummerierten Konzertsälen. Sinnliches Beiwerk und die Lust an der Übertreibung tragen die Auftritte der Reines Prochaines. Der zweite Song der neuen Maxisingle, «Preisausschreiben», halluziniert in zunehmend wilder Begeisterung die fiktive Auszeichnung in Form einer Kellerlüftung. Nach einer schier atemlosen Motivkette vom Haartrockner über ein maisgefülltes Futtersilo bis zum zunächst harmlosen Geplauder mündet er in eine um sich greifende Revolution. Die Umverteilung der Macht, die angemessene Teilhabe von Frauen am öffentlichen Leben oder schlicht die Entschlossenheit, die Welt zum Besseren zu verändern, keimen ganz offensichtlich im konspirativen Zusammensein. Königinnen kommen selten allein. Wären sie auch dann aufmüpfig, wenn sie ihre Arbeit individuell vorantrieben? «Aufmüpfigkeit», sagen Muda Mathis und Sus Zwick, «ist per se etwas, was einfacher geht im Sichhineinreden und Sichergänzen in der Gruppe.» Indem jede ihre Ideen einbringt, arbeiten sie wider die Routine. Mit Respekt werden ästhetische Konzepte und musikalische Spurensuchen begleitet, auch wenn sie nicht von Anfang an den Vorstellungen aller Gruppenmitglieder entsprechen. «So begeben wir uns immer wieder in Felder, die für die Einzelnen unbekannt sind und wo wir uns nicht auf eine Routine stützen können.» Es gilt, die Radikalität der Autorschaft zu schützen innerhalb der Teamarbeit und Ideen mit gegenseitiger Unterstützung zu verfolgen.
In wenigen Tagen werden sie dem Ideologieverdruss der neunziger Jahre einmal mehr öffentlich die Stirn bieten und das Vertrauen in den Frieden der Geschlechter in munterer Selbstüberhöhung in den Boden trampeln: Am 1. Mai nachmittags anlässlich der offiziellen Feier auf dem Barfüsserplatz in Basel erklingt das Kampflied live.
Les Reines Prochaines: «Starke Kränze». Recrec.