Les Reines Prochaines: Noch immer: Do it yourself!

Nr. 6 –

Wie schafft es die Performanceband Les Reines Prochaines seit 25 Jahren, sich immer wieder von Neuem zu erfinden? Ein Besuch bei Muda Mathis, Sus Zwick und Fränzi Madörin in ihrem Atelier in Kleinbasel.

«Furchtbar resistent gegen Trends und Erwartungen»: Fränzi Madörin, Sus Zwick, Michèle Fuchs und Muda Mathis wollen niemals zu Spezialistinnen werden.

Illustre Beizen, Lebensmittelläden aus verschiedensten Ländern, Wohnblocks: Durch die Amerbachstrasse in Kleinbasel weht ein internationales Flair. Zurzeit steht die Strasse vor allem in den lokalen Schlagzeilen, weil sich hier das Rotlichtmilieu immer mehr ausbreitet.

Inmitten dieses lebendigen Viertels in der Rheinstadt befindet sich die Ateliergemeinschaft Via. Bereits seit 1988 teilen sich unter diesem Namen verschiedene (vor allem im audiovisuellen Bereich tätige) KünstlerInnen ein Büro sowie ein Ton- und ein Videostudio. Seit einem Jahr ist die Zweckgemeinschaft an der Amerbachstrasse beheimatet: Die Gestelle im grossräumigen Atelier mit der hellen Fensterfront sind bis unter die Decke gefüllt – unter anderem mit Bühnenutensilien und vorsteinzeitlichen Fernsehgeräten. Fixe Arbeitsplätze gibt es keine, man setzt sich mit dem Laptop dorthin, wo gerade Platz ist. So auch die Frauen der Performanceband Les Reines Prochaines, die heuer ihr 25-jähriges Bestehen feiert.

Vielleicht das Geheimrezept

Draussen pfeift die unerbittliche Januarbise, drinnen versuchen sich drei der vier «Reines», Muda Mathis, Sus Zwick und Fränzi Madörin – Michèle Fuchs konnte nicht dabei sein –, bei einem Krug dampfend heissem Tee zu erklären, wieso sich ihre Gruppe über all die Jahre gehalten hat. «Wir sind furchtbar resistent gegen Trends und Erwartungen», sagt Muda Mathis, «vielleicht ist das unser Geheimrezept.» Und trotzdem hätten sie das Interesse für das Gegenüber nie verloren: «Wenn du es nicht mehr schaffst, über deinen eigenen Tellerrand hinauszublicken, kannst du gleich einpacken.» Fränzi Madörin ergänzt: «Solange der Suppentopf nicht mit geschlossenem Deckel vor sich hin schmort, funktioniert das. Wir haben uns in unserem eigenen Tempo weiterentwickelt und versucht, nicht über Ansprüche und Erwartungen einer Szene oder eines Mainstreams zu stolpern.»

Vielleicht ist dies mit ein Grund dafür, dass das Publikum das Interesse an den «Königinnen» nie verloren hat: Seit ihrer Gründung im Jahr 1987 tritt die «konzeptuelle Band» regelmässig auf. Mit dem eben erschienenen «Blut» haben die vier ein neues Album vorzuweisen, mit «Syrup of Life» ein brandneues Liveprogramm – und mit «Les Reines Prochaines» von Claudia Wilke sind sie derzeit auch in einem Dokumentarfilm zu sehen. Wobei sich die Themen leicht verschoben haben: So besingen sie in ihrem neuen Programm die letzte Monatsblutung vor Beginn der Wechseljahre oder auch unschöne Ausdünstungen des Körpers nach dem Verzehr einer Blutwurst. Ja, die Reines sind älter geworden – aber kein bisschen leiser.

Gegen SpezialistInnentum

Die politische Heimat der Königinnen sind die bewegten, unruhigen achtziger Jahre. «Damals galt: Wenn du etwas willst, musst du es selber machen; wenn du dir etwas wünschst, bist du verantwortlich dafür, dass es in die Welt gesetzt wird», erinnert sich Mathis. «Dieses Selbstverständnis hat uns geprägt – und das haben wir, wenn auch modifiziert, bis heute beibehalten.»

In den neunziger Jahren kam dann die Professionalität dazu – und damit auch die Entscheidung, das Kunstschaffen und Musikmachen zum Beruf zu machen. «Wir wollten herausfinden», so Mathis, «was passiert, wenn Frauen miteinander etwas erschaffen und artikulieren.»

Die Arbeit im Kollektiv und der Gedanke des «do it yourself» – auch das ein Überbleibsel aus den Achtzigern – sind bis heute ihr Antrieb geblieben. «Um sich und die Welt zu begreifen, soll man sich alles aneignen dürfen», sagt Mathis. «Kein Spezialistentum – das wäre natürlich das Ideal. In Wirklichkeit gehen wir mittlerweile schon talentbezogen um.» Auf der Bühne aber, so Madörin, sei dieses «alle machen alles» immer noch sichtbar: «Wir treten alle als Sängerinnen auf, jede von uns steht gleichermassen im Vordergrund, und jede schreibt Songs.»

«Alleine denken ist kriminell», heisst es im «Ersten Manifest grosser und angesehener Künstlerinnen», das Mathis und Zwick 1999 mit anderen Basler Künstlerinnen verfassten. Der Satz, entliehen vom KünstlerInnenduo Relax, scheint stellvertretend für ihre Arbeitsweise zu stehen. «Das Individuum kann ja nur alleine denken. Auf der anderen Seite gibt es die Redensweise ‹zusammen etwas andenken›. Wenn im Kollektiv etwas ausgeheckt wird, braucht es denkende Individuen», umschreibt es Mathis. Oft tendiere man ins Extreme, wenn man etwas selber zu Ende denke, «in einer Gruppe aber wird das immer wieder aufgebrochen. Es bleibt nicht klein und eng. Das ist der Vorteil des Kollektivs.»

Wenn ein neues Projekt in der Pipeline steht, heisst es zuerst einmal Agendas zücken: Die Königinnen sind beschäftigte Frauen, neben unzähligen Projekten unterrichten sie alle auch noch. «Haben wir einen Termin gefunden, verziehen wir uns erst einmal ins Appenzellerland in eine Alphütte», sagt Madörin. «Dort arbeiten wir sehr assoziativ: sammeln Ideen, spielen, denken, improvisieren und verbringen Zeit zusammen. Unsere Alltage sind unterschiedlich, deshalb geht es erst einmal darum, eine gemeinsame Konzentration zu finden.» Nach dem Sammeln all der Notizen und Gedanken, die sich bei den vier im «Hinterstübli» angesammelt haben, legen sie alles zusammen auf den Tisch. «Es entsteht eine Wolke von Ideen», so Mathis. «Dann gehen wir sehr bald zum Ausprobieren über, ans Ideen-Überprüfen, damit wir nicht zu viel Zeit mit Diskutieren verlieren.»

Dass dies so gut laufe, liege daran, dass sie schon so lange zusammen arbeiten und wissen, welche Arbeitsweisen funktionieren, meint Madörin: «Es ist ein erprobtes System.»

Ein System, das seit 25 Jahren funktioniert. Mitglieder kamen und gingen – unter ihnen auch Pipilotti Rist, die von 1988 bis 1994 dabei war. «In der ursprünglichen Besetzung gab es erstaunlich wenige Wechsel. Vier der zehn ursprünglichen Reines sind noch dabei», so Sus Zwick. Sie ist kurz vor der Plattentaufe neben den täglichen Proben vor allem damit beschäftigt, den Mailversand und andere administrative Arbeiten zu erledigen. Auf einen Manager verzichtet die Band: Das Booking und die Organisation übernimmt Zwick in Eigenregie.

Funny Feminists All Star Show

Die Musik ist nur eine Ausdrucksform der Künstlerinnen. Zwick, Mathis und Madörin arbeiten seit Jahren auch als Videokünstlerinnen und Performerinnen. Die Labels seien zwar klar getrennt, gegenseitig bereichern aber tun sich die verschiedenen Kunstformen seit je: «Diese Zerstreuung, das Selbstverständliche über den Haufen zu werfen, das inspiriert die konstante Arbeit mit den Reines Prochaines ungemein – und reisst uns immer wieder aus der Gewohnheit heraus», sagt Mathis.

Auch lasse sich dieses Tanzen auf mehreren Hochzeiten gut mit dem Prinzip des prozesshaften Arbeitens vereinbaren, meint Madörin: «Wer sich dazu entschliesst, bei einem neuen Projekt mitzumachen, verpflichtet sich dazu, von Anfang bis Ende dabei zu sein. Wir erarbeiten das neue Material, treten ein Jahr lang damit auf – und dann ist es wieder vorbei.» Auch für Mathis und Zwick, die nicht nur zusammenarbeiten, sondern auch privat als Paar zusammenleben, ist das eine ideale Arbeitsweise: «Dass wir so in Phasen arbeiten, kommt unserer Beziehung entgegen», sagt Zwick. Arbeit und Privates liessen sich so relativ gut voneinander abgrenzen. «Wenn wir in der Band arbeiten, agieren wir nicht als Paar, sondern befinden uns in einer anderen Rolle», so Mathis.

«Funny Feminists All Star Show» heisst es an einer Stelle im neuen Programm. Begegnen die Reines, schon immer eine reine Frauenband, dem Feminismus mit einem Augenzwinkern? «Es soll nicht dogmatisch daherkommen, aber diese Revue des Feminismus ist durchaus ernst gemeint oder besser gesagt: bewundernd», so Madörin. Der Feminismus sei eine Selbstverständlichkeit für ihre Arbeit, aber richtig intensiv damit befasst hätten sie sich schon lange nicht mehr. Doch für eine Ausstellung zum Thema «Feminismus» im Museu de Arte Moderna de Salvador de Bahia in Brasilien kreierten sie kürzlich die Installation «The Golden Landscape of Feminism». Mathis: «Es machte richtig Spass, beim Recherchieren wieder einmal zu realisieren, wie unglaublich divers und kontrovers der Feminismus ist – und immer schon war.»

Les Reines Prochaines: «Blut». Unrecords.

Les Reines Prochaines Anfang 2013 auf Tour mit «Blut – 
Syrup of Life» in: Sommeri, Löwenarena, Samstag, 16. März; Zürich, Helsinki, Samstag, 23. März; St. Gallen, Kellerbühne, Samstag, 30. März; Thun, Café Mokka, Freitag, 5. April.

«Les Reines Prochaines. Alleine denken ist kriminell». CH 2012. Regie: Claudia Wilke. Derzeit in diversen Kinos.