Dreissig Jahre Les Reines Prochaines: Gemeinsam geht es immer noch besser

Nr. 6 –

«Von der Ideologie zur Choreografie!», sagten sich die Musikerinnen von Les Reines Prochaines – und beschenken sich zu ihrem 30. Geburtstag mit einer lustvollen Revue zum Thema Arbeit.

Les Reines Prochaines haben bei früheren Königinnen angeklopft und neue Gesichter dazugeholt. Von links: Sus Zwick, Michèle Fuchs und Muda Mathis. Foto: Nicole Boillat

«Früher hätte ich gedacht, dreissig Jahre lang am gleichen Ort sein und das Gleiche machen, das wäre furchtbar. Jetzt ist es passiert, und es macht einfach immer noch Spass.» Das sagt Fränzi Madörin einmal, ganz zu Beginn von «Let’s sing, Arbeiterin*», dem neuen Stück von Les Reines Prochaines. Madörin ist seit 1988 Teil der Reines Prochaines, die 1987 gegründet wurden – und die einfach immer weitergemacht haben, mit wechselnden Musikerinnen und mit sichtlich grosser Lust. Auch heute noch sind die Reines eine der wenigen Schweizer Bands mit rein weiblicher Besetzung.

Liebeslied der Care-Arbeiterin

Dass die vielen Wechsel die Gruppe nicht destabilisiert, sondern eher bereichert haben, ist deutlich zu merken. Neue Mitglieder brachten nicht nur neue Instrumente, sondern auch neue Ideen mit. Muda Mathis ist die Einzige, die seit 1987 dabei ist. Trotzdem sind eine klare Linie und vor allem eine klare Haltung erkennbar: eine feministische Grundhaltung, die nicht in den achtziger Jahren festhängt, sondern sich weiterentwickelt, neue Themen aufgenommen hat.

Zu Beginn standen Les Reines Prochaines nur mit Synthesizern und ihren Stimmen auf der Bühne, mit den Jahren sind weitere Instrumente hinzugekommen, sodass die Musik der Reines voller, komplexer geworden ist – viel Chanson, ein bisschen Polka, Schlager, Punk. Doch was an ihren Auftritten vor allem mitreisst, ist ihre Präsenz auf der Bühne, ihr begeistertes Zusammenspiel – und auch ihre Texte. Les Reines Prochaines sind ja nicht nur Band, sondern auch Performancegruppe, für die volle Ladung kommt man also um einen Liveauftritt kaum herum.

Nun haben die Königinnen in ihrem 32. Jahr beschlossen, ihr 30. Jubiläum zu feiern. So genau muss man es ja nicht nehmen. Geschenkt haben sie sich dazu ein Bühnenprogramm. Die aktuelle Besetzung der Reines – Muda Mathis, Fränzi Madörin, Sus Zwick und Michèle Fuchs – hat für das Projekt bei früheren Königinnen angeklopft und einige neue Gesichter dazugeholt. So stehen sie nun zu zwölft auf der Bühne, tanzen, singen, spielen, alle abwechslungsweise und immer wieder alle zusammen. Der Abend ist als Revue gestaltet, in sechzehn Liedern oder Erzählungen, ergänzt mit Performanceteilen, unterlegt mit Videos. Das Thema: Arbeit. Und weil das ein so weites Feld ist, nehmen sie sich auch ganz viele unterschiedliche Aspekte vor, die kurz aufleuchten, um dann schnell zum nächsten zu springen.

Sibylle Aeberli singt ein zärtliches Liebeslied, das sich beim genaueren Hinhören als Lied einer Care-Arbeiterin entpuppt, die in ihrer prekären Anstellung gar nicht anders kann, als einfach «nur für dich» da zu sein. Sus Zwick nimmt uns mit auf eine Reise durch den Postkommunismus, Fränzi Madörin merkt, dass es in Ordnung ist, eine «Halbwisserin» zu sein, und Michèle Fuchs erzählt in «Professorin Logopädie» davon, wie es ist, als Frau in dieser Welt nicht gehört zu werden.

Freie Ponys für lesbische Mädchen

Trotzdem gibt es wiederkehrende Themen, die das Theaterstück zusammenhalten. Letztlich ist die Revue eine Kampfansage an die Vereinzelung. Sich nicht isolieren lassen, «nur zusammen sind wir nicht arm», heisst es gleich zu Beginn, später wird von Doro Schürch das Kollektiv besungen, «together gehts besser». Und Muda Mathis macht sich in ihrem Lied «Individualismus» über diesen lustig: «Individualismus ist ein Modell / das die Welt nach den Bedürfnissen des Einzelnen arrangiert / Das ist eine richtig wichtige Errungenschaft der Moderne.» Die Aussage der Reines Prochaines ist klar: Befreiung, Emanzipation, das geht nur gemeinsam. Und das Gemeinsame müsse geübt werden – «wie in der Musik». Das passt zur Arbeitsweise der Reines. Immer wieder haben sie in den letzten drei Jahrzehnten betont, wie wichtig ihnen die Arbeit im Kollektiv ist. Dass die Einzelne darin nicht untergeht, sieht man auch in diesem Stück.

In «Let’s sing, Arbeiterin*» werden viele kritische Töne angestimmt, viele Fragen in den Raum gestellt und offengelassen. Trotzdem ist der Abend optimistisch. So werden auch andere Entwürfe von Arbeit und Zusammenleben besungen: Arbeit könne auch etwas Schönes sein, wenn man dann auch mal wieder damit aufhören könne, wenn man sie sich aufteilt, wenn man einander hilft. Ja, vielleicht sind das einigermassen naheliegende Leitsätze für ein linkes Publikum, aber es kann ja nicht schaden, sie sich mal wieder hinter die Ohren zu schreiben. Und dann ist doch wieder nicht alles ganz klar, wie etwa bei der Feststellung, dass auch unterbezahlte Gelegenheitsjobs befreiend sein können: lieber einen eigenen Lohn in der Anonymität der Grossstadt als das «Getöse der Familie».

Zum Schluss besingt Chris Regn dann noch einige verspielte Perspektiven: Stolz zu sein auf das Nichtbesitzen, fordert sie, immer weiter zu diskutieren und alte Freundinnenkreise zu erweitern. Und, natürlich, «freie Ponys für lesbische Mädchen». Nur schade, dass bei der ganzen Beschwingtheit die Revue im Theater stattfindet und das Publikum auf den Sesseln klebt. Aber Les Reines Prochaines sind dieses Jahr zum Glück auch wieder auf kleineren Konzertbühnen zu erleben.

«Let’s sing, Arbeiterin*» in: Zürich, Gessnerallee, 7. und 8.  Februar 2019, 20 Uhr; Bern, Tojo Theater, 20., 22. und 23.  Februar 2019, 20.30 Uhr. Konzerte in: Bern, Frauenraum, mit Casiofieber, 8. März 2019, 20  Uhr, und Brig, Kellertheater, 15. März 2019, 20.30 Uhr.