GLÜCK: Die Belohnung des Gehirns

Nr. 19 –

Es entsteht in einem winzigen Teil unseres Gehirns. Und kaum ist es da, ist es wieder fort: Glück. Ein Gespräch mit dem Philosophen und Neurobiologen Gerhard Roth über das schönste Gefühl der Welt.

WOZ: Professor Roth, haben Sie eine Erklärung dafür, warum der Mensch so selten glücklich und so oft ängstlich ist?

Gerhard Roth: Aus biologischer Sicht ist diese Asymmetrie notwendig. Furcht und Angst sind für unser Überleben viel wichtiger als Glück oder Lust. Man kann ein Leben lang ohne Glück leben, aber ohne Furcht kann man nicht überleben. Diese Furcht macht uns vorsichtig. Menschen, die allzu glücklich sind, tendieren dazu, leichtsinnig zu werden und Gefahren zu übersehen. Das kann lebensgefährlich sein.

Die Angst ist demnach eine Art Alarmanlage, die uns sicher durchs Leben bringt.

Man muss sagen: die Furcht. Zwischen Angst und Furcht muss man unterscheiden. Furcht ist eine Abwehrhaltung gegenüber etwas Konkretem. Angst ist eine generalisierte Furcht. Wenn sich jemand vor allem und jedem fürchtet, dann hat er Angst. Furcht ist also gut, Angst ist schlecht.

Aber diese Furcht sorgt auch dafür, dass unser Leben weniger schön ist.

Ja, das ist richtig. Das ist in gewissem Sinne die Tragik unserer Existenz.

Wann waren Sie das letzte Mal glücklich?

Ich bin immer glücklich, wenn ich von einer anstrengenden Reise nach Hause komme und mit meiner Familie zusammen bin, wenn ich dann etwas Gutes zu essen bekomme oder schöne Musik höre. Mein letztes rauschhaftes Glückserlebnis hatte ich, als ich einen Vortrag vor sehr vielen Menschen hielt, die danach begeistert waren. Da war ich für einen Moment überwältigt.

Wozu hat es die Natur dann überhaupt eingerichtet, dass der Mensch Glück empfinden kann?

Auch hierfür gibt es eine biologische Erklärung. Die Natur hat die Lust und das Glück als Lockmittel erfunden. Die Aufnahme von energiereicher, süsser Nahrung, das Ausleben unserer Sexualität, das Einlegen von notwendigen Erholungsphasen - das alles empfindet der Mensch als lustvoll. Die Aussicht auf Lust und Glück bewegt uns dazu, Dinge zu tun, die uns und unsere Art erhalten.

Aber Menschen finden das Glück ja auch in Dingen, die für das Überleben gar nicht wichtig sind: die eine zum Beispiel beim Hören eines bestimmten Songs, der andere beim Besteigen eines hohen Berges.

Von frühester Kindheit an lernen wir, dass bestimmte Dinge mit Schmerz oder mit Lust verbunden sind. Wir werden emotional konditioniert. Als Säuglinge lernen wir, dass primäre Bedürfnisbefriedigungen wie die Nahrungsaufnahme sehr lustvoll sind. In einem zweiten Schritt lernen wir, dass die Stimme des Vaters oder der Anblick der Mutter meistens ein Signal ist, das dieser Bedürfnisbefriedigung vorausgeht.

Sie meinen: Wir sehen die Mutter und wissen, dass es bald was zu essen gibt.

Ja, und diese beiden Dinge werden dann aneinander gekoppelt: Die Lust, die wir bei der Nahrungsaufnahme empfinden, empfinden wir auch beim Anblick der Mutter, beim Geruch und der Wärme ihrer Haut. Und so geht das immer weiter. An die Anwesenheit der Mutter koppeln sich andere Signale, und so werden von uns immer mehr Dinge mit Lustgefühlen besetzt. Diese Konditionierung entsteht oftmals ganz willkürlich.

Können Sie uns das genauer erklären?

Stellen Sie sich vor: Sie sind in einem Moment aus irgendeinem Grund glücklich. In diesem Moment passiert etwas, das mit dem Glück gar nichts zu tun hat. Aber dieses Ereignis wird sozusagen Huckepack genommen, und wir werden darauf konditioniert. Ein Beispiel: Sie sind mit einer geliebten Person an einem Strand in der Karibik und sind unglaublich glücklich. Zufällig dudelt irgendein blöder Schlager aus dem Hintergrund. Immer wenn sie diesen Schlager hören, überfallen sie unausweichlich romantische Gefühle. Diese zufällige emotionale Konditionierung spielt bei der Entstehung von Sympathien und Antipathien eine wichtige Rolle. Sie erklärt zumindest zum Teil, warum die Menschen so verschieden sind, warum ihnen so unterschiedliche Dinge Spass machen. Selbst unter Geschwistern sind die emotionalen Vorlieben oftmals ganz gegensätzlich, obwohl sie ähnliche Gene besitzen.

Was genau den Einzelnen glücklich macht, ist also ein Ergebnis von biografischen Zufällen?

Das kann durchaus so sein. Wesentlich von der Natur vorgegeben ist allerdings, wie sehr ein Mensch in der Lage ist, dieses Glück zu empfinden. Unser emotionales Rückgrat ist angeboren. Untersuchungen haben gezeigt: Ob ein Mensch eine eher glückliche oder unglückliche Grundhaltung zum Leben hat, ist weitgehend unabhängig von seinen Lebensbedingungen. Der eine kann in ärmlichen Verhältnissen leben und ist glücklich. Der andere ist mit einem Milliardenvermögen und zwei Nobelpreisen noch unglücklich. Manche Menschen werden schon von Kleinigkeiten in eine tiefe Depression gestürzt. Anderen kann passieren, was will, sie verlieren ihre gute Laune nicht. Solche krass unterschiedlichen Reaktionen kann man nur genetisch erklären.

Bei allen Unterschieden zwischen den Menschen: Drogen werden auf der ganzen Welt, in allen Kulturen genommen, um das Glück herbeizuholen.

Ob nun Koffein, Alkohol oder Opiate - Drogen sind mit unseren hirneigenen Glückstoffen chemisch sehr verwandt. Sie sind deshalb das stärkste Mittel, augenblickliches Glück zu produzieren. Ein solches Drogenglück kann unter Umständen grösser sein als alles, was wir sonst in unserem Leben an Glück erfahren haben. Gerade das ist jedoch problematisch. Der Mensch will dieses bereits erlebte Glück wiederholen.

Und er muss Drogen nehmen, um dieses Glück zu wiederholen.

Auf Dauer funktioniert das jedoch nicht. Das liegt an der Dynamik des Glücks: Denn Glück ist nicht nur flüchtig, es ist auch nicht einfach wiederholbar. Das Gehirn merkt sich nämlich, wenn wir ein bestimmtes Glücksgefühl schon einmal hatten. Wir können hintereinander dasselbe tun, es wird in uns beim nächsten Mal jedoch nicht mehr dasselbe Glücksgefühl auslösen. Bei dauerhafter Einnahme verlieren die Drogen bekanntlich ihre positive Wirkung, man nimmt sie nur noch, damit man den Entzugsschmerz loswird.

Warum ist Glück nicht wiederholbar? Auch ein Trick der Natur?

Ja, Glück ist die Belohnung des Gehirns, es geht mit dieser Belohnung sparsam um. Wir Menschen sollen hierdurch offenbar angetrieben werden, immer neue Dinge auszuprobieren, immer neue Arten von Belohnungen zu erhalten. So drängt uns unsere Natur, in immer neue Gebiete vorzudringen, uns über die ganze Welt zu verbreiten; nur noch übertroffen vielleicht von den Wanderratten. Wir werden getrieben von der brennenden Neugier nach neuen Erkenntnissen und neuen Arten von Belohnungen. Das ist der Grundmechanismus, dem wir ausgeliefert sind.

Wir leben in einer Zeit, die verstärkt von Furcht und Angst bestimmt ist. Angst vor Terror, Furcht vor Verlust des Arbeitsplatzes. Das Glück scheint im Moment keine Konjunktur zu haben.

Wenn Sie zum Beispiel die Deutschen fragen, wann sie am glücklichsten waren, dann heisst es meist: nach dem Krieg - als es tatsächlich allen schlecht ging, aber die Leute zusammenhalten mussten und die Chancen zu einem Neuanfang hatten. Das liegt daran, dass der Mensch in dem Augenblick am glücklichsten ist, in dem er nach einer Katastrophe sein nacktes Leben gerettet hat. Dann weint er vor Glück. Wenn eine konkrete Bedrohung beispielsweise durch Hunger fehlt, dann sucht der Mensch sich Dinge, die er fürchten oder über die er sich ärgern kann. Der Mensch besitzt ein natürliches Furchtbedürfnis. Aus diesem Grunde kommt es dazu, dass auch Menschen, die gar keine Existenzängste haben müssten, sich über die geringsten Dinge zu Tode ärgern können. Mit dem Glück ist das genauso. Wir leben heute in einem Überfluss an Wohlstand. Aber wenn das normal geworden ist, dann wollen wir immer noch mehr Glück haben.

Das klingt, als passe der Mensch nicht in die heutige Welt.

Jedenfalls ist unsere biologisch-psychologische Grundausrüstung für ein Leben ohne Gefahren nicht ausgelegt. Das menschliche Furchtsystem ist immer an, bei dem einen mehr, dem anderen weniger. Wenn nichts passiert, langweilt es sich. Dann werden Gefahren konstruiert, dann kommt die Angst, die Depression. Hier sei noch eine wichtige Unterscheidung zwischen Furcht und Angst hervorgehoben: Die Furcht wird immer kleiner, je weiter die Gefahrenquelle sich entfernt. Angst hingegen steigt, je länger nichts passiert ist. Viele Menschen, die im Wohlstand leben, bekommen eine namenlose Angst, weil nichts Furchtbares mehr geschieht. Natürlich ist dies nicht schicksalhaft, aber es ist nur schwer zu behandeln.

Gibt es dennoch Regeln, an die man sich halten kann, um ein möglichst glückliches Leben zu leben?

Ja, ich denke schon. Die wichtigste lautet: Glück muss immer dosiert auftreten, sonst empfinden wir es nicht mehr als Glück. Man sollte sich also bescheidene Glückssituationen suchen und diese gezielt, nicht zu häufig herstellen. Dann habe ich auch eine Chance, mein Unglück ein bisschen zu mildern. Das beste Glück ist jedoch das, das spontan aus mir selber kommt. Und das kann ich leider nicht beeinflussen.