Belluard Bollwerk: King Kong im Ikea-Land

Nr. 26 –

Ein internationales Festival zeigt in Freiburg Kunst vom Besten; in der Deutschschweiz ist es noch zu entdecken.

Dicke Festungsmauern, verwitterte Wehrgänge, pittoreske Aussicht über Freiburg. In dieser wildromantischen Kulisse spielt sich ein Festival eigenwilliger künstlerischer Ausdrucksformen ab. In den 22 Jahren seines Bestehens hat sich das Belluard Bollwerk International (BBI) von einer Plattform für lokale Entdeckungen zu einem internationalen Experimentierfeld gemausert - immer auf der Kippe zwischen Ernst und Ironie. Alles ist erlaubt und erwünscht. Konzept ist nicht, einem roten Faden zu folgen, sondern der Vielfalt Raum zu geben und schräge Vögel mit Humor und Hintersinn nach Freiburg zu holen.

Profit durch Protest

Die am wenigsten leichtfüssige Ausnahme in diesem Jahr ist das Stück «Amid the Clouds» von Amir Reza Koohestani. In einem iranischen Auffanglager treffen sich die schwangere Zina, die ihrem Kind ein besseres Leben schenken möchte, und der gewalttraumatisierte Imour. Zwei Asylsuchende, die gleichzeitig Sinn- und Identitätssuchende sind. Koohestani verankert sein Stück in der Rhythmik persischer Rezitative, als Kontrast zur harten Realität der zwei Gestrandeten. Bereits im letzten Jahr war der erst 27-jährige Iraner beim Belluard Bollwerk International zu Gast gewesen, und mittlerweile erobert er im Laufschritt die europäischen Bühnen. Ein brisantes Thema hat sich auch die Gruppe Schauplatz International vorgeknöpft: die Immigrationsströme am südspanischen Ende der EU. Gedacht als ein Remake von King Kong - Metapher für das Grauenhafte, das unbekannte Böse, das uns Angst macht -, wurde eine Art Reisetagebuch verfilmt. Das klingt kompliziert, ist aber in Wirklichkeit noch komplizierter: Das zum Film gehörende Theaterstück reflektiert nämlich die Ethik der Kunst. KünstlerInnen prangern das Unrecht in der Welt an und verdienen damit selbst Geld - Profit durch Protest.

Ziemlich leicht nimmt es dagegen der Berliner Ulf Aminde. Mit KundInnen eines Ikea-Centers drehte er kurzerhand eine Sitcom. Zwar mit Drehbuch, aber offen für die persönliche Improvisationslust der zufälligen ProtagonistInnen. Verspielt und dabei philosophisch erforscht die kroatische Künstlerin Ivana Müller das Gewicht ihrer Gedanken: Wenn man mit trübem Gemüt umherläuft, ist der Kopf dann schwerer von all den belastenden Gedanken? Lässt man ihn deshalb hängen? Ausgehend von ihrem persönlichen Gedankenprozess führt Müller die ewige Leib-Seele-Debatte in unbekannte Gefilde. In einer Performance lässt sie das Publikum ihre Recherchen nachvollziehen, die sie in Form von Arbeitsnotizen, Interviews mit WissenschaftlerInnen und Videodokumentationen ihrer zahlreichen Experimente festgehalten hat.

Bauernoper und Zwangsjacke

Natürlich fehlt auch die Musik nicht. Hip-Hop-Fans dürfen sich freuen auf Sage Francis, den Rap-Akademiker, Fanatiker des gesprochenen und geslammten Wortes, für den sich die Musik als eleganteres Mittel zur Rebellion erwiesen hat als der Journalismus. In seinen Texten nimmt er Stellung zur aktuellen Lage der amerikanischen Nation, zu George Bush und dem «Common Way of Life». Und dann ist da noch das Kreuzberger Kollektiv The Hub, das ein lockeres Forum für unterschiedlichste Künstler des Rap, Elektropop, Kabaretts und diverser Mixgenres bietet. Nach Freiburg schickt es sechs Abgesandte zu einer unkonventionellen «Stubete». Ebenfalls zur Berliner Avantgardepopszene gehört Heidi Mortenson, die in ihren Shows auch schon mal in Lämpchenkostüm und Zwangsjacke auftritt.

Musik der anderen Art bietet die Bauernoper des jungen Budapester Ensembles Béla Pintér. Sie mischen Folklore mit Pop, Volkstümliches mit Postmodernem, antike Tragödie mit der Seifenoper. Das Belluard Bollwerk International wendet sich mit diesem frechen Verschnitt erstmalig auch dem Operngenre zu. Schliesslich ist es das Anliegen der beiden Direktoren Gion Capeder und Stéphane Nol, für alles offen zu sein und immer neue Namen zu entdecken, die das Programmbild erfrischen. Gleichzeitig halten sie kontinuierliche Kontakte, etwa zur regen belgischen und niederländischen Performanceszene: Jan Fabre war in den letzten Jahren zu Gast, sowie Josse de Pauw, Victoria und Alain Platel. Diesmal ist Jetse Batelaan mit zwei kurzen Stücken vertreten, die wenige Worte, aber viel absurden Wind machen. Und Abattoir Fermé zeigt in «Galapagos» Sexfantasien um ein kleines Mädchen, das sich als Domina entpuppt. Der Comiczeichner Eric Joris und seine Crew laden zu einem Vortrag über Sinn und Zweck ihrer komplizierten Cyber-Kulturexperimente; und das Duo Peter Fol und Shani Granot zeigt die einzige Tanzperformance des Festivals.

Dass den beiden jungen Direktoren die Entdeckungslust bleibt, kann man nur hoffen, denn seit sie das Belluard Bollwerk International vor zwei Jahren übernommen haben, ist die schöne Tradition, dass jedes Jahr einE KünstlerIn oder eine Gruppe als GastkuratorIn fungiert, verloren gegangen. Etabliert hat sich dafür der Wettbewerb, der in diesem Jahr zum sechsten Mal ausgeschrieben ist - für Projekte aller Ausdrucksformen, Arbeitsweisen und Medien ohne zeitliche und räumliche Einschränkung. Nur innovativ und mutig sollen sie sein. Die bereits auserkorenen PreisträgerInnen für dieses Jahr zeigen, wie man mit einer Videoinstallation Geschichtenerzählern an den Kragen geht, wie die Sitarversion eines Westernsoundtracks klingt und wie sich bulgarische Statisten auf dem Set vom Hollywoodepos «Troy» fühlen.

Milchfluss und Fleischberg

Ein Höhepunkt des Festivals ist nicht zuletzt Stefan Kaegi mit «Mnemopark». Kaegi, bekannt als Teil der Labels Rimini Protokoll und Hygiene, zaubert - zusammen mit vier pensionierten Freaks der Modulbaufreunde Basel und der Schauspielerin Rahel Hubacher - eine Suisse miniature auf die Bühne, die das Publikum in den Bildern einer Videokamera, die auf eine Modelllokomotive montiert ist, bereisen darf. Unterwegs erwarten es überraschende und informative, vor allem aber persönliche Geschichten der fünf ProtagonistInnen: Über die Rekrutenschule, die Flucht aus der DDR, den Berufswechsel, die Bastelleidenschaft. Und über die Entwicklung von der Landwirtschafts- zur Dienstleistungsgesellschaft. Kaegi kratzt so fein, aber nachhaltig am Image der Schweiz als Alpenidyll. Den Kühen wird dabei der ihnen gebührende Platz eingeräumt, etwa in den Statistiken zur Population (auf zehn EinwohnerInnen kommt eine Kuh) oder mit einem in die Modellwelt eingewerkelten Milchfluss und einem Fleischberg.

Belluard Bollwerk International, Freiburg, Diverse Orte, Do-Sa, 30. Juni bis 9. Juli. Infos: www.belluard.ch