AKW-Ersatz: Ein bisschen Strom aus jedem Keller

Nr. 28 –

Die Strombarone wollen neue Atomkraftwerke bauen, Bundesrat Moritz Leuenberger grosse Gaskraftwerke. Ökologisch und ökonomisch sinnvoller wären viele kleine und dezentrale Minikraftwerke.

Walter Steinmann, Direktor des Bundesamts für Energie (BFE), und Bundesrat Moritz Leuenberger erachten den Bau von neuen Atomkraftwerken politisch als unrealistisch. In den nächsten fünfzehn Jahren sollen in der Schweiz bei allfälligen Stromproduktionslücken stattdessen Gaskraftwerke erstellt werden. Was in der Schweiz nach dreissig Jahren AKW-Debatte bahnbrechend tönt, ist nur ein pragmatischer Nachvollzug der europäischen Realenergiewirtschaft. Von 1990 bis 2002 wurden in Europa Gaskraftwerke mit einer Leistung von rund 60000 Megawatt (MW) gebaut. Diese Leistung ist sechsmal höher als der maximale Strombedarf der Schweiz. Zum Vergleich: Das AKW Gösgen hat knapp 1000 MW Leistung.

Wärme aus kleinen Kraftwerken

Mit dem Bau von Gaskraftwerken begibt sich die Schweiz aber auf eine heikle Gratwanderung. Gas produziert bei der Energienutzung CO2 und trägt damit zum Treibhauseffekt bei. Billiger Gasstrom kann zudem die Energieverschwendung ankurbeln und den Umstieg auf erneuerbare Energien verzögern.

Diese Verbrauchs- und Emissionszunahmen können allerdings bei gleicher Stromproduktion stark reduziert werden, wenn die Gasstromproduktion in dezentralen, kleinen oder mittelgrossen Anlagen erfolgt. Wenn dezentrale Gaskraftwerke an Orten eingesetzt werden, wo man heute Gas oder Öl verheizt, können mehrere Ziele gleichzeitig erreicht werden. Zum Ersten kann wertvoller Strom gewonnen werden. Zum Zweiten dient die Abwärme, die bei thermischer Stromproduktion immer in grossen Mengen entsteht, zum Heizen und Erzeugen von Warmwasser. Zum Dritten kann der CO2 -Ausstoss an Ort und Stelle durch Wärmedämmung und entsprechend kleineren Energiebedarf kompensiert werden.

Die Lösung heisst: Wärmekraftkoppelung.

Fast eine Million Heizkessel stehen in den Schweizer Kellern. Durchschnittlich alle zehn Minuten wird irgendwo einer dieser Heizkessel ersetzt. Hier liegt ein immenses wirtschaftliches und energietechnisches Potenzial, verteilt auf alle Regionen. Wenn jeder zweite Heizkessel durch ein Blockheizkraftwerk, eine kleine Wärmekraftkopplungsanlage, ersetzt wird, kann damit jedes Jahr die Leistung eines 350-MW-Kraftwerkes neu bereitgestellt werden. Das heisst jedes Jahr eine zusätzliche Leistung in der Grössenordnung der AKW Mühleberg oder Beznau.

Die dezentrale Stromproduktion in Wärmekraftkopplungsanlagen ist auch volkswirtschaftlich interessant. Der Kostenmix aus Investitionen sowie Unterhalts- und Betriebsarbeiten ist besser: Die Wertschöpfung entsteht zu einem grossen Teil dort, wo solche Anlagen gebaut, installiert und betrieben werden. Eine Perspektive für KMU und jene, die an langfristigen Arbeitsplätzen interessiert sind.

Grosse Gaskraftwerke dagegen schneiden in diesem Punkt schlechter ab. Die Planung und der Bau von grossen Gaskraftwerken sind im Vergleich zu anderen Grosskraftwerken zwar eine schnelle Sache. Drei bis fünf Jahre dürften zwischen Planungsbeginn und der Inbetriebnahme liegen. (In der Schweiz produziert die Firma Alstom solche Anlagen, lokale Firmen könnten assistieren.) Der Bau solcher Anlagen bringt jedoch nur für kurze Zeit neue Arbeitsplätze. Anschliessend werden solche Kraftwerke mit wenigen Personen betrieben, der grösste Teil des langfristigen Umsatzes entsteht durch den Einkauf von Gas und wird damit exportiert.

Zudem verpuffen vierzig bis fünfzig Prozent des eingesetzten Erdgases als ungenutzte Abwärme. Mit steigendem Erdgaspreis wird das zu einem Kostenfaktor ohne volkswirtschaftlichen Nutzen.

Konzertierte Aktion?

In Chavalon im Kanton Wallis soll das stillgelegte Ölkraftwerk bis 2010 durch ein 350-MW-Gaskraftwerk ersetzt werden. Kostenschätzung: 350 Millionen Franken. Die Bernischen Kraftwerke BKW haben vor drei Wochen ihrerseits die Stelle für einen Projektleiter Gaskraftwerke ausgeschrieben. Und die Axpo hat ihre Bauabsichten für ein oder mehrere Gaskraftwerke in ihre Ausbaupläne von AKW und Hochspannungsleitungen integriert. Fast zeitgleich präsentieren BFE-Direktor Steinmann und Bundesrat Leuenberger die Gaskraftwerkoption. Zufall?

Das Bundesamt für Energie und Bundesrat Leuenberger haben in jedem Fall eine einmalige Chance. Statt eine suboptimale Stromproduktion in neuen Grosskraftwerken zu akzeptieren und damit die CO2-Ziele zu gefährden, können sie die breite Anwendung der dezentralen Stromproduktion lancieren und fördern. Energieeffizienz, Klimaschutz, Investitionsimpulse, Arbeitsplätze und mehr Markt in der Stromwirtschaft sollten als Argumente genügen. Dezentrale Stromproduktion schafft zusätzlich eine gute Ausgangslage für die schrittweise Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energien.



Heini Glauser ist Energieingenieur und Präsident von Greenpeace Schweiz.