Energiewende 1: Die Ernte wird eingefahren, hoffentlich

Nr. 22 –

Erstaunlicherweise hat sich der Bundesrat auf all die klugen Papiere besonnen, die in den letzten Jahren im Bundesamt für Energie geschrieben wurden. Die Energiewende kann beginnen.


Die Kehrtwende kam überraschend, aber gänzlich aus dem Nichts kam sie keineswegs. Bundesrätin Doris Leuthard, zuständig für die Energiepolitik und bis anhin als «Atom-Doris» verrufen, hat letzte Woche die «neue Energiestrategie» des Bundesrates vorgestellt: keine neuen Atomkraftwerke bauen, dafür vermehrt Energie sparen und ökologischen Strom bereitstellen. Gaskraftwerke stehen auch noch an, was – wenn man es gescheit macht – weniger schlimm ist, als es klingt, doch davon später.

Fünfzig Jahre pro AKW

Blickt man zurück, möchte man sagen: Die Umweltverbände kämpfen seit Jahren, immer schien es aussichtslos – doch jetzt wird endlich die Ernte eingefahren.

Bis 1995 führte SVP-Bundesrat Adolf Ogi das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek). Er war es, der den Bau von «Ersatzkernkraftwerken» ins Spiel brachte, weil «ab 2010 eine Lücke in der Stromversorgung» entstehe.

Dann übernahm mit Moritz Leuenberger ein SP-Bundesrat das Uvek, der als AKW-Kritiker galt. Das Bundesamt für Energie wurde jedoch weiterhin von Eduard Kiener geführt. Der SP-Mann war ein glühender AKW-Befürworter und hatte dieses Amt fast ein halbes Jahrhundert inne. Als er 2001 ging, machte Leuenberger Walter Steinmann zum Chef des Bundesamts für Energie (BFE). Steinmann stand den AKW-KritikerInnen näher als der Atomlobby. Vier Jahre später wurde Michael Kaufmann (der ehemalige Chefredaktor der linken Berner Zeitung «Hauptstadt») zum Leiter von Energie Schweiz, dem Bundesprogramm für Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Auch Kaufmann war bekannt als AKW-Gegner.

Einige Monate zuvor hatte der Bundesrat noch versucht, Energie Schweiz zu eliminieren, was dann aber am Widerstand des Parlaments scheiterte. Kaufmann sagte vor einigen Jahren der WOZ, die Auseinandersetzung habe Energie Schweiz letztlich gestärkt: «Wir konnten darlegen, dass das Programm volkswirtschaftlich viel bringt. Für Energie Schweiz stehen gut 50 Millionen Franken zur Verfügung. Damit lösen wir aber jährlich rund 800 Millionen Franken an Investitionen aus! Und entlasten die Arbeitslosenkasse pro Jahr um über 100 Millionen – konkret schafft Energie Schweiz in einem Jahr Arbeit für gut 5000 Personen.» Im selben Gespräch sagte er, zwar sei die Option AKW weiterhin offen, die Aufgabe von Energie Schweiz sei es aber, «realistische Alternativen vorzubereiten. Biomasse, Windenergie oder Holzkraftwerke sind im Kommen. Auch die tiefe Geothermie birgt ein enormes Potenzial: In 20 bis 25 Jahren könnte sie die Schweizer AKWs ersetzen.»

Das BFE legte dann 2007 vier Szenarien für «Die Energieperspektiven 2035» vor. Interessant ist vor allem Szenario vier, das den Titel «Auf dem Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft» trägt. Darin zeigte das BFE auf, wie sich bis 2035 der Gesamtenergiekonsum um 27 Prozent und der Stromverbrauch um 2,7 Prozent reduzieren liesse – denn Strom macht nicht einmal ein Viertel des Endenergieverbrauchs aus.

Schluss mit der Verpuffung

Um dieses Ziel zu erreichen, bräuchte es eine Lenkungsabgabe, rigide Vorschriften bezüglich Geräteeffizienz und Gebäudesanierungen, zudem müsste man als Übergangslösung Gaskraftwerke bauen – doch Atomkraftwerke braucht es keine mehr. Der Bundesrat hat nun offensichtlich dieses Szenario in die Hand genommen. Es ist brauchbar, auch wenn Gas eingesetzt wird, was keine Katastrophe ist, solange man die fossile Energie klug verwendet. Es bräuchte – wie Bundesrätin Leuthard zu Recht sagt – Wärmekraftkoppelung (WKK), kleine, dezentral betriebene Gaskraftwerke, die sowohl Strom als auch Wärme produzieren. Fossil wie nuklear betriebene Kraftwerke verpuffen nämlich zwei Drittel der eingesetzten Energie ungenutzt als Abwärme. Bei WKK-Anlagen wird die Abwärme genutzt, um beispielsweise Häuser zu heizen, womit diese Anlagen eine bessere CO2-Bilanz erhalten als die angeblich CO2-freien Atomkraftwerke, wie das Öko-Institut Darmstadt schon vor Jahren errechnet hat.

Szenario vier hat noch Entwicklungspotenzial: Die Umweltverbände zeigten schon vor drei Jahren in ihrer Broschüre «Sichere Stromversorgung ohne neue Atom- und Gaskraftwerke» detailliert, wie sich alles noch besser machen lässt. Man braucht also all das klug Gedachte nur hervorzuholen – und umzusetzen.