Antwort der Woche: IRA, die ewige Armee

Nr. 39 –

Nach vierzig Jahren des Kampfes hat die IRA gerade all ihre Waffen zerstört. Aber warum eigentlich löst sich die irische Untergrundorganisation nicht direkt ganz auf?

Ende Juli hat die verbotene Irisch-Republikanische Armee (IRA) ganz offiziell erklärt: Der Krieg ist vorbei. Damit meinte sie den Krieg, den sie ab 1969 gegen die britische Regierung führte. Von einem Ende der IRA war in der Erklärung jedoch nicht die Rede. Aber wozu braucht es die Truppe, wenn der Krieg vorbei ist? Sie hat sogar ihre Waffen abgegeben. Warum löst sie sich dann nicht auf?

Auf diese Frage gibt es gleich mehrere Antworten. Die wichtigste ist: Die IRA versteht sich als reguläre Armee, nicht als eine illegale Untergrundorganisation. Und reguläre Armeen beenden nicht einfach ihre Existenz, nur weil gerade kein Krieg herrscht.

Die Schweizer Armee zum Beispiel hat noch nie einen richtigen Krieg geführt, und trotzdem gibt es sie.

Aber warum versteht sich die IRA als die einzig wahre und legitime Armee von ganz Irland? Dazu muss man etwas zurückblicken. Bis 1922 war ganz Irland eine britische Kolonie gewesen. Englische Grossgrundbesitzer beuteten die irische Bevölkerung aus - und ganz besonders die einheimischen KatholikInnen. Die britische Regierung, ihre Polizei und die britischen Soldaten sorgten dafür, dass sich an diesem Machtverhältnis nichts änderte. 1917 aber taten sich Iren und Irinnen zusammen. Sie gründeten eine Armee, die sich IRA nannte (auf Gälisch heisst sie Oglaigh na h Eireann), und begannen einen Guerillakampf gegen die militärisch weitaus überlegenen Briten. 1919 bildete sich in Dublin ein von Britannien unabhängiges Parlament, das zwar von London nicht anerkannt wurde, aber zwei wichtige Entscheidungen traf: Es erklärte sich für ganz Irland zuständig und erklärte die IRA zur nationalen Armee der irischen Insel.

Der Widerstand gegen die britischen Kolonialtruppen war erfolgreich: Im Dezember 1921 erklärte sich die Regierung von Britannien bereit, sich aus Irland zurückzuziehen - aber nicht aus ganz Irland. Der Norden (in dem viele der ursprünglich britischen, protestantischen SiedlerInnen wohnen) sollte bei Britannien bleiben. Und das ist immer noch so. Da es auch heute noch kein unabhängiges Gesamtirland gibt, beruft sich die IRA weiterhin auf den Beschluss von 1919. Denn sie erkennt vom Grundsatz her weder die Republik Irland an, den seit 1922 unabhängigen Staat im Süden der Insel, noch den britisch dominierten Teilstaat Nordirland.

Nicht minder wichtig aber sind für die IRA heute die Ereignisse vom August 1969. Damals attackierten nordirische Protestanten und Polizisten die irisch-katholischen Quartiere von Belfast, der Hauptstadt des britischen Nordirlands. Viele Häuser wurden niedergebrannt, Menschen starben, tausende flüchteten aus ihren Wohnungen, viele flohen in die Republik - und die britische Regierung schaute zu. Eine funktionierende IRA gab es damals nicht, niemand war in der Lage, den bedrängten Menschen zu helfen. Erst aus der Asche der zerstörten Gebäude entstand dann eine neue IRA.

Zu dieser Wehrlosigkeit darf es nie wieder kommen, sagen viele IRA-Mitglieder heute. Und so gaben sie zwar die alten Waffen ab (neue kann man sich immer besorgen), behalten aber die Organisation.

Ein weiterer Grund für das Fortbestehen der IRA sind die neuen, eher kriminellen Machenschaften der Organisation: Schmuggel und Schutzgelderpressung. Ab und zu überfallen IRA-Mitglieder eine Bank - aber das haben sie auch früher schon getan, um Geld für ihre Waffen aufzutreiben. Mit dem Handel von Benzin und Zigaretten und den «Schutzgeldern» verdienen sich viele IRA-Mitglieder mittlerweile ihren Unterhalt. Das könnten sie auch ohne die IRA-Strukturen. Andererseits klingt der Ruf «Hände hoch, hier ist die Rentnerbrigade der ehemaligen IRA-Freiwilligen!» natürlich lang nicht so gut wie «Hier spricht die IRA!»