Durch den Monat mit Christoph Simon (Teil 2): Nervt Sie Politik?

Nr. 41 –

WOZ: Sie sind mit wenig Geld gereist, haben Ihr Studium abgebrochen und, um Ihr erstes Buch zu schreiben, irgendwelche Brotjobs ausgeübt. Sie haben eine Schriftstellerbiografie, wie man sie sich in Romanen ausdenkt ...
Christoph Simon: Ja, vielleicht hört sich meine Biografie im Nachhinein abenteuerlich an. Aber als ich in diesen Situationen drinsteckte, war das als Empfindung überhaupt nicht abenteuerlich oder aufregend.

Sondern?
Anstrengend und verunsichernd. Ich wusste ja lange nicht, dass ich das mit dem Schreiben probieren könnte; nein: sogar sollte. Als ich das dann wusste, war wiederum nicht klar, ob es auch funktioniere. Trotzdem musste ich es tun, um meinem Leben wenigstens ein bisschen Nützlichkeit abzuringen.

Hat Sie die Arbeit auf der Päcklipost und auf der Bank nicht beim Schreiben gestört?
Natürlich machte ich sie nur, um Geld zu verdienen. Doch die Jobs waren für mich auch interessant, weil ich den Leuten gerne beim Arbeiten zuschaue und mir noch lieber ihre Erzählungen anhöre. Auf der Bank gab es einen, der schnitt jeden Morgen alle Todesanzeigen aus den Zeitungen aus. Ich musste dann überprüfen, ob jemand der Verstorbenen ein Konto auf unserer Bank hatte. Wenn ja, dann hat mein Kollege alles für den Notar vorbereitet. Und natürlich fing ich selber an, gewisse Verhaltensweisen zu entwickeln. Im Fall der Todesanzeigen machte ich mir aufgrund der paar Zahlen – also Kontostand, Alter und so – ein Bild von der verstorbenen Person und von ihrem Leben. Ich spann aus diesen paar Zahlen eine ganze Lebensgeschichte, die natürlich nichts mit der wirklichen Lebensgeschichte zu tun haben muss. Das hat mich fasziniert.

Stoff für Ihre Bücher?
Auf jeden Fall. Für mich war die Arbeit wichtig, um überhaupt in Kontakt mit anderen Lebenswelten zu kommen. Ich bin eher ein schüchterner Mensch, und aktives Recherchieren liegt mir überhaupt nicht. Mir sind Situationen lieber, in denen ich mich im Hintergrund halten und beobachten kann, oder solche, in denen die Gespräche auf natürliche Art zustande kommen. Wie das eben beim Arbeiten mit anderen Menschen passiert. Es ist ja kein Zufall, dass mein zweites Buch, «Luna Llena», in der Gelateria spielt, in der ich jeden Morgen Kaffee trinke.

Weil Sie seit der Veröffentlichung Ihres ersten Buches nur noch schreiben?
Genau.

Fehlt Ihnen so nicht der Input?
Nein, es passiert ja immer was: Ich bin auf Reisen für Lesungen oder wohne für ein paar Monate an einem andern Ort, weil ich ein Stipendium bekomme. Ausserdem gefällt mir dieses Rentnerleben: Aufstehen, wann ich möchte, ein paar Gesuche an die Pro Helvetia und so schreiben, nach dem Mittag wieder ein bisschen liegen, Geschichten schreiben ...

Ach was!
Okay, ich gebe zu, dass ich nach Wochenplänen arbeite und sie auch einhalte. Aber trotzdem fühle ich mich recht frei.

Und wie halten Sies mit der Politik?
Ich informiere mich vor Abstimmungen und Wahlen und nehme meine Pflichten als Schweizer Bürger wahr. Aber ich würde mich nicht als politischen Menschen bezeichnen. – Was hat die Journalistengilde nur immer mit der Politik und den Schriftstellern?

Wie bitte?
Ich wurde – notabene als junger Schweizer Schriftsteller – für die Ausgabe vom nächsten Sonntag vom «SonntagsBlick» befragt, ob die junge Schweizer Literatur politisch sei oder nicht – das ist offensichtlich relevant. Als ob «politisch» ein Qualitätsmerkmal für Literatur wäre!

Die Frage nervt Sie?
Ja, weil ich sie nicht fassen kann. Ist ein Buch, das Politik thematisiert, politisch – oder eher eines, das zwar nicht explizit Politik zum Thema hat, aber über seinen Inhalt hinaus für etwas steht, das politisch relevant ist? Am liebsten würde ich auf die Frage, ob ich ein politischer Schriftsteller bin, mit «Ja, klar!» antworten, einen Satz aus meinem Buch zitieren und dann die Suche nach dem Politischen den andern überlassen.

Und welchen Satz würde Sie aus Ihrem aktuellen Buch in die Diskussionsrunde werfen?
Majdas Satz, als sie Franz mit Hilfe von Büroklammern und Gummibändern innenpolitische Zusammenhänge erklärt: «Ich finde es jammerschade, ungleichen Menschen gleiche Stimmen zu geben.» Ich glaube, dass dieser Satz Reibung erzeugt und dass sich die Leser mindestens fragen, ob es Majda damit ernst ist. Mich interessiert der Streit, den man in einer solchen Aussage entfachen kann, nicht die Antwort auf eine so grosse Frage wie die nach der Politik in der Literatur.

Christoph Simon, 33, ist Schriftsteller und lebt in Bern. Nachtrag: Von ihm erschienen bis 2014 fünf Bücher im Bilger-Verlag.

Zur Besprechung von Planet Obrist

Zur Besprechung seines späteren Buches «Viel Gutes zum kleinen Preis» (erschienen in WOZ Nr. 20/2012)