Durch den Monat mit Christoph Simon (Teil 4): Für einen guten Zweck?
WOZ: «Ich liebe das Leben, ich liebe jeden beschissenen Augenblick.» Der Schlusssatz Ihres Buches «Planet Obrist» hat in Ihrer Lese- und Arbeitsgruppe – den Autören – keinen Anklang gefunden, Sie haben ihn trotzdem stehen lassen. Warum?
Christoph Simon: Für diesen Satz habe ich das ganze Buch geschrieben. Die Hauptfigur Franz Obrist wandelt sich in dieser Geschichte von einem jungen Mann, der versucht hat, Selbstmord zu begehen, zu einem, der das Leben schätzt. Und das wollte ich am Schluss einfach verdeutlicht haben, weil es eine grosse Entwicklung ist. Allerdings plagt mich das Gefühl, dass die Veränderung der Figur Franz nicht wahrgenommen wird.
Von wem?
Von den Leserinnen und Lesern, beziehungsweise von denen, die das Buch in den Zeitungen besprechen.
Die Kritik hat Sie missverstanden?
Ich habe oft das Gefühl, über neue Bücher wird oberflächlich hinweggefahren und nur nach den Highlights gesucht – man könnte sagen, die Leute auf den Tageszeitungen arbeiten effizient nach dem Motto: Inhaltsangabe und dann ein, zwei oder drei Sternchen. Anderes hat keinen Platz. Die Stimmung eines Buches, die feinen Schwingungen – das zu vermitteln, nimmt sich keiner die Zeit. Wenn ich selbstbewusster wäre, würde ich behaupten, die Kritik liest meine Bücher schnell und ungenau.
Sie beschreiben in Ihren Büchern viele komische Situationen, handeln einiges über den Humor ab, und «Planet Obrist» trägt sogar den Untertitel «Schelmenroman» – Witz kann falsche Spuren legen.
Der Humor ist doch nur die Verführung zum Lesen! Darunter ist mehr – glaube ich wenigstens. Es ist wie beim Krimi: Klar geht es darum, den Mörder zu finden, aber das Bereichernde der Geschichte sind selten die Szenen, die Ereignisse, die zur Verfolgungsjagd führen, sondern die Charakterisierung einer Figur beispielsweise, die Zwischentöne eben. «Planet Obrist» ist zwar vordergründig die Beschreibung einer Reise, letztlich aber geht es um die Rückblenden, die Einblick in Franz’ Leben vor der Reise geben, die sich mit dem Schluss zu einem Ganzen fügen. Die kleinen Dinge machen das Ganze eines Lebens aus, nicht das grosse Trara.
Neben Büchern schreiben Sie auch Kurzgeschichten. Jeden Monat veröffentlichen Sie eine davon auf einem A4-Blatt und nennen das Ganze «Leuchtelement».
Im Bilderduden ist das Leuchtelement jenes Gerät, mit dem der Zahnarzt seinen Patienten in den Mund leuchtet. Der Begriff gefällt mir: «Leucht» ist ein warmes, «Element» ein kaltes Wort. Da ist alles drin. Mein «Leuchtelement» entstand 1999 und ist nicht primär ein literarisches, sondern ein kleines gemeinnütziges Projekt.
Wie das?
Ein Jahresabonnement des «Leuchtelements» kostet 24 Franken. Im Moment sind es 120 Abonnentinnen und Abonnenten. Den Vertrieb macht eine Freundin unentgeltlich. Von den Einnahmen gehen die Kosten für den Versand weg, das Papier und die Kopien sind von mir gesponsert. Alles, was am Ende eines Jahres übrig bleibt, geht an eine gemeinnützige Organisation – darum kümmert sich eine weitere Freundin. Dieses Jahr zum Beispiel unterstützt das «Leuchtelement» Jugendliche in Kolumbien, die für die ärmste Bevölkerung Häuser bauen. Und vor zwei Jahren konnte mit dem Gewinn von 1500 Franken ein Jugendhaus in Costa Rica gebaut werden – vier Betonmauern und darauf ein Wellblechdach.
Sie schreiben für einen guten Zweck?
Andere verkaufen Schoggitaler oder Lösli, wir verkaufen das «Leuchtelement». Es ist das, worauf ich in meinem Leben am meisten stolz bin. Mein Plan ist es, das Monatsblatt vierzig Jahre lang herauszubringen – das wären dann 480 Nummern.
Schon wieder ein Plan.
Das gibt mir eine Perspektive fürs Alter. Ich habe Angst, dass ich dann ausgeschossen bin. Mit dem «Leuchtelement» und seiner Nachfolgeregelung hätte ich immer noch was Sinnvolles zu tun.
Na ja, Sie haben immerhin ein Kind ...
Das soll ja selbständig werden. Ein Kind haben ist schon was Verrücktes: Die Leute behandeln einen, als wäre man hundert Meter näher zu Jesus gerückt. Auf der Strasse werde ich mit der Kleinen von wildfremden Menschen angesprochen, die mir Glück wünschen. Freunde und Familie drücken der Beziehung die Daumen. Mit einem um den Bauch gebundenen Baby wird man erst wirklich zur öffentlichen Person – nicht, weil man ein paar Bücher geschrieben hat.
Christoph Simon, 33, ist Schriftsteller und lebt in Bern. Nachtrag: Von ihm erschienen bis 2014 fünf Bücher im Bilger-Verlag.