Dressurreiten: Schöne Parade auf Vorhand

Nr. 46 –

Die Kunst, ein Pferd komplizierte Figuren ausführen zu lassen, gilt als langweilige Sportart. Und was heisst da überhaupt Sport? Leistet nicht das Pferd die ganze Arbeit? Die Oetwilerin Susanne Jaggi sieht die Sache anders.

«Wir begrüssen mit der Startnummer 21 das Paar Susanne Jaggi und Mondglanz», tönt es aus dem Lautsprecher. Auf der Tribüne der Reithalle Buchholz in Uster sitzen kaum zehn ZuschauerInnen. Jaggi sieht hübsch aus unter dem lustigen Zylinderhut, in ihrem dunkelblauen Veston und den blendend weissen Hosen. Dazu die obligatorischen, ebenso blendend weissen Handschuhe. Auch Mondglanz ist fein herausgeputzt, die Mähne gezöpfelt. Susanne Jaggi reitet an die Abschrankungen vor dem Tisch des leitenden Richters Markus Graf und stellt sich und Mondglanz vor. «Danke», tönt es so leise zurück, dass es Jaggi kaum hören wird.

Vor dem Glockenzeichen

Es bleibt etwas Zeit zum Einreiten. Mondglanz hat keine Mühe mit der ungewohnten Umgebung. Ein imposanter Trakehner (eine ursprünglich aus Ostpreussen stammende Zuchtlinie), 1,74 Meter hoch - Jaggi muss sich strecken, um in den Sattel zu kommen. Mondglanz ist ein Dunkelfuchs mit weissen Stiefeln hinten. Ein paar Pferde scheuten vor der grünen Stoffverzierung, die dekorativ gebauscht an den vierzig Meter langen Seiten des Reitvierecks herabhängt, doch Mondglanz lässt sich nicht davon stören.

Jaggi hat Mondglanz als Dreijährigen in der Schweiz ohne Ausbildung «roh» für 14 000 Franken gekauft. Ein Jahr später mit Ausbildung hätte er 10 000 Franken mehr gekostet. Diese zwei Summen zusammen sind nur ein Zehntel von dem, was an Eliteauktionen für viel versprechende Dressurpferde bezahlt wird. Es braucht viel Erfahrung, um ein «rohes» Pferd auszubilden: «Als Mondglanz nach etwa einem halben Jahr seine Babyallüren abgelegt und an Selbstvertrauen gewonnen hatte, ist er mir ein paarmal durchgebrannt. Auf der Weide oder beim Führen ging er auf mich los. Es hat lange gedauert, bis er mich akzeptiert hat. Es brauchte Geduld und immer wieder Geduld.»

Lektion 1

Der Richter klingelt. «Wenn ich sehe, dass ein Pferd guckig (unaufmerksam) ist und scheut, warte ich mit dem Glockenzeichen, solange es irgend geht», sagt Markus Graf. «Einreiten im Arbeitstrab, Halt, Gruss, anreiten im Arbeitstrab», heisst die erste Lektion. Jaggi muss auf einer geraden Linie einreiten und das Pferd in der Mitte der Halle auf den halben Meter genau halten, mit möglichst gleichmässig geschlossenen Beinpaaren. Sie muss den Richter grüssen und anschliessend aus dem Stillstand sofort wieder im Trab anreiten. Ihre Parade zum Halt ist «etwas auslaufend», etwas zu wenig konsequent, kommentiert der Richter. Darum kommt Mondglanz ein wenig aus dem Gleichgewicht, verschiebt seine Vorhand zum Ausbalancieren, kommt aber doch einigermassen geschlossen zum Stehen. Er steht wirklich still wie ein Denkmal und schiebt sich, kraftvoll von der Hinterhand unterstützt, aus dem Halt direkt in Trab: «Schöner Übergang». Es klingt wie ein Trost. (Alles, was vom Pferd vor der Hand des Reiters, der Reiterin, ist, heisst Vorhand, was dahinter ist, heisst Nach- oder Hinterhand.)

Unglaublich, was bei dieser ersten, scheinbar so einfachen Lektion oft im wörtlichen Sinn schief laufen kann. Manche der 24 teilnehmenden Pferde halten die Linie nicht richtig ein, «etwas schwankend», notiert Richter Graf, andere werden zu stark forciert («etwas gespannt», heisst es dann), manchmal ist ihr Trab ein wenig flach («noch mehr Schub»), dann kommen sie leicht schief zum Halten, und die Beinpaare sind nicht parallel («Halt nicht geschlossen»), oder sie werden zu brüsk angehalten («Parade auf Vorhand»), schliesslich klappt alles perfekt, aber das Pferd steht nicht ganz still («Halt deutlicher markieren, schade!»). Das Programm setzt sich insgesamt aus 21 solcher Lektionen in Schritt, Trab und Galopp zusammen, die alle einzeln bewertet werden. Dazu werden noch allgemein Gang, Schwung und Gehorsam der Pferde und schliesslich die Exaktheit der Figuren und Sitz und Einwirkung der ReiterInnen benotet.

Markus Graf erklärt, worum es heute eigentlich geht. Die Prüfung heisst «GA 09», das ist die höchste Stufe der «Grundausbildung». Darauf aufbauend kommen weitere in ansteigender Stufenleiter aufgeteilte Programme und schliesslich «Grand Prix Special» und dergleichen, von denen ab und zu was in der Zeitung zu lesen ist. «Pferde sind nicht von Natur aus dazu gemacht, das Reitergewicht aufzunehmen», sagt Graf. «Indem wir Reiter ihnen mit möglichst feinen Hilfen beibringen, Kopf und Hals rund vorwärts zu wölben, heben sie ihre Rückenwirbel und die sie umgebende Muskulatur, die Hinterhand kann besser untertreten und das ungewohnte Reitergewicht vermehrt aufnehmen. Wir Reiter können auf so einem gut ausgebildeten Pferd angenehm sitzen. Mit guter Grundausbildung ist der Gesundheit beider, Pferden und Reitern, gedient.» Graf zeichnet zur Illustration schnell mit ein paar Strichen ein Pferd. Es sieht aus wie eine bucklige Katze mit einem flach vorgestreckten Gänsehals.

Jaggi hat die 21 Lektionen hinter sich. «Mondglanz war heute nicht so engagiert bei der Sache», sagt Jaggi später. «Ich wollte eigentlich mehr aus ihm herausholen. Vielleicht lag es aber auch an mir und meiner schlechten Konzentration.» Zum Schluss wieder Halt in der Mitte der Halle. «Gruss, abwenden und die Zügel aus der Hand kauen (gleiten) lassen», schreibt das Programm hier vor. Das wird nicht mehr bewertet. Mondglanz dehnt sich und klappert zufrieden mit der Trense. «Etwas mehr Risikobereitschaft», murmelt Markus Graf bedauernd vor sich hin, als er das Richterblatt mit den Noten und Bemerkungen, die eine Helferin neben ihm aufgeschrieben hat, unterzeichnet. «Aber ich bin hier Richter und kein Ausbilder. Das muss ich auseinander halten.»

Besuch im Stall

Susanne Jaggi ist schon früh, als Achtjährige, an die «Rösselei» geraten und jetzt mit ihren 37 Jahren immer noch dabei. Was mit Helfen beim Putzen und Ausmisten, von der Weide holen, gelegentlichem Aufsitzen und dem lang ersehnten ersten Ritt ins Gelände anfing, wird weiter tagtäglich fortgesetzt. Ihr Pferd steht in einer Stallgemeinschaft, wo sich die PferdebesitzerInnen die Arbeit des Fütterns und Mistens teilen. Deshalb zahlt sie auch nur 650 Franken monatlich, ein moderater Preis für das Einstallen in einer schönen Box.

Jaggi arbeitet voll, «eigentlich zu 110 Prozent», als Verkaufsleiterin und verdient nicht schlecht. Sie muss sich die Pension, Hufschmied, Tierarzt, Miete für die Reithalle und Reitausrüstung - alles zusammen macht das wohl einen runden Tausender pro Monat - nicht vom Mund absparen. Inbegriffen sind die teuren Stunden bei einem prominenten Reitlehrer: «Ich will weiterkommen und mich in höheren Programmen bewähren.» Im Vorstand des Reitvereins macht Jaggi nicht mehr mit. «Irgendwann muss ich auch mal Zeit für meinen Freund und mich haben.» Aber als Richterin bei Brevetprüfungen, wo es um die einfachsten Grundkenntnisse von Reiten und Pferdehaltung geht, ist sie weiter gern dabei.

«Vor allem im Winter, wenn es früh dunkel wird und trotz der vielen Klamotten Nässe und Kälte in dich hineinkriechen, kann es hart werden.» Warum denn Tag für Tag, Jahr für Jahr der Gang in den Stall? «Mich überrascht immer wieder, wie positiv Pferde eingestellt sind. Jeden Morgen freut sich Mondglanz und wiehert seinen Willkommensgruss, wenn ich komme. Mich fasziniert das Lebewesen Pferd als feinfühliger Partner, der sich mir trotz seiner 600 Kilo Gewicht und Kraft immer wieder freundlich nähert. In diesen Momenten sind meine Alltagssorgen wie verflogen.»

Rangverkündigung. Die 22 Reiterinnen und zwei Reiter - die Dressur ist eine Domäne der Frauen - sitzen entspannt an den Tischen des bescheidenen Hallenrestaurants. Die Pferde sind in den Anhängern versorgt und kauen am mitgebrachten Heu. Es dauert ein bisschen, denn der organisierende Reitverein möchte noch etwas verdienen mit Getränken und selbst gebackenem Kuchen. Die 24 kennen das. Einige von ihnen tingeln jährlich vielleicht zehnmal, eine junge Reiterin sogar etwa dreissigmal, an ähnliche Veranstaltungen durch die nahe und gelegentlich auch weitere Region. Ab Rang zehn wird heute niemand mehr persönlich aufgerufen; das ist gnädig für alle diejenigen, die nicht so gut abgeschnitten haben. Jaggi ist Zweite.


Eine Milliarde Franken

«Seit zwölf Jahren ist die Pferdezählung in der Schweiz wegen Sparmassnahmen eingestellt», sagt Arthur Schatzmann, stellvertretender Generalsekretär vom Verband für Pferdesport. «Schätzungen sprechen von bis zu 100 000 Pferden in der Schweiz.»

«Gegen eine Milliarde Franken ist der jährliche Beitrag der Rösseler an das Bruttosozialprodukt», vermutet Schatzmann. Die Schimmel, Füchse, Braunen und Rappen mit Namen wie Pearl Princess, Top Solitär, Donnerschön, Mondglanz und Midnight Lady brauchen Heu, Stroh, Getreidefutter, Gebäudebau und -unterhalt, Wasser, Strom und Mistabfuhr. Dazu kommen mindestens sechsmal jährlich der teure Hufbeschlag, Reitkleidung, Decken, Sättel, Zaumzeug, Putz- und Pflegemittel, Tierarzt, Weideeinrichtungen. Dann noch die Gehälter der ReitlehrerInnen und der PferdepflegerInnen in den Grossställen, die Gewinne der StallbesitzerInnen, die Kosten für Zugfahrzeuge und Pferdeanhänger.