Vorfahren: Die Vielgenerationenfamilie

Nr. 51 –

In der Ahnengalerie der Menschen gibt es Affen, Insektenfresser und Fische.

Die Menschen stammen von den Affen ab. Damit hat sich Darwin im 19. Jahrhundert unbeliebt gemacht und in die Galerie der grossen Ketzer eingereiht - die dann doch Recht bekommen haben.

Aber von wem stammt denn der Mensch sonst noch ab? Die Affen waren ja nur ein Zwischenglied auf dem Weg zur Menschwerdung (und diese keinesfalls beabsichtigt). Richard Dawkins, ein wegen seiner reduktionistischen Ansätze umstrittener englischer Biologe, hat sich die Mühe genommen, die Vorfahren des Menschen bis zum Anfang der Zeit zurückzuverfolgen. Um sich die Arbeit aber nicht unmöglich schwer zu machen, suchte er so genannte MRCAs (Most Recent Common Ancestors), also Vorfahren, die die Menschen mit heute noch existierenden Lebewesen teilen. Etwa mit den Halbaffen oder den Fischen. Diesen Weg schlägt Dawkins ein im Wissen, dass vieles hypothetisch bleibt, denn Stammbäume sind je älter, desto bruchstückhafter. Viele Menschen können ihre Ahnen nicht weiter als einige Generationen zurückverfolgen. Vermutlich den längsten lückenlose Stammbaum hat die japanische Kaiserfamilie - er reicht zurück in vorchristliche Zeiten. Vorhistorische Fossilienfunde sind in den allermeisten Fällen Zufallsfunde, und es braucht eine Menge Kenntnisse, um sie auf der Achse der Zeit und der Verwandtschaft einzuordnen. In geologischen Zeiträumen gedacht, hat ohnehin nur ein Bruchteil aller Kreaturen Spuren hinterlassen. Und 99 Prozent aller Arten, die je die Erde bevölkert haben, sind inzwischen ausgestorben.

Dennoch ist die Suche nach dem Stammbaum des Menschen ein interessantes Unterfangen. Aber was war vor den Affen? Die Halbaffen. Die gemeinsamen Ahnen von ihnen und den Menschen lebten vor 63 Millionen Jahren in einem feuchten und waldigen Umfeld, assen Früchte oder Insekten. Zwischen ihnen und den Menschen liegen etwa sieben Millionen Generationen.

Kurz vor ihrem Auftritt, an der Grenze zwischen Tertiär und Kreidezeit - also vor etwa 65 Millionen Jahren -, schlug wohl ein riesiger Komet auf der Erde ein. Dieses Ereignis besiegelte den Untergang der Dinosaurier. Hingegen überlebten die Vorfahren des Menschen, weil sie klein und anspruchslos waren. Wiewohl sich schon damals die Säugetiere in verschiedene Stämme aufteilten, ähnelten sich die Vorfahren von Elefanten, Walen, Fledermäusen, Ameisenbären und Menschen noch sehr. Mindestens 150 Millionen Jahre hatten diese Tiere - etwa das spitzmausgrosse Morganucodon - zuvor im Schatten der Dinosaurier verbracht. Denn es gab bereits vor 300 Millionen Jahren Tiere, die sich der für Reptilien typischen Abhängigkeit von äusseren Energiequellen entzogen: Mit der Warmblütigkeit entwickelten sich auch das Haarkleid, die Fähigkeit, die Jungen lebend zu gebären und zu säugen. Vor rund 175 Millionen Generationen, als sich die Säugetiere von den Reptilien trennten, waren die Vorfahren der Menschen vermutlich echsenartige Wesen. Deren evolutionäre Leistung bestand darin, sich - anders als die Amphibien - für die Fortpflanzung vom Wasser unabhängig gemacht zu haben. Sie legten Eier mit einer harten Schale.

Aber wie schafften diese Vorfahren den Sprung ans Land? Ein hübsches Bild aus einem italienischen Buch über die Evolution zeigt sie - glitschige Amphibien mit schweren Köpfen und einem Schwanz mit Flossensaum -, einen Sonnenuntergang am Rande eines devonischen Meeres geniessend. Es könnte das heutige Grönland gewesen sein, das damals in den Tropen lag und wo die Überreste dieser primitiven Landbewohner, der Ichthyostegalien, gefunden wurden. Allerdings hatten diese fernen Vorfahren der Menschen nie die Absicht, das Land zu erobern. Vermutlich waren sie in Trockenzeiten gezwungen, Wasser zu finden, was die paradoxe Folge hatte, dass sich ihre Flossen zu Beinen weiterentwickelten. Verwandte aus diesen Urzeiten haben als Quastenflosser im Indischen Ozean überlebt. Sie sind lebende Fossilien. Von ihnen trennten sich die Ahnen der Menschen vor rund 190 Millionen Generationen. Vorher waren alle Vorfahren der Menschen Wasserbewohner, Fische mit Hirn und Kiefer zuletzt, zuvor - vor etwa 560 Millionen Jahren und 270 Millionen Generationen - Fischchen ohne Hirn und Kiefer, entsprechend den heutigen Lanzettfischchen. Und noch weiter zurück waren sie wohl wurmartig, zuvor eine gallertartige Zellmasse, schliesslich eine einzelne Zelle, die sich in der Ursuppe ihrerseits ihre Bauteile zusammengesucht hatte. Und dann waren die Menschen selber Ursuppe. Und wenn ich jetzt diese lange Leiter wieder hinaufsteige, beschleicht mich das Gefühl, dass ich doch schon verdammt alt geworden bin und eine wirklich grosse Familie habe. ◊