Solarstrom: Von der Schuhschachtel zum Kleiderschrank
Das Geschäft der Bieler Firma Sputnik Engineering boomt im Ausland. In der Schweiz hingegen dümpelt die Fotovoltaikbranche vor sich hin.
Die Portierloge ist verwaist. Der Eingangsbereich des Bieler Rolex-Gebäudes ist ein wenig düster. Auf dem Tresen der Loge steht ein Telefon. Damit kann die seit Mitte 2004 eingemietete Firma Sputnik Engineering kontaktiert werden. In deren sonnendurchflutetem Sitzungszimmer wartet Kogeschäftsführer und Verwaltungsrat Christoph von Bergen, zuständig für den kaufmännischen Bereich und die Medien. Ist es ein besonderes Gefühl, an dieser noblen Adresse zu geschäften? «Wir stolzieren nicht mit geschwellter Brust durch die Räume», kontert er. Dazu gäbe wohl eher der Erfolg der Firma Anlass. Die Sputnik Engineering stellt Wechselrichter für Fotovoltaikanlagen her. Diese Geräte wandeln durch Solarzellen oder -module gewonnenen Gleichstrom in Wechselstrom um, was das Einspeisen des Solarstroms ins öffentliche Verbundnetz erlaubt.
Von Bergen macht kein Hehl daraus, wem seine Firma den Erfolg verdankt: «Ohne die rot-grüne Regierung in Deutschland wären wir nicht im Rolex-Gebäude.» Sie förderte erneuerbare Energien per Gesetz, was zu einem Boom in der Branche führte (siehe ganz unten).
Von Bergen und sein Geschäftspartner Philipp Müller, zuständig für den technischen Bereich, erkannten den Trend rechtzeitig. Sie eröffneten 2001 eine Tochterfirma in Stockach (Baden-Württemberg). Ende 2000 beschäftigte die Sputnik noch sechs Mitarbeiter, heute sind es 62. Das Unternehmen verdreifachte 2004 seine Produktion, für 2005 schätzt von Bergen die Steigerung auf vierzig Prozent. Der 41-Jährige zeichnet seine Diagramme auf den Flipchart und redet von den weltweit installierten Fotovoltaikanlagen für jährlich zehn Milliarden Franken, davon mehr als ein Drittel in Deutschland. Dort erzielt die Sputnik über neunzig Prozent ihres Umsatzes, in der Schweiz sind es drei Prozent. Absolute Zahlen nennt er nicht. Lieber betont er, dass die Sputnik in Europa Nummer drei ist und rund zehn Prozent des Weltmarkts abdeckt. Über den Gewinn sagt er einzig, er reiche zur Eigenfinanzierung von Innovationen. Diese müssten einfach und schnell realisierbar sein, sind von Bergen und Müller überzeugt. Der Aufwand für Patentierungen sei zu gross, sagt Müller - und bereut dennoch, dass einige verpasst wurden.
Solare Anbauschlacht
Das rasche Wachstum führte in der Firma zu Umstrukturierungen. Bis 2003 herrschte am früheren Standort Nidau noch Pioniergeist. Jeder war für alles zuständig, Entscheide fällte man spontan. So war das über zehn Jahre. Die Sputnik ist ein Spin-off der Ingenieurschule Biel. Sie erhielt Ende der achtziger Jahre den Auftrag, einen Wechselrichter zu entwickeln. Von Bergen und Müller, damals Assistenten an der Schule, nahmen sich der Sache an. Der Prototyp stiess auf grosses Interesse. Die beiden machten sich 1991 selbständig. Mit der Schule vereinbarten sie eine Lizenzgebühr für die ersten zwanzig Geräte. In einem Dachstock in Bern starteten sie die Geschäftsaktivitäten, und bei Solothurn löteten sie in einer Baubaracke die ersten Wechselrichter zusammen.
Das politische und gesellschaftliche Umfeld schien damals günstig: «Umweltverschmutzung war die Hauptsorge der Schweizer. Der Bund förderte erneuerbare Energien, man sprach von einer solaren Anbauschlacht.» Die Schweizer Solarforschung erregte weltweites Aufsehen. Das war bis Ende der neunziger Jahre so. Dann fuhr der Bund wegen der Rezession die Unterstützung zurück und delegierte sie an die Kantone. Heute investieren in der Schweiz vereinzelte Elektrizitätswerke noch in Solaranlagen.
Banker statt Birkenstöckler
Die Sputnik machte ihre wichtigste Entwicklung im Jahr 1994: einen Wechselrichter ohne Transformatoren. Dies führte zu einem Anstieg der Verkäufe. Müller und von Bergen konnten die ersten Mitarbeiter einstellen und selber Vollzeit arbeiten. Ein Kind jener Zeit ist auch der Name: «Die Begriffe Glasnost und Perestroika waren allgegenwärtig. Auch wenn Banken, Versicherungen und Elektrizitätswerke die Nase rümpften - der Name Sputnik prägt sich ein.»
Ein bisschen Pioniergeist ist im Betrieb noch immer zu spüren. Müller und von Bergen besitzen die Aktienmehrheit ihrer Firma, wodurch die Entscheidungswege kurz bleiben. Eine Fremdfinanzierung etwa durch Börsengang komme nicht infrage, ebenso wenig eine Verlagerung der Produktion ins Ausland. «Solange es uns die Margen erlauben, bleiben wir trotz der hohen Lohnkosten hier», sagt von Bergen und lacht über seine «Schönwetteroptik». Wegen der Eigenfinanzierung hat die Sputnik von Anfang an auf kapitalintensive Investitionen verzichtet. Anstatt viel Geld in einen Maschinenpark zu stecken, baut man lieber auf Zulieferer, von denen die meisten in der Schweiz ansässig sind. In diesen Betrieben sorgt die Sputnik Engineering für weitere sechzig Vollzeitstellen. Beim Rundgang durch die Firma wird augenfällig, dass die Produktion mit achtzehn Angestellten erstaunlich klein ist. Sie bauen die angelieferten Einzelteile zu Wechselrichtern zusammen. Deren Grösse variiert je nach Anwendungsbereich und Leistung: Geräte für den Privatgebrauch sind so gross wie eine Schuhschachtel, potente Wechselrichter für Grossanlagen gleichen einem Kleiderschrank.
Christoph von Bergen traut manchmal seinen Augen nicht, wenn er die Entwicklung der Fotovoltaikbranche betrachtet. Im Juni herrschte an Europas wichtigster Solarmesse im deutschen Freiburg Goldgräberstimmung. «Früher war dort vor allem die Birkenstock- und Faserpelzfraktion vertreten. Heute tummeln sich Banker und Investoren.» Kein Wunder, wenn etwa Firmen wie die deutsche Solarworld ihren Aktienkurs innerhalb eines Jahres versechsfachen. Zwar kleiden sich heute die Branchenangehörigen mehr oder weniger businesslike, doch die Einstellung zur Ökologie ist geblieben: «Es mag grossspurig tönen: Wir tragen mit unseren Mitteln zu einer besseren Welt bei.»
In der Schweiz dümpelt die Branche vor sich hin, und von Bergen ärgert sich: «Hier herrscht noch die Meinung, die Produktion von Solarzellen benötige ein Mehrfaches an Energie, als sie je selber abliefert. Dabei ist das Gegenteil erwiesen, und einzelne Betriebe produzieren gänzlich mit Solarstrom.» Dennoch würden nur absolute Idealisten sich Solarmodule aufs Dach montieren. Müller und von Bergen gehören zu ihnen. Ihre Freunde meinten: «Ihr scheint ja sehr gut zu verdienen.» Von Bergen rechnet vor: Ein durchschnittlicher Schweizer Haushalt verbraucht jährlich 5000 Kilowattstunden Strom. Eine Solaranlage von dreissig Quadratmetern liefert gut zwei Drittel davon und kostet rund 40 000 Franken. «Wenn ich an der Bushaltestelle stehe, sehe ich Autos vorbeifahren, die einiges mehr kosten.» Er gibt zu, dass Solarstrom für rund einen Franken pro Kilowattstunde teuer sei.
Und wie sieht er die Zukunft seiner Firma? Von Bergen rechnet weiterhin mit hohen Zuwachsraten. Spanien fördert seit Anfang 2005 erneuerbare Energie, Italien zieht ab 2006 mit, und Griechenland plant denselben Schritt. «Sogar die USA haben ein Anreizprogramm gestartet.»
Fotovoltaik im Aufwind
In der Schweiz werden jährlich rund zwei Megawatt Solarstromleistung installiert. Pro Kopf waren das laut «Solarbericht 2005» der Bank Sarasin dreimal weniger als in Deutschland. «Der Schweiz fehlt ein ähnlich wirksames Einspeisegesetz für erneuerbare Energien, das in Deutschland für einen riesigen Aufschwung sorgt», schreibt die Basler Bank. Zurzeit herrscht zwar ein Engpass bei der Herstellung von Silizium, dem Rohstoff für die Produktion von Solarzellen. Trotzdem sagt der Sarasin-Bericht bis ins Jahr 2020 im Fotovoltaikmarkt eine jährliche Wachstumsrate von weltweit zwanzig Prozent voraus.
Von solchen Zuwachsraten träumt man in der Schweiz noch. David Stickelberger, Geschäftsführer des Branchenverbands Swissolar, geht jedoch davon aus, dass bis 2020 der Anteil des Solarstroms an der Schweizer Gesamtproduktion auf zwei bis drei Prozent steigen könnte. Derzeit liegt der Anteil noch im Promillebereich - und dies obwohl die Schweiz in der Solarforschung immer noch vorne mitspielt. Bis weit in die neunziger Jahre war sie gar weltweit führend. Umgesetzt werden die Schweizer Innovationen heute oft im Ausland. So produziert etwa eine australische Firma spezielle, auf Farbstoff basierende Solarzellen, die die ETH Lausanne entwickelt hat. Dagegen produziert eine Firma in Yverdon bewegliche Solarzellen, die an der Universität Neuenburg entworfen wurden.
Es liegt vor allem an der Schweizer Politik, dass es für die hiesigen Firmen so schwierig ist, auf dem Heimatmarkt zu reüssieren: Während etwa in Japan oder Deutschland der Staat erneuerbare Energien konsequent fördert, bodigten in der Schweiz bürgerliche PolitikerInnen und Atomlobby im Jahr 2000 die Solarinitiative, die ein Förderprogramm vorsah. Inzwischen kam jedoch wieder etwas Bewegung in die Debatte. Im September beschloss der Nationalrat im Rahmen des Stromversorgungsgesetzes die Einführung einer ähnlichen Einspeisevergütung, wie sie in Deutschland gilt. Das nationalrätliche Modell sieht vor, auf jede verkaufte Kilowattstunde Strom eine Abgabe von 0,3 Rappen zu erheben. Mit dieser Abgabe soll die Produktion von erneuerbarer Energie subventioniert werden. Die Netzbetreiber würden künftig verpflichtet, den ökologischen Strom aus neuen Anlagen zu kostendeckenden Preisen zu übernehmen. Nach spätestens zwanzig Jahren sollten dann diese Anlagen selbsttragend wirtschaften. In zwei markanten Punkten unterscheidet sich dieses Modell jedoch vom deutschen: Die Fördermittel sind begrenzt; jährlich stehen nicht mehr als 165 Millionen Franken zur Verfügung. Davon darf keine der geförderten Technologien (zum Beispiel Wind-, Wasser- oder Sonnenenergie) mehr als die Hälfte beanspruchen. Gerade im Bereich Fotovoltaik sei das eine empfindliche Einschränkung, sagt Stickelberger. Deutschland zeige, dass dieser Markt bei geeigneten Rahmenbedingungen sehr schnell wachsen könne. Trotz allem: Passiert das Gesetz den Ständerat, dürfte es der Schweiz einen Fotovoltaikboom bescheren, ist Stickelberger überzeugt.
Derzeit fördern einige Elektrizitätswerke mit ihren Ökostromangeboten auch Solarstrom. Dabei bezahlen ÖkostromkundInnen einen beträchtlichen Aufpreis. Mit dem neuen Modell würden die (derzeit noch hohen) Gestehungskosten von Strom aus erneuerbarer Energie auf sämtliche StrombezügerInnen verteilt - wie dies übrigens seit Jahrzehnten beim ebenfalls teuer produzierten Strom aus Atomkraftwerken geschieht. Stickelberger glaubt, dass Schweizer Firmen stark von der so genannten Einspeisevergütung für Solarstrom profitieren werden - auch wenn deutsche Unternehmen auf dem hiesigen Fotovoltaikmarkt stark präsent sein dürften.