Strommarkt: Geld für Sonne und Wind
Vor vier Jahren erlitt das Elektrizitätsmarktgesetz Schiffbruch. Nun liegt ein neues Gesetz vor, mit dem der Strommarkt liberalisiert werden soll. Erneuerbare Energien haben endlich eine Chance.
Das Gesetz trägt den wenig aufregenden Titel «Stromversorgungsgesetz» (Strom VG), und es hat eine lange, wirre Vorgeschichte. Eigentlich wollten es die Eidgenössischen Räte dieses Jahr noch zu Ende beraten - gut möglich, dass es doch länger dauert. Gestritten wird um eine Einspeisevergütung, um das Hochspannungsnetz und um die Frage, ob und wann das Stimmvolk mitreden darf.
Doch beginnen wir von vorn. Es gab einmal drei Vorlagen: Die Solar-Initiative, die Förderabgabe und der Verfassungsartikel «Für Energie und Arbeit». Es waren drei Vorlagen, die die Schweizer Energielandschaft hätten umkrempeln können. Die Solar-Initiative sah eine Abgabe auf nichterneuerbare Energien wie Benzin, Heizöl oder Atomstrom vor und hätte jährlich 750 Millionen Franken eingebracht, mit denen man erneuerbare Energien und die Energieeffizienz hätte fördern können. Die Förderabgabe war ein Gegenvorschlag des Parlamentes und hätte noch 450 Millionen Franken geliefert. Der Verfassungsartikel schliesslich forderte eine ökologische Steuerreform: Künftig hätte man nichterneuerbare Energie vermehrt besteuert und die gewonnenen Mittel eingesetzt, um die AHV-Beiträge zu senken. Es waren drei kluge Vorlagen, doch der Widerstand seitens der Wirtschaft war so heftig, dass alle drei am 24. September 2000 an der Urne verworfen wurden.
Das unausgegorene EMG
Zu jener Zeit debattierte man in der Schweiz bereits über das Elektrizitätsmarktsgesetz (EMG), das den hiesigen Strommarkt liberalisieren sollte. Die Europäische Union hatte in den neunziger Jahren beschlossen, den europäischen Strommarkt bis 2007 vollständig zu liberalisieren. Alle EU-BürgerInnen sollen spätestens dann frei wählen können, bei wem sie künftig Strom beziehen möchten. Das erklärte Ziel: den Wettbewerb fördern - denn Wettbewerb bringt billigeren Strom. Das EMG folgte dieser Logik und entzweite sowohl Linke wie auch Umweltorganisationen. Paul Rechsteiner, SP-Nationalrat und Gewerkschaftsbundpräsident, argumentierte, es gingen mit dem EMG mindestens 6000 Arbeitsplätze verloren, vor allem setze aber dieses Gesetz die Versorgungssicherheit aufs Spiel. Auf der anderen Seite kämpfte Rudolf Rechsteiner, SP-Nationalrat und Ökostromspezialist, für das Gesetz, weil Strom aus erneuerbaren Energiequellen während zehn Jahren kostenlos hätte durchs Stromnetz geleitet werden dürfen. Das klingt kulant, hätte aber real pro Jahr höchstens 30 Millionen Franken entsprochen - ein bescheidener Betrag verglichen mit den 750 Millionen der Solar-Initiative. Das EMG wurde am 22. September 2002 deutlich abgelehnt.
Kostendeckend
Inzwischen liegt ein neues Liberalisierungsgesetz vor, das «Bundesgesetz über die Stromversorgung» (StromVG). Es rückt, wie die Gewerkschaften gefordert haben, die Versorgungssicherheit ins Zentrum. Laut diesem Gesetz hat jeder, egal in welch abgelegenem Bergbauernhof er lebt, Anspruch darauf, mit Strom versorgt zu werden. Selbst glühende BefürworterInnen des EMG räumen heute ein, das StromVG sei viel besser als jenes.
Allerdings gibt es noch einige umstrittene Punkte: Kommt die Liberalisierung in zwei Stufen? Wem gehört das Höchstspannungsnetz? Wie wird die erneuerbare Energie gefördert?
Der letzte Punkt ist nicht im StromVG, sondern im Energiegesetz geregelt, dessen Revision die Räte zurzeit ebenfalls debattieren. SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner brachte den Antrag ein, die Schweiz solle - wie in Deutschland - eine kostendeckende Einspeisevergütung für erneuerbare Energien einführen. Der Nationalrat stieg darauf ein. Neu soll es im Energiegesetz einen Artikel geben, der besagt: Wer neue Anlagen baut, die Strom aus Sonne, Wind, Biomasse, Erdwärme oder Wasserkraft erzeugen, hat künftig während dreissig Jahren Anspruch darauf, dass die Elektrizitätswerke diesen Strom abnehmen und dafür einen kostendeckenden Tarif bezahlen - eine kostendeckende Einspeisevergütung. Diese wird finanziert, indem man auf die Netzdurchleitungsgebühren einen Zuschlag erhebt. Allerdings will man einen unkontrollierten Bauboom vermeiden und hat deshalb eine Obergrenze eingeführt: Man spricht heute von einer Vergütung in der Höhe von 0,5 oder 0,6 Rappen. Der gesamte inländische Stromverbrauch würde also mit 0,6 Rappen pro Kilowattstunde (kWh) belastet, was pro Jahr etwa 330 Millionen Franken brächte.
Zudem will man verhindern, dass eine Technologie allein - wie zum Beispiel die Fotovoltaik, die relativ teuer ist - übermässig Mittel verschlingt. Deshalb soll eine Technologie höchstens 25 Prozent der Mittel beanspruchen dürfen. Das ergäbe für die Fotovoltaik immer noch 82,5 Millionen Franken pro Jahr. Mit diesen Mitteln liessen sich Solarpa-nels mit einer Leistung von insgesamt 124 Megawatt erstellen (das AKW Mühleberg hat eine Leistung von etwa 350 Megawatt).
Inzwischen haben alle Nachbarländer der Schweiz eine kostendeckende Einspeisevergütung. In Deutschland brachte die Einspeisevergütung einen unglaublichen Ökostromboom. 2005 verfügte Deutschland über Fotovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von 1528 Megawatt - das entspricht der Leistung von eineinhalb grossen Atomkraftwerken. Für dieses Jahr ist ein weiterer Zuwachs von zwanzig Prozent prognostiziert.
Noch stärker boomt die Windkraft. Im Januar 2006 waren Windturbinen mit einer Leistung von 18427 Megawatt in Betrieb. Eine unglaubliche Menge, sind doch laut dem deutschen Bundesverband Windenergie weltweit Windanlagen mit einer Kapazität von 59200 Megawatt am Netz.
Ab 2009 kämen noch die ganz grossen Offshoreanlagen hinzu, prognostiziert Rudolf Rechsteiner. Gigantische Windräder mit einem Rotordurchmesser von 120 Metern, die im Meer stehen. Diese Windfarmen sollen eine Leistung von 500 bis 1000 Megawatt aufweisen.
Topografisch ist die Schweiz nicht geeignet für grosse Windfarmen, aber sie hat Stauseen. Die Logik dahinter: Die Windanlagen produzieren Strom, wenn es windet - also nicht immer dann, wenn man ihn unbedingt braucht; bei starkem Wind pumpt man mit dem überschüssigen Windstrom Wasser in die Stauseen und lässt es - energieerzeugend - ab, wenn der Strombedarf am grössten ist. «Mit den Schweizer Speicherseen kann man fast den ganzen deutschen Windpark regulieren», sagt Rechsteiner. «In den meisten bergigen Windländern wird man Pumpspeicherwerke bauen, weil der Wirkungsgrad dieser Speicherung mit achtzig Prozent sehr hoch ist, davon bin ich überzeugt. In Andalusien werden sie vielleicht schon bald Pumpspeicherwerke mit Salzwasser betreiben - um das Stromangebot effizient zu regulieren.»
Schweizer Biomasse
Ein anderer Bereich, der ebenfalls massiv von der Einspeisevergütung profitieren könnte, betrifft Leute, die bislang kaum mit Strom zu tun hatten: die LandwirtInnen. Sie kontrollieren die Biomasse, die Wälder mit dem Holz, die Gülle und Grünabfälle, und zudem könnten sie Pflanzen anbauen, aus denen sich Biotreibstoff herstellen liesse. Einige Bauern haben sich schon auf dieses Terrain vorgewagt und auf eigenes Risiko Vergärungsanlagen gebaut. «Das Potenzial ist enorm - alle warten nur, dass endlich die Einspeisevergütung kommt. Wir brauchen sie, möglichst bald», sagt Arthur Wellinger von der Agentur für erneuerbare Energie (AEE). Das Potenzial der Schweizer Biomasse wird auf 5600 Millionen Kilowattstunden geschätzt - womit sich die beiden Reaktorblöcke von Beznau ersetzen liessen.
Wem gehört das Netz?
Bevor die kostendeckende Einspeisevergütung kommt, muss jedoch noch die Frage geklärt werden, wem dereinst das Hochspannungsnetz gehören soll. Die grossen Elektrizitätswerke, denen diese Netze heute gehören, wollten ursprünglich einen Netzbetreiber gründen, der zwar unabhängig agiert, aber immer noch ihnen gehört. Das StromVG sieht jedoch vor, dass die Hochspannungsnetze in einer neuen Netzgesellschaft vereint werden, die von den Kantonen kontrolliert würde - und zwar in dem Verhältnis, in dem sie an den Überlandwerken beteiligt sind. Die Elektrizitätswerke wehren sich heftig dagegen, die Kantone sind auch nicht begeistert. Anfang September will das Bundesamt für Energie einen Kompromissvorschlag präsentieren. Für die Umweltorganisation ist die Netzfrage nicht so zentral, doch auch sie favorisieren wie die Gewerkschaften und die KonsumentInnenorganisationen eine öffentlich kontrollierte Netzgesellschaft.
Der Streit um die Netzgesellschaft könnte das gesamte Geschäft verzögern, was gravierende Auswirkungen hätte: Das Stromversorgungsgesetz regelt auch die Stromdeklaration. Ohne Deklaration können die hiesigen Elektrizitätswerke künftig keinen «grünen», teureren Wasserstrom mehr in die EU liefern. Sie erhielten für ihren sauberen Wasserstrom nur noch den wesentlich tieferen Tarif für den - dreckigeren - europäischen Strommix.
Aus diesem Grund dürften auch die grossen Schweizer Elektrizitätswerke daran interessiert sein, das StromVG und das revidierte Energiegesetz möglichst rasch und reibungslos durchzubringen. Dies stärkt unter anderem die Gewerkschaften. Sie sind zwar mit dem aktuellen Vorschlag, den Strommarkt in zwei Schritten zu liberalisieren, einverstanden. Im ersten Schritt erhielten nur Unternehmen, die 100 000 Kilowattstunden im Jahr verbrauchen, sowie alle Elektrizitätswerke freien Zugang zum Markt. Nach fünf Jahren sollte der Markt für alle geöffnet werden. «Wir wollen aber, dass dieser zweite Schritt dem fakultativen Referendum untersteht», sagt Rolf Zimmermann vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB). Das fakultative Referendum würde erlauben, vor der vollständigen Liberalisierung 50 000 Unterschriften zu sammeln; kommen die Unterschriften zusammen, käme es zu einer Volksabstimmung. «Das EMG wurde abgelehnt. Wir können nicht zulassen, dass der Strommarkt nun ohne Abstimmung liberalisiert wird. Und das wäre der Fall, wenn in der zweiten Phase kein Referendum möglich ist», sagt Zimmermann. So aber könnte der SGB darauf verzichten, schon jetzt gegen das StromVG das Referendum zu ergreifen.
Ob die kleineren Unternehmen und einzelnen Haushalte überhaupt auf dem freien Markt einkaufen wollen, ist mehr als fraglich. Ein Unternehmen, das 100000 Kilowattstunden pro Jahr verbraucht (zum Beispiel eine Grossbäckerei), könnte im Jahr höchstens 700 bis 1000 Franken sparen, wenn es zum günstigsten Anbieter wechselt. Andere KMU, die nicht so viel Strom benötigen, müssten einen beachtlichen Aufwand betreiben, um letztlich einige wenige hundert Franken im Jahr zu sparen. Das dürfte sich kaum lohnen und gebe den Unternehmen kaum einen Wettbewerbsvorteil, sagt Zimmermann.
Zudem sieht man, dass in den liberalisierten Märkten die Strompreise zum Teil massiv angestiegen sind. Es ist inzwischen klar, dass die Liberalisierung die versprochenen Verheissungen von mehr Wettbewerb und günstigeren Tarifen nicht erfüllt. Wenn der Markt schon geöffnet werden soll, dann aber immerhin mit einem Gesetz, das ein volkswirtschaftliches Desaster verhindert.