Durch den Monat mit Stina Werenfels (Teil 4): Sind Sie die ideale Mama?
WOZ: Bei unserem letzten Gespräch waren Sie nervös – die Krippe hatte angerufen, weil Ihre Tochter erkrankt war, Sie mussten gleich danach mit ihr zum Arzt. Eine typische Situation? Wie bringen Sie Beruf und Familie unter einen Hut?
Stina Werenfels: Je nach Arbeitssituation schlecht und recht. Doch wenn mein Kind krank ist, bricht die Struktur zusammen. Dann will ich ja auch bei ihr sein. Das kompensiere ich dann vielleicht mit Nachtschichten ... wenn ich nicht sowieso schon viele schlaflose Nächte hatte.
Wie sind bei Ihnen Vater- und Mutterrolle verteilt?
Fünfzig-fünfzig. Obschon, dafür, die Matrix aufrechtzuerhalten, die absolute durchgehende Betreuung, bin mehr ich zuständig. Man muss ja die vollkommene Nahtlosigkeit ohne Zwischenfälle organisieren. Mein Mann ist dafür seit der Schwangerschaft derjenige, der mit zwei vollen Einkaufssäcken nach Hause kommt und kocht. In die Krippe bringen und abholen teilen wir uns auf. An manchen Tagen haben wir eine Kinderfrau, je nachdem, wie viel ich arbeite.
Also ideale Verhältnisse?
Es geht gut – und ist anstrengend. Den Idealzustand gibt es nicht, auch wenn die Medien gern Frauen porträtieren, bei denen alles perfekt ist, Beruf, Mann, Kind. Das ist doch verlogen.
Mitte der neunziger Jahre forderten Frauen aus der Filmbranche in Locarno mehr Frauenförderung. Dieses Jahr hatten Spielfilme von Regisseurinnen sowohl in Solothurn wie in Berlin starke Auftritte. Gibt es eine neue Generation von Filmerinnen?
Ja. Ich bin im Alter des ersten Jahrgangs von Filmschulabgängerinnen
in der Schweiz, die – wie zum Beispiel Sabine Boss – einen guten Stand haben. Wir sind so was wie die Vorhut, denn jetzt rücken viele junge Frauen nach, die Kurzfilme machen, Dokumentar-, Experimental- und Animationsfilme. Die Zürcher Schule für Gestaltung hat einen hohen Frauenanteil.
Das ist ja dann wohl das Ende des Frauenbonus. Gibt es einen harten Konkurrenzkampf?
Konkurrenz gibt es erst, wenn man Spielfilme macht, weil die wirklich kostenintensiv sind. Dann beansprucht man einen grossen Teil des Kuchens, der immer noch grossmehrheitlich von den Männern gegessen wird. Es gibt noch zu wenige Frauen, die Spielfilme machen. In der Schweiz sind sie fast
alle aus dem Filmproduktionshaus Dschoint Ventschr hervorgegangen ...
Schleichwerbung für die Firma
Ihres Mannes?
Nein! Das muss ich hier sagen, das ist ein Fakt. Zur Konkurrenz: Wenn man aus dem gleichen Stall kommt, gibt es Freundschaften und ein Gefühl von Solidarität.
Was verbindet Sie mit den Regisseurinnen Nadia Fares, Esen Isik, Andrea Staka, Anna Luif? Sie alle machten Ende der neunziger Jahre in Zürich Kurzspielfilme über Identität und Zugehörigkeit, die auf biografischen Erfahrungen basierten. Zufall?
Diese Frauen haben alle eine Art von «kombiniertem» Hintergrund, jede hat einen starken Bezug zu einer nichtschweizerischen Kultur. Deshalb haben sie etwas gemeinsam: Sie haben gelernt, sich gegen Widrigkeiten durchzusetzen, etwas auszuhalten. Allein schon der Prozess der Integration verlangt grosses Beharrungsvermögen, und das ist etwas, was es auch im Film braucht.
Man gibt Ihnen viel Geld und sagt: Nun mach mal, wir vertrauen dir. Wie halten Sie diesen Druck aus?
Man hat gar keine Wahl, es gibt kein Zurück. Neunzig Prozent geht es darum, einfach standzuhalten. Nicht einknicken, Lösungen finden, Widerstand bieten und darauf beharren, dass das Unmögliche möglich sein muss.
Sie bieten also keine Kompromisse an, versuchen es nicht mit Charme?
Oh, man setzt alles ein. An dem Punkt wird man zur Nutte, tut mir leid. Man braucht seinen Charme bei Schauspielern, bei Hausbesitzern, bei Behörden, versucht, alle Kontakte spielen zu lassen, die es gibt, weil es einfach existenziell ist. Dann gibt es auch den Moment, wo man sagen muss: Sorry, mit dir nicht mehr. Wenn es mit jemandem nicht klappt, dann trenne ich mich lieber früher als später. Bei «Nachbeben» war die Equipe sehr loyal, nicht nur mir als Regisseurin, sondern überhaupt dem Low-Budget-Projekt gegenüber. Und ich versuche, keine Schauspieler zu engagieren, die nur arbeiten, wenn sie eine harte Hand spüren. Solche gibt es nämlich.
Stattdessen haben Sie Ihre Tochter engagiert – und eine subtile und böse kleine Eifersuchtsszene um das Kind inszeniert.
Ich hatte es nicht geplant, dass sie mitspielt. Ausserdem gibt es die goldene Regel «keine Kleinkinder im Film». Aber meine Tochter war faktisch immer um mich, die Atmosphäre auf dem Set war sehr familiär, sie fühlte sich pudelwohl und schliesslich bezogen die Schauspieler sie in der Improvisation ganz natürlich mit ein.
Stina Werenfels, geboren 1964, ist Regisseurin und Mutter einer zweijährigen Tochter.