US-Aussenpolitik: Machtpolitik als Gewöhnungssache
Nur einen Tag, nachdem die in den USA gefertigte Bombe in das Wohnhaus im südlibanesischen Kana einschlug, machte US-Präsident George Bush klar, dass ein Waffenstillstand im Libanonkrieg momentan nicht im US-Interesse liege: «Stoppen um des Stoppens willen kann okay sein, aber es hat keinen Einfluss auf die Ursachen des Problems», sagte er dem US-Sender Fox News in Miami. Dann machte er sich wieder daran, dem US-Fernsehpublikum Normalität zu suggerieren. «Einen Tag in Miami» übertitelte sein Pressedienst das tägliche Bulletin.
Im Krieg gegen den Libanon und die Hisbollah-Bewegung im Süden des Landes kann sich Israel voll auf die derzeitige US-Regierung verlassen. Die Positionen sind identisch. Ein Waffenstillstand wird erst dann befürwortet, wenn sich im Libanon «substanziell» etwas verändert hat. Inzwischen kann davon ausgegangen werden, dass das Kriegsziel nun in der Schaffung eines menschenleeren oder zumindest stark entvölkerten, mehrere Kilometer breiten Korridors an der israelischen Grenze liegt.
Man muss also damit rechnen, dass es im Libanonfeldzug Israels weitere «Kollateralschäden» geben wird. Sie werden von Israel wie von den USA in Kauf genommen, um ihre politischen Ziel zu erreichen. Die Kriege in Afghanistan und im Irak zeigen, dass auch noch wesentlich höhere Opferzahlen drinliegen könnten.
Verheerend an dieser Politik ist auch, dass es in der Öffentlichkeit über kurz oder lang zu einer Abstumpfung kommt. Es braucht schon Fernsehbilder von toten Kindern, bis Protest laut wird und sich PolitikerInnen zu einer kurzfristigen Beruhigungsreaktion veranlasst sehen. Die vom US-Aussenministerium versprochene 48-stündige Bombardierungspause nach dem Kana-Massaker konnte dann aber von Israel nach Gutdünken gekürzt werden.
Im Kleinen scheint diese Gewöhnung schon fast vollkommen. Kaum ein Protest war etwa hörbar gewesen, als die US-Armee am 7. Juni mit einer so genannten Präzisionsbombe ein Haus sprengte, in dem sich der mutmassliche Topterrorist Abu Mussab as-Sarkawi aufgehalten hatte. Bei dieser Aktion sind auch fünf andere Personen getötet worden, darunter ein fünf bis sieben Jahre altes Kind, wie der US-Militärsprecher William Caldwell nach einem zwischenzeitlichen Dementi einräumen musste. Das Kind blieb namenlos. Bilder gab es, im Gegensatz zu der zur Schau gestellten Leiche von as-Sarkawi, keine.
Verheerend ist aber auch, dass beim Krieg, wie er jetzt im Libanon geführt wird, von beiden Seiten die Genfer Konventionen, die bei bewaffneten Konflikten gelten, mehr oder weniger missachtet werden. Während die Hisbollah-Miliz, welche mit ihren Raketen die Bevölkerung Nordisraels terrorisiert, weitum verurteilt wird, tötete Israel bereits hunderte von libanesischen ZivilistInnen, ohne dass westliche Staaten Sanktionen gegen das Land ergreifen würden. Mit einer solchen Politik werden internationale Übereinkünfte, welche die Menschenrechte und die Sicherheit gewähren sollen, ad absurdum geführt. Oder noch schlimmer: Sie werden je nach politischer Nützlichkeit eingesetzt.
Die US-Regierung agiert in dieser Hinsicht meisterlich. Wenn es um die Unterstützung Israels geht, argumentieren US-Offizielle mit der Uno-Resolution 1559, welche implizit die Entwaffnung der Hisbollah verlangt. Israel hingegen ignoriert seit über 25 Jahren etwa die Uno-Resolutionen 465 und 476, welche die Besiedelung der von ihr besetzten Gebiete verurteilt und den Staat auffordert, sich daraus zurückzuziehen.
Am Dienstag haben es die USA geschafft, eine Uno-Resolution gegen den Iran zu erwirken, die einen Stopp der Urananreicherung verlangt. Dabei hat der Iran den Atomsperrvertrag unterzeichnet und behauptet, das angereicherte Uran völkerrechtskonform nur für zivile Zwecke nutzen zu wollen. Eigentlich müssten sich die USA, wenn sie es ehrlich meinen, dafür einsetzen, dass die internationalen Kontrollen in Atomanlagen generell verschärft werden, um die Ausbreitung von Atomwaffen zu stoppen. Doch was passierte ein paar Tage zuvor? Das US-Repräsentantenhaus akzeptierte mit grosser Mehrheit ein Milliarden-Dollar-Abkommen mit Indien, das der Atommacht Indien im grossen Stil Atomtechnologie zuführt. Dabei hat Indien weder den Atomsperrvertrag unterzeichnet noch eine Erklärung zum Verzicht auf Atombombenversuche und das weitere Produzieren von hochangereichertem Uran und Plutonium abgegeben. Die britische Wochenzeitung «Economist» schreibt, dass sich damit «das Netz von Abkommen und Kontrollen, welche die Ausbreitung der Atombombe zu stoppen versuche, aufzulösen» beginne. Indien - ein Land, das vielleicht wieder mal von der ultranationalistischen Hindupartei BJP regiert wird - werde so viele Atombomben produzieren können, wie es wolle. Und China, mit dem Deal der USA nicht glücklich, könnte ein ähnliches Abkommen mit Pakistan schliessen.