Fidel Castro: Annäherung an einen Mythos
«Castro ist wie ein junges Pferd, das noch nicht zugeritten ist. Er ist hitzig und benötigt eine gewisse Disziplin.» So beschrieb der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow den jungen Fidel Castro nach deren erstem Treffen im September 1960. Hitzig, aufbrausend und ungeduldig ist der kubanische Staatschef auch noch in hohem Alter. Widerspruch duldet der Máximo Líder nur selten, Versagen steht auf dem Index. Zumindest bei seinen Vertrauten und Ministern, von denen nur wenige lange genug im Amt bleiben, um dem Comandante en Jefe Konkurrenz zu machen. Ein Prinzip, dem der dienstälteste Staatschef der Welt seine bis heute dominante Machtposition auf der Insel zu verdanken hat.
Als gewiefter Machiavellist besetzt Castro die Führungspositionen ständig neu, schreiben José de Villa und Jürgen Neubauer in ihrer Biografie «Máximo Líder» über den bärtigen Mann, der möglichst alles selbst machen, entscheiden und kontrollieren will.
Für den deutschen Journalisten und den mexikanischen Publizistikprofessor der Autonomen Universität von Mexiko City ist Fidel Castro der Prototyp des intelligenten Machtpolitikers, der kaum etwas aus der Hand geben kann. Das geht so weit, dass sich Castro nach seinem folgenschweren Sturz in Santa Clara vom 21. Oktober 2004 nur unter örtlicher Betäubung an Knie und Ellenbogen operieren liess und die Vollnarkose kategorisch ausschlug. Er wollte die Kontrolle nicht aus der Hand geben und seine Pistole, wenn notwendig, selbst bedienen können. Diese Anekdote aus dem Munde des kubanischen Staatschefs sagt viel aus über seinen Charakter. Am Ziel wähnt er sich noch lange nicht, und deshalb macht er sich grosse Sorgen, dass nach seinem Tode diejenigen die Macht übernehmen könnten, die vor der Revolution das Sagen hatten.
Ein Albtraum für den Sohn eines galicischen Gutsbesitzers, der immer in die Geschichtsbücher eingehen wollte und letztlich gleich mehrere Kapitel der kubanischen Geschichte selbst geschrieben hat. Diese Kapitel haben die beiden Autoren unter die Lupe genommen und dabei neue wie bekannte Facetten Fidel Castros aufgezeigt. Da ist der wirtschaftspolitische Dilettantismus, den Castro trotz all seines angelesenen Detailwissens immer wieder an den Tag legt und der lange Jahre über das ökonomische Sicherheitsnetz der Sowjetunion aufgefangen wurde. Deren Auflösung hat Kubas Wirtschaft trotz aller Unkenrufe genauso überlebt wie Castro die unzähligen Attentatsversuche – ein kleines Wunder am Rande der weltpolitischen Bühne. Auf diese Bühne gelang es Castro dank seines propagandistischen Geschicks immer wieder zu klettern, ob während der Raketenkrise von 1961 oder beim Weltgipfel für soziale Entwicklung in Kopenhagen 1995. Auch derzeit ist der für die Unterdrückung der demokratischen Grundrechte gescholtene Castro wieder obenauf, auch wenn er gegenwärtig gesundheitlich geschwächt ist. Geschickt schmiedet er an der Seite von Venezuelas Präsident Hugo Chávez neue regionale Allianzen und bringt die Isolationsdoktrin aus dem Weissen Haus erneut zum Scheitern. Auch in die Diskussion über die eigene Nachfolge hat sich der bärtige Revolutionsführer eingemischt und die hinter vorgehaltener Hand geführte Diskussion öffentlich gemacht. Wieder einmal ist Castro in die Offensive gegangen und wirbt bei der Jugend für die eigenen Ideale und die bekannten Rezepte. Die haben sich allerdings seit den siebziger Jahren nur wenig geändert, urteilen die Autoren.
Zum Ende ihrer erfrischend komprimierten Biografie versuchen sie, im Kaffeesatz die kubanische Zukunft zu deuten. Kubanische Kandidaten für die Nachfolge werden genauso vorgestellt wie US-Szenarien für den Übergang. Doch letztlich ist es die kritische und gut ausgebildete Jugend des Landes, die über die Revolution und den Mythos Castro befinden wird. Und ob die ihn, wie er behauptet, vor der Geschichte freisprechen wird, wird sich dann zeigen.
José de Villa und Jürgen Neubauer: Máximo Líder. Fidel Castro – Eine Biographie. Econ Verlag Berlin, 2006. 270 Seiten. 35 Franken