Giftige Cola: Das Herz will Pestizide

Nr. 33 –

Die indische Bevölkerung befindet sich in Aufruhr, die Regierung beschwichtigt, und die Firmen machen wohl weiter wie gewohnt. Wie aus einem Getränk ein Insektenvernichter wurde.

«Es wirkt tatsächlich», sagt der 52-jährige Reisbauer Balchandra Patil aus dem indischen Bundesstaat Maharashtra. «Ich kaufte eine 1,5-Liter-Flasche Coca-Cola, mischte es mit fünfzehn Liter Wasser und besprühte damit einen Hektar meines Reisfeldes. Innerhalb von vier Stunden trieben alle Pflanzeninsekten tot im Wasser.»

Vor drei Jahren schockierte die nichtstaatliche Organisation (NGO) Centre for Science and Environment (CSE) aus Neu-Delhi die Bevölkerung mit einer Studie über das massive Vorkommen von Pestiziden in Mineralwasser und anderen kohlesäurehaltigen Getränken. Sowohl die Regierung als auch die betroffenen Unternehmen liessen zwar sofort verlauten, künftig regelmässige Kontrollen durchzuführen und entsprechende Vorschriften zu erlassen, doch in Wirklichkeit geschah gar nichts.

In der ersten Augustwoche des laufenden Jahres präsentierte CSE die traurigen Resultate einer neuen Studie. Bei fast sechzig Getränkeproben in zwölf Bundesstaaten wies die NGO Pestizidrückstände nach, die das 24-fache des entsprechenden EU-Grenzwertes betrugen. Bei den Untersuchungen aus Bombay wurde der Grenzwert gar um das 34-fache überschritten. Neben den Pestiziden fand das CSE zudem dreissig Prozent mehr künstliches Koffein, als beispielsweise in der EU erlaubt ist. Dies führt zu Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Suchtverhalten.

«Es ist schockierend. Meine Tochter war Coca-Cola-süchtig, aber ich konnte sie davon abbringen», sagt der Bollywood-Schauspieler Suneil Shetty. Vor allem die Jugendlichen aus der Mittel- und Oberklasse konsumieren Cola-Getränke in grossen Mengen. Aus diesem Grund konzentrieren sich die Proteste besonders an Schulen und Unis. «Damit wollen wir Druck auf die Getränkeunternehmen erzeugen, damit diese die Pestizidrückstände in der Cola reduzieren», sagt V. Shankaran vom renommierten Bildungsinstitut South Indian Educational Society (Sies). Die vor allem in Bombay basierten Sies-Colleges und -schulen gehörten landesweit zu den ersten Ausbildungsstätten, die den Ausschank und Konsum von Cola-Drinks auf ihrem Campus verboten. Mittlerweile empfehlen auch eine ganze Reihe von anderen Betrieben ihren Angestellten, auf andere Getränke umzusteigen. KonsumentenschützerInnen haben landesweit Kampagnen gegen die schädlichen Auswirkungen von Pepsi- und Coca-Cola lanciert.

Am 9. August hat Kerala als erster Bundesstaat ein vollständiges Produktions- und Verkaufsverbot von Cola-Getränken erlassen. Fünf Tage später folgte der Nachbarstaat Karnataka mit einem Verbot für elf kohlensäurehaltige Getränke. Auch die Bundesstaaten Madhya Pradesh, Punjab, Rajasthan und Gujarat wollen in Kürze mit entsprechenden Erlassen folgen. PolitikerInnen der wichtigsten Parteien von links bis rechts forderten im indischen Parlament ein landesweites Cola-Verbot und das unverzügliche Inkrafttreten eines Gesetzes über Nahrungsmittelsicherheit mit dazugehörigen Standards, das beim Präsidenten hängig ist. Gurudas Dasgupta, Chef der Kommunistischen Partei Indiens, verlangte, dass die Getränkefirmen den Inhalt ihrer Produkte deklarieren. Er appellierte auch an den nationalen Cricket- und Fussballverband, die Multis nicht mehr als Sponsoren zu wählen. Der oberste indische Gerichtshof setzte den Getränkemittelherstellern am 4. August eine Frist zur Deklaration der Zusammensetzung ihrer Produkte.

In verschiedenen indischen Grossstädten wie Bangalore, Delhi, Bombay oder Ahemdabad kam es zu wütenden Protestkundgebungen, bei denen Getränkeflaschen und Werbeplakate zerstört wurden. «Seit die Studie herauskam, schrumpften die Cola-Umsätze um dreissig bis vierzig Prozent», sagt Chandrahas Shetty, Präsident des indischen Hotel- und Restaurantverbandes. «Die Leute haben Angst. Und die Jugend glaubt nicht mehr an die Firmenslogans «So sollte das Leben sein» oder «Das Herz verlangt nach mehr».

Die Pestizide in den Getränken haben laut dem Arzt Anoop Misra Langzeitauswirkungen auf Knochen, Knochenmark, Nieren und andere Organe. Und immerhin kontrollieren die Getränkemittelmultis 99 Prozent des indischen Marktes. Über das Verhalten der Cola-Firmen kann Amit Shrivastava von der globalisierungskritischen Bewegung India Resource Centre nur den Kopf schütteln. «Es ist nicht nachvollziehbar, dass ein Unternehmen mit einem globalen Standard prahlt, und drei Jahre, nachdem es bereits einmal von der indischen Regierung verwarnt worden ist, immer noch keine Massnahmen ergriffen hat.»

Die Pestizidrückstände in den Getränken sind laut Shrivastava ein klassisches Beispiel für doppelte Standards, einen für die AmerikanerInnen und EuropäerInnen und einen für die InderInnen. «Seit Januar 2005 hat die US-amerikanische Zulassungsbehörde für Nahrungsmittel und Arzneimittel FDA mindestens zehnmal die Einfuhr indischer Cola mit der Begründung verwehrt, die Getränke würden nicht dem US-amerikanischen Standard entsprechen und das Wohl der BürgerInnen gefährden.» Was für die AmerikanerInnen nicht gut genug sei, dürfe ja wohl auch nicht den InderInnen zugemutet werden.

Der ganze Produktionskreislauf der Cola-Getränke - von der Wasserverwertung bis zur Lieferung - ist problematisch. So fand die Umweltbehörde Central Pollution Control Board grosse Mengen Blei und Kadmium in den Abfällen sämtlicher von ihr kontrollierten Cola-Abfüllanlagen in ganz Indien. Es braucht vier Liter Wasser, um einen Liter Cola herzustellen. Das Unternehmen leitet also drei Viertel des Wassers, das es für die Cola-Herstellung benötigt, als Abfall ins Abwasser ab, das wiederum das Grundwasser und die Böden kontaminiert.

In Kerala und Rajasthan fiel der Grundwasserspiegel in der Nähe von Cola-Abfüllanlagen in den letzten fünf Jahren von fünf auf zehn Meter. In der Folge leiden nicht nur tausende von Menschen unter akuter Wasserknappheit, sondern können auch keine Landwirtschaft mehr betreiben. Der Boden, der noch übrig bleibt, wird mit Pestiziden regelrecht verseucht, um die Erträge zu steigern. Und das alles wegen Firmen, die mehr Jobs und Einkommen versprachen - und einen besseren Lebensstandard für die lokale Bevölkerung.

Nach einem ähnlichen Skandal vor drei Jahren intensivierten Coca-Cola und Pepsi ihre Werbebemühungen und sponserten bekannte indische Film- und Cricketstars. Daneben unterstützen sie grosse Sportanlässe und verkauften ihre Produkte zu einem tieferen Preis an Messen und religiösen Festivals. Viele Leute befürchten, dass die Multis auch nach diesem Skandal wieder weitermachen wie zuvor - und dass sie mit Gegenstudien die Resultate der CSE zu diskreditieren versuchen. Der nationale Getränkeherstellerverband ISDMA hat bereits Position bezogen und verlautbaren lassen, man habe von der Angelegenheit in der Presse erfahren, die in Indien hergestellten Produkte seien jedoch absolut sicher und erfüllten nicht nur die Standards der indischen, sondern auch internationaler Behörden.

Sowohl die indische Regierung als auch das Gesundheitsministerium warten wie üblich mit leeren Beschwichtigungen und Versprechungen auf, die sie wohl einmal mehr nicht einhalten werden. «Wir können lediglich an die einzelnen Bundesstaaten appellieren, regelmässige Kontrollen von Nahrungsmitteln vorzunehmen. Aber wir können sie weder zwingen, noch sie bestrafen, wenn sie es nicht tun», sagt Gesundheitsminister Anbumani Ramadoss.

Die Zentralregierung hatte vor drei Jahren alle Bundesstaaten zu Kontrollen aufgefordert, allerdings vergeblich. Es gibt zwar staatliche Richtlinien des Bureau of Indian Standards, doch sind diese freiwillig. Zudem interpretieren die Unternehmen die Standards nach eigenem Gutdünken. Coca-Cola etwa argumentiert gar, dass die festgelegten Höchstmengen an Pestizidrückständen lediglich für Agrarprodukte gültig seien. Seit 1993 hat sich nicht ein einziger Hersteller von kohlensäurehaltigen Getränken an die bestehenden Richtlinien gehalten.

Und wieder beschwichtigt das Gesundheitsministerium mit der Ankündigung, bis Ende Jahr Richtlinien für Cola-Getränke aufzustellen. Die Cola-Kontroverse hat auch die Verfechter der Globalisierung auf den Plan gerufen. «Diese Aktionen sind ein Rückschlag für die indische Wirtschaft. Gerade in einer Zeit, wo sich das Land um mehr ausländische Investitionen bemüht, ist es mehr als ungünstig, internationale Firmen im Lande unfair zu behandeln», warnt Franklin Lavin, der US-amerikanische Vizehandelsminister.

Am 15. August feierte Indien sechzig Jahre Unabhängigkeit. Doch noch immer scheint die Gesundheit der Bevölkerung in den Händen anderer zu liegen und die Regierung machtlos.