Pensionskassen: Die neue zweite Säule

Nr. 34 –

Die Verwaltung der heutigen zweiten Säule ist unkontrollierbar, das hat der Swissfirst-Skandal erneut gezeigt. Ein Plädoyer für die Abschaffung der Pensionskassen.

«Die Bernische Lehrerversicherungskasse kann man leider nicht mehr fragen», räsonierte neulich ein Architekt über die Finanzierung eines Bauprojektes. «Schade, die war früher immer gut, wenn sonst niemand sein Geld riskieren wollte.» Die besagte Kasse war nun aber kollabiert, und eine parlamentarische Untersuchungskommission berichtete dem Kantonsparlament, es sei zwar schlecht geschäftet und zu wenig geschaut worden, aber so richtig strafbar gemacht habe sich niemand.

Der Skandal um die Bernische Lehrerversicherungskasse vor zwei Jahren war einer unter vielen. Den Walliser LehrerInnen ging es nicht besser. Und die Angestellten von Enron verloren nicht nur ihre Stelle, sondern auch ihre Altersvorsorge, weil der Chef seine eigenen Aktien unmittelbar vor dem Konkurs der Pensionskasse verkauft hatte - zum Höchstkurs natürlich. In der Rentenanstalt/ Swiss Life war das gleiche Team für die Verwaltung der Pensionskassengelder wie für die privaten Börsengeschäfte der Manager zuständig. Wunderbarerweise entpuppten sich alle Anlagen für die Manager als Goldgruben und viele Anlagen für die Versicherten als faule Eier. Die Manager sackten Millionen ein, den Versicherten wurde der Zins gekürzt.

Laut dem «Blick» hat Jürg Maurer, der Verwalter der Pensionskasse der Rieter AG (vgl. Seite 3 der WOZ-Printausgabe) das System Rentenanstalt - die guten Anlagen sind privat, die schlechten sind für die Versicherten - ebenfalls erfolgreich angewandt. So soll sich sein privates Vermögen innerhalb von fünf Jahren von 448000 Franken auf fast siebzig Millionen Franken vermehrt haben. Der «Blick» verlangt deshalb nun mehr Kontrollen. Das ist pragmatisch, behandelt aber nur die Symptome. Untersuchen wir einmal das Vorsorgesystem:

• Die erste Säule ist die staatliche AHV und zahlt den Leuten Geld, wenn und weil sie alt sind. Das Geld kommt aus laufenden Steuereinnahmen, weshalb die AHV selber nur wenig Geld horten muss. Die AHV erhebt selber Steuern auf den Einkommen und führt Buch darüber, wer wie viel beiträgt. Diese Aufzeichnungen beeinflussen die Höhe der Renten, wobei es oben und unten eine Grenze gibt.

• Die dritte Säule ist das private Sparen auf Bankkonten. Es wird nur darum zur öffentlichen Altersvorsorge gezählt, weil es dafür spezielle Steuerregelungen gibt.

• Die Pensionskassen sind die zweite Säule. Gesetzlich vorgeschrieben wurden sie, als die Linke die AHV ausbauen und die Rechte, der Privatisierungsreligion folgend, ein privates Gegenstück haben wollte. Die Beiträge der Versicherten werden in einer Art Kässelisystem für die Renten eben dieser Versicherten gespart - ein kollektives Zwangssparen sozusagen. Die AHV wird aber nicht nur ergänzt, sondern auch kopiert: Auch die Pensionskassen müssen Tod und Invalidität versichern. Das hat in den letzten Jahren zu starken Prämienerhöhungen geführt und ist auch sonst aufwendig: Der Arbeitsanfall in den Betrieben und die Verwaltungskosten sind zehnmal höher als bei der AHV.

Erfahrungsgemäss sind die Pensionskassen anfällig für Betrug - siehe oben. Das liegt an den Konstruktionsfehlern der Pensionskassen:

1. Das politisch motivierte Konstrukt der AHV-Kopie auf privater Versicherungsbasis macht die Verwaltung administrativ aufwendig und die Kontrollen entsprechend schwierig. Es gibt heute 8000 verschiedene Stiftungen. Die Kantone sollen sie beaufsichtigen. Folglich wird ein Haufen Steuergelder für eine letztlich unmögliche Aufgabe ausgegeben. AHV-Verwalter Ulrich Grete befürwortete in der Sonntagspresse deshalb weniger und grössere Kassen. Das Problem dabei: Bei den permanenten Kassenskandalen sind dann auch die Deliktsummen grösser. Ein Manager kann ja nur die Pensionsgelder stehlen oder verhühnern, die seine Kasse auch hat.

2. Die Versicherten müssen den Kassen ihr Geld geben, haben aber kaum Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten. Über das Geld verfügen Leute und Institutionen, die gerne selber mehr verdienen als weniger. Warum sich nicht aus den vor ihnen liegenden Millionen bedienen?

3. Das zwangsgesparte Geld muss renditebringend angelegt werden. Die erste Folge des Pensionskassenobligatoriums in der Schweiz war prompt eine Spekulationsblase auf dem Grundstücksmarkt samt einer Explosion der Mieten. Eine zweite ist der Renditedruck der Geldverwalter auf die börsenkotierten Firmen. In einem Satz: Die Pensionskasse sorgt für höhere Mieten, tiefere Löhne und Entlassungen zwecks Börsenkurspflege. Die grössten Konstruktionsfehler der zweiten Säule sind also:

• dass sie unnötigerweise die AHV kopiert, dabei aber viel komplizierter, teurer und aufwendiger ist;

• dass sie die Leute per Gesetz zwingt, ihr Geld Managern anzuvertrauen, deren Tun faktisch nicht zu kontrollieren ist;

• dass sie die ohnehin hohe Sparquote in der Schweiz weiter erhöht.

Diese Fehler sind gleichzeitig die grundlegenden Eigenschaften der Pensionskassen. Sie bestehen folglich, solange es Pensionskassen gibt. Umgekehrt formuliert: Diese Mängel zu beseitigen bedeutet, die Pensionskassen abzuschaffen. Und genau das sollten wir tun.

Der Ersatz sollte eine funktionierende Altersvorsorge sein, die Einkommensbeiträge erhebt und einkommensabhängige Renten auszahlt. Ihre Verwaltungskosten sollten zehnmal tiefer sein als die der Pensionskassen. Diebstähle durch Manager und Katastrophen auf dem Immobilien- und Aktienmarkt sind auszuschliessen, indem die Gelder nicht gehortet und mit Renditedruck angelegt, sondern unmittelbar als Renten ausbezahlt werden.

Das Beste an der Geschichte ist: Eine solche funktionierende Altersvorsorge existiert bereits: Sie heisst AHV und wird bisher als erste Säule bezeichnet. Man könnte also die heutige AHV zur zweiten Säule mit einkommensabhängigen Renten ohne Minimal- und Maximalbegrenzung umwandeln. Dazu käme eine neue erste Säule: Alle Menschen im Rentenalter erhalten als Grundeinkommen eine Einheitsrente in der Höhe der heutigen AHV-Minimalrente. Diese würde ausschliesslich durch beliebige Steuereinnahmen finanziert.

Damit fallen die Pensionskassen weg. Die Nettolöhne steigen (weil man nur noch AHV-, aber keine Pensionskassenbeiträge mehr bezahlt), die Arbeitskosten sinken. Und die Pensionskassenmanager verlieren ihre Lizenz zum Gelddrucken. Endlich.

Christoph Kaufmann (http://clk.ch) ist Buchhalter in Bern.