Pensionskassen: Lasst die anderen schuften!

Nr. 5 –

Am 7. März wird über Rentenberechnungen und ökonomische Mechanismen abgestimmt, die die wenigsten verstehen. Die wichtigen Fragen, die unsere Altersvorsorge betreffen, bleiben allerdings ausgeklammert.


Die Gewerkschaft Unia hat einen einfachen Rentenklau-Rechner hergestellt. Er sieht aus wie eine Parkscheibe. Auf der einen Seite können die Frauen berechnen, was ihnen gestohlen wird, auf der anderen die Männer. Mit einem Kartonrädchen gibt man sein Alter ein und sieht, was sie einem wegnehmen, falls der Umwandlungssatz gesenkt wird: Bei einer Vierzigjährigen, die 3500 Franken verdient, wären es insgesamt 21 000 Franken – würde sie 8500 Franken verdienen, wären es 83 000 Franken.

Man glaubt es sofort: Die grossen Versicherungsgesellschaften beklauen uns. Die Gewerkschaften, die SP, die Grünen sagen, wir müssten deshalb am 7. März Nein stimmen, um zu verhindern, dass der Umwandlungssatz bei den Pensionskassen von 6,8 auf 6,4 gesenkt wird.

Sie sagen auch, eine Rendite von fünf bis sechs Prozent lasse sich mit den Pensionskassengeldern problemlos erwirtschaften – jedes Jahr, und das über Jahrzehnte. Ist das ökologisch, fair und sinnvoll machbar?

Die Ausgangslage

Die sogenannte zweite Säule wurde 1985 eingeführt (vgl. Kasten «Die drei Säulen der Altersvorsorge»). Wer mindestens 20 500 Franken im Jahr verdient, ist seither verpflichtet, einen bestimmten Prozentsatz des Lohns in die Pensionskasse des Betriebs zu zahlen; dieser muss sich ebenfalls zur Hälfte an den Beiträgen beteiligen. Über die Jahre sammeln sich auf dem Konto Zehntausende von Franken an. Mit dem Umwandlungssatz wird letztlich die Höhe der Rente festgelegt: Ein Umwandlungssatz von 6,8 bedeutet, dass man – sobald man das Pensionsalter erreicht hat – von 100 000 Franken gespartem Altersguthaben pro Jahr 6,8 Prozent als Rente bekommt. Wer beispielsweise 200 000 Franken auf seinem Konto hat, erhält jährlich 13 600 Franken ausbezahlt, bis zum Tod. Je länger man lebt, desto mehr bekommt man. Wenn alle immer länger leben, könnte dies zu einem Problem werden, weil den Kassen das Geld ausgeht.

Die Gewerkschaften sagen zu Recht, das Altersargument ziehe nicht. Schon bei der letzten Kürzung des Umwandlungssatzes habe der Bundesrat argumentiert, damit werde die steigende Lebenserwartung ausgeglichen (vgl. den Beitrag «Expertenwissen und tendenziöse Modelle»). Das war 2005, als der Satz von 7,2 auf 6,8 gesenkt wurde.

Ob der Umwandlungssatz von 6,8 zu hoch ist oder nicht, hängt jedoch nicht nur von der Lebenserwartung ab, sondern auch von der Rendite, die die Pensionskasse mit dem ersparten Geld erwirtschaftet. Damit die Rechnung aufgeht, müssten es jährlich bis zu fünf Prozent sein. Rita Schiavi von der Gewerkschaft Unia sagt, in den letzten 25 Jahren hätten die Kassen eine durchschnittliche Rendite von fast sechs Prozent erwirtschaftet. Selbst wenn man konservativ rechne, komme man auf eine ausreichende Rendite, um den Umwandlungssatz zu halten.

«Es sind die grossen, gewinnorientierten Versicherungen, die die Rentenkürzung verlangen», sagt Schiavi. Bislang haben sie mit den Pensionskassengeldern gut verdient, jetzt drohen ihre Gewinne zu sinken. «Doch sie wollen weiterhin gut verdienen und deshalb die Renten senken. Wenn ihre Gewinne schrumpfen, werden diese Versicherungen das Interesse verlieren und aus dem Geschäft aussteigen.»

SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner hat in der letzten WOZ aufgezeigt, worum es geht: Die Topmanager der privaten Versicherungen kassieren Millionensaläre und ziehen so «relevante Beträge aus der Vorsorge ab». Die Verwaltungskosten der Pensionskassen liegen pro Person und Jahr bei 770 Franken – die AHV wendet pro versicherte Person gerade mal 25 Franken auf. Rechsteiners Schlussfolgerung: «Bevor man die Renten ein zweites Mal senkt, sollte man die Lecks stopfen.» Dafür habe man reichlich Zeit, da der tiefere Umwandlungssatz ohnehin erst ab 2016 gilt.

Die Grenzen der Rendite

Neben den grossen Versicherungen gibt es aber auch kleine Pensionskassen wie Abendrot. Die Basler Sammelstiftung ist vor 25 Jahren im Umfeld der Anti-AKW-Bewegung entstanden, heute verwaltet sie fast eine Milliarde Franken von knapp 9000 Versicherten. Hans-Ulrich Stauffer, Jurist und heute Geschäftsführer von Abendrot, war schon bei der Gründung dabei. Er sagt, er habe sich damals gegen den Bau von Kaiseraugst gewehrt, es sei für ihn unvorstellbar gewesen, dass «meine Pensionskasse mit meinem zwangsweise gesparten Geld genau den Bau von Kaiseraugst finanziert». Und so verfolgt Abendrot das Ziel, die Gelder nach ökologischen und sozialen Kriterien anzulegen.

Was meint Stauffer zum Umwandlungssatz und zur Fünf-Prozent-Rendite? Ohne Zögern sagt er: «Ich bin im perfekten Sandwich!» Er könne die Forderung der Gewerkschaften gut verstehen. Doch dann folgt das Aber: «Analysten liefern einem schöne Zahlenreihen über die letzten hundert Jahre, die belegen, dass sich mit einer gemischten Anlage von Obligationen und Aktien eine durchschnittliche Rendite von fünf und mehr Prozent erzielen liess. Das ist schön und gut und zeigt, wie es war – aber was wird in Zukunft sein?» Es komme immer darauf an, welchen Zeitraum man betrachte. Er halte es für gefährlich, wenn heute Renditemodelle auf Daten aufgebaut würden, die aus den goldenen fünfziger und sechziger Jahre stammten: «Ich persönlich schliesse es aus, dass man künftig über viele Jahre hinweg eine Durchschnittsrendite von fünf oder mehr Prozent erreichen wird. Aber das darf man heute kaum laut sagen.»

Zur Abstimmung will er sich nicht äussern, bei Abendrot wurde das so beschlossen. Was er aber noch sagt: «Meiner Meinung nach läuft die Debatte falsch. Jetzt muss die Bevölkerung an der Urne über ökonomische Mechanismen und Zinsannahmen befinden, die kaum verständlich sind. Das ist doch absurd.» Die wirklich wichtigen Fragen würden aber gar nicht diskutiert. Die Leute würden nun mal älter und die Wirtschaft könne und werde nicht so weiterwachsen: «Also muss man sich doch ehrlich die Frage stellen: Was wollen wir?»

Mit seinem eigenen Geld sei er risikofreudig, investiere in alternative Projekte, die vielleicht scheitern: «Aber als CEO von Abendrot bin ich verantwortlich für die Renten von 9000 Personen, da muss ich vorsichtig anlegen. Diese Gelder dürfen nicht gefährdet werden.»

Neues Rentensystem

Die Pensionskasse Nest agiert ähnlich wie Abendrot, sie legt ihre Gelder ebenfalls nach ökologischen und sozialen Kriterien an. Thomas Heilmann ist Nest-Stiftungsrat und Geschäftsleiter des Zürcher Rotpunktverlags. Er sieht es nicht ganz so kritisch wie Stauffer und glaubt, dass der heutige Umwandlungssatz ökonomisch tragbar ist.

Nest habe in den letzten Jahren immer ausgezeichnet abgeschnitten – gerade in der Krise habe sich gezeigt, dass sich eine verantwortungsbewusste Anlagestrategie auszahle.

Seiner Meinung nach liegt das Problem weniger beim Umwandlungssatz als vielmehr im System selbst. «Die AHV sollte existenzsichernd sein», sagt Heilmann, «das ist sie aber nicht, womit sie gegen die Verfassung verstösst.» Heilmann schrieb massgeblich an einem Vorschlag für eine Totalrevision des Rentensystems mit, den das Denknetz – ein Verbund linker Intellektueller – im vergangenen November publiziert hat. Kernpunkt des Vorschlags: Die AHV soll gestärkt und zu einer Volkspension ausgebaut werden.

Die AHV-Mindestrente liegt heute für Alleinstehende bei 1140 Franken, also weit unter dem Existenzminimum, das auf etwa 2200 Franken veranschlagt ist. Zwölf Prozent aller RentnerInnen beziehen Ergänzungsleistungen, damit sie überhaupt über die Runden kommen.

Würde man die AHV stärken, entzöge man den Pensionskassen Geld – was wünschenswert wäre, da diese masslos Kapital anhäufen. Konkret verwalten sie etwa 600 Milliarden Franken. Das entspricht dem Inlandprodukt der Schweiz und würde reichen, um alle börsenkotierten Firmen der Schweiz zu kaufen, inklusive Nestlé und Novartis.

Diese Grundsatzfragen sind im Abstimmungskampf definitiv kein Thema. Bei den Gewerkschaften heisst es, man habe sich intern darauf geeinigt, vor der Abstimmung nicht über Alternativen zu reden. Man will zuerst den tieferen Umwandlungssatz bodigen – über das Grundsätzliche rede man nachher.

Der Soziologe Peter Streckeisen kritisiert diese Zurückhaltung. In einem Beitrag mit dem Titel «Das Drei-Säulen-Modell in der Krise»* schreibt er: «In gewerkschaftlichen Argumentarien wird weiterhin lieber die sehr zweifelhafte Unterscheidung zwischen ‹guten› Pensionskassen und ‹profitgierigen› Versicherungsgesellschaften bemüht, anstatt darauf hinzuweisen, dass das Drei-Säulen-System an sich problematisch ist.»

Streckeisen fasst die Probleme zusammen: Das System ist ungerecht und benachteiligt vor allem die Frauen. Zudem verknüpft es die Altersrenten auf riskante Weise mit den Finanzmärkten: «Es ist unverantwortlich, die soziale Sicherung der Menschen im Ruhestand von einem Casino-Kapitalismus abhängig zu machen, dessen Dynamik letztlich niemand beherrscht (die Regulierungsbehörden jedenfalls sicher nicht).»

Streckeisens Kritik geht noch weiter: «Das Pensionskassensystem fördert ideologische Haltungen, die für jede linke und gewerkschaftliche Perspektive reines Gift sind. Die Lohnabhängigen werden ermuntert, sich im Rahmen eines imaginären ‹Volkskapitalismus› als Anleger und Investoren zu sehen, denen es zugute kommt, wenn Unternehmen hohe Renditen erzielen.» Renditen, die oft auf Kosten anderer Erwerbstätiger oder der Umwelt erzielt werden, hier oder im Ausland.

Die ExpertInnen reden gerne vom «dritten Beitragszahler», wenn von diesen Renditen die Rede ist – ein unsichtbares Geschöpf, das für uns Reichtum schafft. Diese alchemistische Vorstellung dürfte irgendwann platzen. Spätestens dann wären alle froh, wir hätten eine robustere AHV.


*Denknetz-Jahrbuch 2009: «Krise. Global, lokal, fundamental». Edition 8. Zürich 2009. 25 Franken. www.denknetz-online.ch

Die drei Säulen der Altersvorsorge

In der Schweiz setzt sich die Altersvorsorge aus bis zu drei Teilen zusammen:

Erste Säule: Die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) gilt als erste Säule der Altersvorsorge. Die Einführung der AHV war 1918 eine der zentralen Forderungen des Generalstreiks, eingerichtet wurde sie aber erst 1948. Sie ist nach dem sogenannten Umlageverfahren organisiert: Wer arbeitet, zahlt in die AHV ein – diese Gelder werden nicht gespart, sondern an die heutigen AHV-BezügerInnen ausbezahlt. Laut Verfassung soll die AHV die Existenz sichern, was sie aber nicht tut. Zwölf Prozent der RentnerInnen sind auf staatliche Ergänzungsleistungen angewiesen, weil sie mit der AHV alleine nicht über die Runden kommen.

Zweite Säule: Das Bundesgesetz über die berufliche Vorsorge (BVG) führte 1985 die obligatorische Pensionskasse ein. Die Versicherungslobby hatte sich für diese Lösung starkgemacht, um zwei linke Volksinitiativen zu verhindern, die schon damals eine existenzsichernde AHV verlangten. Heute muss, wer im Jahr mehr als 20 500 Franken verdient, Beiträge an die Pensionskasse entrichten; die Betriebe beteiligen sich zur Hälfte daran. Der Umwandlungssatz bestimmt – aufgrund des individuell angesparten Guthabens – wie hoch die Rente ausfällt (vgl. obenstehenden Text). Obligatorisch sind nur Jahressaläre bis zu 82 000 Franken versichert; der offizielle Umwandlungssatz, über den im März abgestimmt wird, gilt nur für diesen Teil.

Dritte Säule: Über den obligatorischen Teil hinaus können auch privat Rentenversicherungen abgeschlossen werden. Dieses Alterssparen wird steuerlich begünstigt. Allerdings können die Kassen die Umwandlungssätze in diesem Bereich frei festlegen, meist ist er wesentlich tiefer als der gesetzlich geregelte Satz. Die Versicherungsgesellschaften setzen alles daran, die Renten der ersten und zweiten Säule tief zu halten – so wird die dritte Säule attraktiver, mit der die Versicherungen viel verdienen.