Pensionskassen: Sinkende Erträge, steigendes Risiko

Nr. 37 –

Das System der zweiten Säule ist nicht zukunftstauglich. Die geplante Rentenreform schafft mit der Senkung des Umwandlungssatzes nur kurzfristig etwas Luft.

Bauvisiere im Zürcher Oberland: Dass in der ländlichen Schweiz die Zahl der leer stehenden Wohnungen stark zugenommen hat, ist auch eine Folge des Renditedrucks bei den Pensionskassen. Foto: Ursula Häne

38 Billionen US-Dollar. So viel Geld wird derzeit laut einer Studie der OECD weltweit für die private Altersvorsorge angespart. Geld, das über Jahre und Jahrzehnte in Aktiengesellschaften investiert, als Darlehen an Staaten, Gemeinden und Unternehmen gegeben oder mit dem der Kauf von Land und der Bau von Häusern finanziert wird. Die 38 Billionen sind auch ein gigantisches Geschäft für die Finanzindustrie: Banken und Versicherungen, Verwalterinnen von Anlagefonds und Finanzberater kassieren Gebühren und Verwaltungskosten. In der Schweiz verwalten die Pensionskassen, Sammeleinrichtungen und Lebensversicherungsgesellschaften über eine Billion Franken im Rahmen der sogenannten zweiten Säule. Und die Finanzindustrie kassiert dafür rund vier Milliarden an Gebühren.

Zins? Null!

Doch viele Pensionskassen haben Mühe, ihre Rentenversprechen zu halten, die Kapitalrenditen sind zu tief. Das ist, neben der Zunahme der Lebenszeit der Bevölkerung, ein zentraler Grund der Rentenreform, über die die Schweizer Stimmbevölkerung am 24. September zu entscheiden hat. Der sogenannte Umwandlungssatz für diejenigen Beträge, die von den Unternehmen und den Beschäftigten obligatorisch in die zweite Säule einbezahlt werden müssen, soll gesenkt werden. Wer dereinst pensioniert wird, soll künftig nur noch 6 Prozent des angesparten Kapitals pro Jahr als Rente ausbezahlt bekommen und nicht mehr 6,8 Prozent.

Der Bundesrat wollte den Umwandlungssatz schon 2010 senken, doch scheiterte er an einem Referendum der Gewerkschaften und linker Parteien. Damals machte die Linke im Abstimmungskampf geltend, dass die Pensionskassen genügend Renditen erwirtschaften. Zuerst sollten deren hohe Verwaltungskosten sowie die Gebühren der Vermögensverwaltungen sinken. Nun erkennen auch die Gewerkschaften an, dass «die Kapitalerträge häufig nicht mehr ausreichen, um die Renten nachhaltig und gerecht zu finanzieren», wie es in einem Argumentarium heisst.

Doch genügt die Senkung des Umwandlungssatzes? Rund die Hälfte der PensionskassenverwalterInnen sagen Nein, wie im Mai eine Umfrage der Credit Suisse ergab. Die Forderung nach einer weiteren Senkung wird demnach bald erhoben. Viele VerwalterInnen fordern auch eine «Entpolitisierung» des Satzes. Damit könnten nicht mehr die StimmbürgerInnen über eine Senkung entscheiden, sondern die Pensionskassen selber. Schon heute liegt der Umwandlungssatz auf dem überobligatorischen Teil des einbezahlten Kapitals bei vielen Kassen unter 6 Prozent. Denn dieser Satz wird nicht vom Staat reglementiert.

Ein zentraler Grund für die geringen Kapitalrenditen sind die tiefen Zinsen: Wer heute eine zwölfjährige Obligation der Eidgenossenschaft kauft, bekommt keinen Zins dafür. Null. Paradoxerweise hat dieser Trend in den letzten Jahren den Pensionskassen die Bilanz noch etwas geschönt. Denn so ist der Wert ihrer älteren Obligationen (die noch ordentlich Zins abwerfen) gestiegen, weil sie diese heute zu einem höheren Preis als ursprünglich bezahlt weiterverkaufen könnten. Doch die Laufzeit von Obligationen ist beschränkt. Die Pensionskassen werden in den kommenden Jahren mit dem frei werdenden Kapital gezwungen sein, höhere Risiken einzugehen, also unsicherere Obligationen zu kaufen und noch mehr in Aktien zu investieren. Dramatisch ist diese Aussicht deshalb, weil das die meisten Vermögensverwalter so machen werden. Zusätzliche Billionen gelangen so an die Börsen oder in den Bau von Immobilien. Spekulationsblasen sind programmiert. Kommt dazu, dass schon sonst immer mehr Geld in den Kreislauf gepumpt wird: Die US-Grossbank Citygroup rechnet in einer letztjährigen Studie mit weiteren fünf bis elf Billionen Dollar, die in den nächsten zehn bis dreissig Jahren in die private Vorsorge fliessen. Das sei eine «nachhaltige Wachstumschance für globale Versicherer und Assetmanager». Um diese zu fördern, soll die Branche denn auch staatliche Pensionssysteme schlechtreden. Diese, wie etwa die Schweizer AHV, müssen den grössten Teil ihres Kapitals nicht anlegen, sondern geben es direkt an die PensionärInnen weiter.

Bankiers auf Mythenjagd

Für die Finanzindustrie ist der Renditedruck der Pensionskassen eine gute Nachricht. Sie können neue Anlagevehikel kreieren, sogenannte alternative Anlagen, die noch höhere Gebühren einbringen: Die Schweizerische Bankiervereinigung arbeitet daran, diese zu «entmystifizieren», wie sie in einer Studie vom Februar schreibt. Die Pensionskassen müssten höhere Risiken eingehen können. Der Bund soll dafür seine Regulierungen lockern und den Kassen erlauben, länger und tiefer in Unterdeckung zu sein. Unter alternativen Anlagen versteht man etwa Anlagen in Hedgefonds, das Spekulieren mit Rohwaren, Investitionen in Infrastrukturen wie privatisierte Spitäler oder Strassen oder auch den Kauf von «Katastrophenanleihen», das heisst Anlagevehikeln von Versicherungen, die so ihre Risiken weiterverteilen.

Dass die Risiken weiter steigen, bereitet der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge Sorgen: Die unabhängige Schweizer Aufsichtsbehörde kommt in ihrem neusten Bericht zum Schluss, dass viele private Vorsorgeeinrichtungen ein «eher hohes oder hohes Risiko» ausweisen. Der «Renditedruck» bleibe «sehr hoch». Trotz einiger «guter Anlagejahre nach Ende der Finanzkrise» seien heute die Wertschwankungsreserven im Durchschnitt «nur zu 39 Prozent geäufnet». Künftig müssten die AnlegerInnen jedoch mit reduzierten Renditeerwartungen und Rückschlägen sowohl am Aktien- wie am Obligationenmarkt rechnen. Auch im Immobiliensektor, in den Schweizer Pensionskassen im Vergleich zu ihren ausländischen Pendants überdurchschnittlich viel investiert haben, drohen Wertverluste: Die NZZ schrieb am Montag von einem «riskanten Run auf Mehrfamilienhäuser», den nicht zuletzt Pensionskassen mitverursacht hätten. Auf dem Land hat die Zahl der leer stehenden Wohnungen stark zugenommen.

Doch der Anlagedruck der Pensionskassen führt nicht nur zu Spekulationsblasen, er verschafft auch Unternehmen billiges Kapital, die gesellschaftlich schädliche Dinge wie etwa Waffen produzieren, klimaschädigende Kohlekraftwerke betreiben oder Ölpipelines bauen. Die PensionärInnen haben praktisch keinen Einfluss darauf, was mit ihrem Geld passiert.

Mit der geplanten Rentenreform werden die Gefahren der zweiten Säule nicht entschärft, sondern es werden durch höhere Beitragssätze und mit der Senkung und Flexibilisierung des Koordinationsabzugs noch zusätzliche Gelder ins System gepumpt. Dafür wird die AHV etwas gestärkt. Doch egal wie die Abstimmung zur Rentenreform ausgeht: Die Probleme bleiben. Die Linke, die jetzt in der Frage der Rentenreform uneins ist, sollte sich nach der Abstimmung zusammenraufen. Es sind Modelle gefragt, wie die zweite Säule sozialverträglich zurückgebaut werden kann, während gleichzeitig die solidarische, aber auch gesellschaftlich nachhaltigere erste Säule weiter auszubauen ist.