Ilisu-Staudamm: Der Damm zeigt Risse

Nr. 46 –

Mit einer Exportrisikogarantie soll die Schweiz den türkischen Staudamm Ilisu unterstützen. Von verschiedenen Seiten hagelt es Kritik.

Noch thront das Minarett der Rizk-Moschee hoch über der türkischen Stadt Hasankeyf. In einigen Jahren wird das religiöse Symbol im Wasser des Tigris versinken. Der 135 Meter hohe und 1800 Meter breite Ilisu-Staudamm wird dann den Tigris stauen: Es entsteht ein Stausee von der dreifachen Fläche des Zürichsees. Das über tausend Jahre alte Städtchen Hasankeyf verschwindet in den Fluten. Zehntausende von Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage. Über das Schicksal von Hasankeyf wird auch in der Schweiz entschieden. Die Schweizer Firmen Alstom, Colenco, Stucky und Maggia sind Teil eines Konsortiums, das den Ilisu-Staudamm bauen will. Für die Unternehmen steht viel auf dem Spiel. Das Auftragsvolumen von 180 Millionen Franken würde der Alstom Schweiz die Führung bei der Generatorentechnologie innerhalb des Konzerns sichern. «Innerhalb der Alstom Hydro Schweiz werden durch den Auftrag rund 290 Personenjahre ausgelastet», schreibt Simone Ramser, Sprecherin der Alstom Schweiz in einer schriftlichen Stellungnahme. Insgesamt würden in der Schweiz umgerechnet 85 Personen während sieben Jahren beschäftigt werden können.

Im August 2006 hat der türkische Ministerpräsident Recep Erdogan bereits Tatsachen geschaffen und den Grundstein für den Staudammbau gelegt. Das Baukonsortium, das von der österreichischen Firma Andritz VA Tech Hydro angeführt wird, hat in Österreich, Deutschland und der Schweiz sogenannte Exportrisikogarantien beantragt. Die staatsnahen Exportrisikoversicherungen sollen teilweise das Risiko decken, falls die Türkei eines Tages die Rechnungen nicht bezahlt.

Am Dienstag dieser Woche hat die Kommission der Schweizer Exportrisikogarantie ERG das umstrittene Geschäft mit der Türkei behandelt. Die Kommission aus VertreterInnen der Bundesverwaltung, der Industrie und der Gewerkschaften gibt eine Empfehlung an den Bundesrat ab, der das Gesuch dann definitiv bewilligt oder ablehnt. Der Präsident der ERG-Kommission, Eric Scheidegger vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), wollte auf Anfrage nicht sagen, wie die Kommission entschieden hat. Die Sitzungen seien vertraulich, damit der Bundesrat ohne Druck entscheiden könne. BeobachterInnen spekulieren, die ERG-Kommission habe noch keine Empfehlung abgegeben. Es komme zu weiteren Verzögerungen, weil das Geschäft auch in Deutschland umstritten sei. Der Bundesrat hatte schon im Juni entscheiden wollen.

Ja, aber mit Auflagen

Vieles deutet darauf hin, dass die Exportrisikoversicherungen die Gesuche schliesslich gutheissen werden, aber von der Türkei noch zusätzliche Auflagen verlangen. In einem Brief vom 8. November 2006 an die Erklärung von Bern (EvB), welcher der WOZ vorliegt, schreibt ERG-Direktor Christoph Sievers: «Die Exportkreditversicherungen Österreichs, der Schweiz und Deutschlands kommen nach eingehender Prüfung aller Projektunterlagen zum Ergebnis, dass eine Durchführung des Projekts zu sachgerechten Bedingungen grundsätzlich möglich ist, hierfür jedoch weitere Verbesserungen erforderlich sind.» Konkret nennt Sievers die Konsultation der Nachbarstaaten, die Umsiedlungspläne, Schutz des Kulturerbes von Hasankeyf und die Wasserqualität.

Genau hier setzt die Kritik der Entwicklungsorganisationen an. Christine Eberlein von der Erklärung von Bern weist darauf hin, dass die Bevölkerung auf über hundert offene Fragen noch keine Antwort von den Regierungen und Exportrisikoversicherungen erhalten habe. «Die betroffene Bevölkerung wird über ihr Schicksal im Dunkeln gelassen. Das Projekt verletzt internationale Anforderungen», sagt Eberlein. Die Auswirkungen auf die Umwelt seien immer noch massiv. Von der türkischen Regierung fordert sie, dass sie seriöse Umsiedlungs- und Umweltmanagementpläne erstellt.

Kritik von unerwarteter Seite

Die Kritik an den ökologischen Auswirkungen des Ilisu-Dammes kommt auch von ungewohnter Seite. Die EAWAG, das Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs, hat im Auftrag der EvB die Umweltverträglichkeitsberichte des Baukonsortiums analysiert. Der EAWAG-Wissenschaftler Alfred Wüest fällt ein negatives Urteil: «Die Datengrundlage ist unter den internationalen Standards, die man bei einem solchen Projekt eigentlich erwartet.» Wüest, der verschiedene Staudammprojekte in der Schweiz und im Ausland untersucht hat, kritisiert, dass die Nachbarländer Irak und Syrien nicht in die Projektplanung einbezogen wurden. Das Wasserrahmenabkommen der EU verlange gegenseitige Staatsverträge bei einem Projekt dieser Grösse. «Wenn in ein paar Jahren die Türkei der EU beitritt, muss das nachgeholt werden. Wieso besteht man nicht schon heute darauf?»

Das ist ein heikler Punkt, denn der irakische Wasserminister hat bei den Regierungen Österreichs, Deutschlands und der Schweiz bereits brieflich gegen den Damm protestiert. Er befürchtet, dass sich die Wasserqualität des Tigris verschlechtert oder das Wasser zeitweise sogar ganz versiegen wird.

Aus der Bundesverwaltung hört man ebenfalls Bedenken: «Auch wenn die Türkei die Umweltschutz- und Umsiedlungspläne verbessert; was passiert, wenn sie nicht umgesetzt werden?», kritisiert eine mit dem Projekt vertraute Fachperson. Sollte der Bundesrat vor seinem Entscheid die Bundesämter konsultieren, wird das Projekt wahrscheinlich nochmals auf Widerstand stossen. Auf die massive Kritik angesprochen, erklären die beteiligten Firmen, dass das Baukonsortium, die Exportrisikoversicherungen und die Türkei die kritischen Punkte mehrfach diskutiert und sich geeinigt hätten, offene Fragen zu klären. Dieser Prozess sei noch im Gange. Alstom-Sprecherin Ramser dazu: «Das Konsortium hat sich während der gesamten Projektierung dafür eingesetzt, dass auch bei umstrittenen Punkten wie Umsiedlung, kulturellem Erbe und Umwelteinflüssen hohe Standards eingehalten werden.» Die Alstom sei optimistisch, dass der Bundesratsentscheid positiv ausfallen werde.

Was sagen die Gewerkschaften?

In der Schweiz Arbeitsplätze sichern auf Kosten von Menschen und Umwelt im Ausland: Was sagt Beda Moor von der Unia, der als Gewerkschaftsvertreter in der ERG-Kommission sitzt, dazu? Bei der Bewilligung von Exportrisikogarantien müssten die Weltbank- und OECD-Standards eingehalten werden, sagt Moor: «Da hat die ERG-Kommission bisher eine konsequente Linie vertreten.»

Als das Parlament 2005 das Gesetz über die Exportrisikoversicherung revidierte, kam die Kritik auch vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund SGB. Er forderte, sozialpolitisch fragwürdige Projekte sollten auch aus entwick-lungs- und umweltpolitischen Gründen nicht finanziert werden. Konkret zum Ilisu-Projekt will sich Beda Moor, wie andere Kommissionsmitglieder, nicht öffentlich äussern, «weil das Verfahren noch läuft». In Österreich hingegen unterstützen die Gewerkschaften das Ilisu-Projekt.