«Hardcore Chambermusic»: Das wars jetzt! Keine Zugaben

Nr. 47 –

Der Filmemacher Peter Liechti hat eine aussergewöhnliche Konzertreihe von Koch-Schütz-Studer dokumentiert.

Im September des vergangenen Jahres hat sich für die Musiker Hans Koch, Martin Schütz und Fredy Studer das Leben auf die dreissig Konzerte konzentriert, die sie in der Schlosserei 12 im Zürcher Kreis 5 gegeben haben (siehe WOZ Nr. 38/05). Sie sind aus Biel und Luzern in ein nahe gelegenes Hotel gezogen und haben sich ganz auf ihre Musik konzentriert. Jeden Abend zwei Sets à vierzig Minuten, keine Wiederholungen. Der Filmemacher Peter Liechti hat ihre Reise mit der Kamera begleitet und sie im Film «Hardcore Chambermusic» auf rund siebzig Minuten verdichtet.

Es ist heiss im September. Der Ventilator rotiert an der Decke, produziert einen gleichförmigen Klangteppich. Klappengeräusche von Kochs Bassklarinette mischen sich dazu. Aus den Geräuschen wird Musik. Die Bilder Liechtis, die sich oft auf Details konzentrieren, fügen sich im Kopf mit der Musik zu einem Ganzen. Plötzlich sieht man Teile der Musik, die man schon lange hört. Die spinnenfingrigen Hände von Koch gleiten über die Klappen von Bassklarinette und Saxofon, stehen den auf Tastendruck ausgelösten computergenerierten Sounds gegenüber. Die Sinnlichkeit des Spiels auf dem Instrument kontrastiert die grafische Umsetzung von Musik auf dem Monitor. Aber die Klänge nähern sich an. Koch versucht die Maschinensounds auf seine Instrumente zu übertragen.

Der Schlagzeuger Fredy Studer steht mit Martin Schütz (Cello) und Hans Koch im diffusen Licht an der Bar. Studer bemerkt einigermassen erstaunt: «Auch nach 22 Abenden müssen wir nicht absprechen, wie wir anfangen wollen.» Liechti findet die passenden Bilder, um den Prozess der Improvisation sichtbar zu machen. Er fokussiert den Schlagzeuger, der seine Becken stricknadelt, so zu einem durchgängigen Groove findet, der von den anderen erst etwas zögerlich aufgenommen wird, sich dann zu einem furios pulsierenden Stück entwickelt. Erstaunen und Lachen auf den Gesichtern im Publikum und bei den Musikern, die verblüfft sind, wie heute wieder einmal «die Post abgeht». «Wenn halt drei Grooves hintereinander kommen, fuck it!», sagt Studer an der Bar. Allzu viel reden mögen sie nicht über ihre Musik, weil es zu Unfreiheit und Selbstzensur führen kann. «Aus der Leere heraus improvisieren, sich hinter der Musik zurücknehmen», meint Schütz. Koch: «Ich bin ein Zweifler. Überenthusiasmus ist nicht gut für die Musik.» Und Studer fügt an: «Auf der Bühne experimentiert man nicht, auf der Bühne spielt man.»

Ebenso erstaunlich, wie das Trio nach diesen Höhenflügen wieder zu einem Schluss findet, der klar macht: Das wars jetzt! Keine Zugaben.

Es sind diese Gespräche der drei Musiker an der Bar und die Ausschnitte aus den Konzerten, die den Film von Liechti zusammenhalten. Nur gelegentlich wirft er im chronologisch - auf dreizehn ausgewählte Konzerttage - angelegten Film einen Blick auf das Publikum: Leute mit geschlossenen Augen, die im Halbdunkel stehen, die den Kopf selbstversunken bewegen, zu tanzen beginnen. Nur einmal gegen den Schluss des Films sieht man das Trio in der Totalen - auf der Tonspur ist es aber immer präsent.

Die soeben erschienene CD «Tales from 30 Unintentional Nights» versammelt neun Stücke von ebenso vielen Konzertabenden, zu denen der Schriftsteller Reto Hänny in den Linernotes schreibt: «... teilhaben, wie sie zaubern und Musik erfinden, das Gestern über das Heute mit dem Morgen verbindend, dass gerade deshalb jedes Konzert das beste ist, jeder Abend, jedes Set sich aus dem Nichts entwickelnd anders wird». Der Film «Hardcore Chambermusic» von Peter Liechti gewährt einen einzigen Blick durch die Fenster der ehemaligen Schlosserei nach draussen, als Koch-Schütz-Studer sie durch den Notausgang verlassen. Der Letzte schliesst die Tür. Der Film und die CD hingegen öffnen die Tür zur Musik.


Koch-Schütz-Studer: «Tales from 30 Unintentional Nights». Intakt / RecRec. www.intaktrec.ch