«Spex»: Poptheorie ade?

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Die legendäre Musikzeitschrift «Spex» kämpft mit sinkender Auflage und verliert ihre Redaktion. Jetzt richtet sie sich neu aus.

«Leute packt die Taschentücher aus!», lamentierte das Internetportal laut.de: «Es gibt kein Happy End für die heissgeliebte ‹Spex›.» Solch resignierte Töne waren in den letzten Wochen an vielen Stellen zu lesen, nicht zuletzt auf der «Spex»-Website, wo sich die bisherige Kölner Redaktion von ihrem Publikum verabschiedete. Der Grund: Die lange Zeit als Deutschlands beste und intelligenteste Musikzeitschrift gehandelte «Spex» ist auf den 1. Januar nach Berlin gezogen. Dort wird sie unter dem neuen Chefredaktor Max Dax künftig nur noch alle zwei Monate erscheinen.

Die Entscheidung für den Umzug fällte der Verlag Piranha Medien, dem «Spex» seit 2000 angehört. Ein Kölner Aussenbüro sei finanziell nicht mehr tragbar, lautete die Begründung, unter anderem deshalb, weil nach neuer Gesetzgebung die Einnahmen durch Anzeigen der Tabakindustrie wegfallen. Betrachtet man jedoch die abgedruckte Tabakwerbung in den «Spex»-Ausgaben der letzten Jahre - nicht mehr als ein bis zwei Seiten -, kann dies nicht der einzige Grund für einen so folgenschweren Umzug sein, dem fast die komplette Kölner Redaktion zum Opfer fiel.

«Nach dem anfänglichen Boom durch den Verlagswechsel und zwei, drei Jahren der Stabilität ist die Auflage im letzten Jahr deutlich zurückgegangen», räumt Wolfgang Frömberg ein, einer derjenigen Redaktoren, die in Köln bleiben und sich nun nach einer neuen Arbeit umsehen müssen. Allerdings «wurden die Abozahlen zuletzt gesteigert», was wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass Piranha Medien «Spex» nicht völlig hat fallen lassen, sondern mit einem neuen Konzept und einer neuen Redaktion weiterhin am Leben erhalten will. Wie aber soll ein Heft weiter existieren, das in erster Linie von der Integrität und Szenezugehörigkeit seiner AutorInnen und RedaktorInnen lebt?

Elitärer Journalismus

Die 1980 gegründete «Spex» konnte sich auf dem Zeitschriftenmarkt gerade deshalb behaupten, weil sie der Musikindustrie nicht nach dem Mund redete. Hier wurde ein kritischer, manchmal auch als elitär und verstiegen empfundener Popjournalismus gepflegt, der stark vom Stil der jeweiligen AutorInnen geprägt war. Vor allem in den achtziger Jahren hatte «Spex» mit AutorInnen wie Jutta Koether und Diedrich Diederichsen eine Avantgardestellung inne. Man bastelte am «Subversionsmodell Pop», koppelte Phänomene wie Madonna an poststrukturalistische Philosophie und Gender-Studies und nahm sich die Freiheit, in bis zu sechsseitigen Artikeln über Bands wie Universal Congress Of zu schreiben, deren Musik zu randständig war, um irgendwo ausserhalb der «Spex» ein Forum zu bekommen. Zu einer Zeit, als Pop noch nicht an deutschen Universitäten verhandelt wurde oder jenseits von Bob Dylan in den Feuilletons vorkam, nahm «Spex» seine Studienobjekte sehr ernst.

Vielleicht zu ernst, denn zu Beginn der neunziger Jahre, als mit dem Grunge-Boom der «Ausverkauf» der Subkulturen eingeleitet wurde und Nazirock die Schlagzeilen bestimmte, musste die Redaktion ernüchternd feststellen, dass die Kids, wie es in einem Artikel von Diederichsen hiess, «not alright» waren und linke Popsubversion wohl immer schon ein frommer Wunsch gewesen ist. Von dieser Ernüchterung, schrieb Paul-Philipp Hanske in der «Süddeutschen Zeitung», habe sich «Spex» nie wieder erholt. Schuld daran sei der «Zustand von Pop» selbst - es gebe seit Anfang 2000 keine Avantgarde mehr und für «Spex» somit auch keine Möglichkeit, sich zu profilieren oder gegenüber anderen Musikzeitschriften abzugrenzen.

Viele ehemalige LeserInnen sehen es ähnlich und behaupten, dass «Spex» bereits im Jahre 2000 mit dem Verkauf an Piranha Media gestorben sei. Als Beleg hierfür wird gerne die neu eingeführte «Modestrecke» im Heft angeführt, die so gar nicht zu den alten poplinken Ansprüchen passen wollte. Doch auch noch in den letzten Jahren gab es pointierte, scharf formulierte Artikel, wie man sie in keiner anderen Musikzeitschrift lesen konnte, etwa «Halts Maul, Deutschland» im November 2004, eine Kampfansage an die Radioquote für Musik aus Deutschland. In der Auswahl an Musikthemen hatte das Heft allerdings an Profil verloren, die Namen der besprochenen KünstlerInnen unterschieden sich kaum mehr von denjenigen, die in dem in Deutschland umsonst vertriebenen «Intro»-Magazin, im «Musikexpress» oder «Rolling Stone» zu finden waren.

«Scharfe Claims»

Erschwerend kam hinzu, dass längst auch die bürgerlichen Feuilletons regelmässig über Pop berichteten und es sich sogar leisten konnten, Musik von Avantgardebands wie Black Dice oder Sunburned Hand Of The Man zu rezensieren, da sie nicht von den Werbeanzeigen der Musikindustrie abhängig waren. «Über Avantgarde kann man jedenfalls nicht mehr in Popzeitschriften schreiben», merkte Ex-«Spex»-ler Diedrich Diederichsen in seinem 2005 erschienenen Buch «Musikzimmer» verbittert an.

Eine Zukunft hätte «Spex» nur, wenn sie sich argumentativ und inhaltlich klar von anderen Musikzeitschriften unterscheiden würde. Es mangelt nicht an unabhängiger, kritischer Popkultur, über die zu schreiben sich lohnte - das beweisen beispielsweise die beiden britischen Magazine «The Wire» und «Plan B» -, vielmehr bremsen die ökonomischen Rahmenbedingungen den Mut, einer Band wie Animal Collective statt Franz Ferdinand die Titelstory zu widmen.

Max Dax, ehemals Autor bei der «taz» und «Die Welt», soll es in Berlin nun richten. In einer Rundmail wünscht er sich von den künftigen AutorInnen «unterscheidbare Meinungen, scharfe Claims und eine klare Sprache», während doch gerade die unklare Sprache «Spex» über Jahrzehnte vom blossen Promozettel-Journalismus abgehoben hat. Von Berlin-Euphorie will die alte, von Uwe Viehmann geleitete Kölner Redaktion jedenfalls nichts wissen. «Ein rein kommerziell orientierter Verlag» steht nach Ansicht von Wolfgang Frömberg der Überlegung im Weg, «was heute politische Arbeit im Kulturbetrieb bedeutet, was Kunst und Kritik Sinnvolles leisten können». Dem gegenüber hat die neue Redaktion bereits beschwichtigende Worte auf der «Spex»-Website gefunden: «Das Münchener Verlagshaus übt auch in Zukunft keine inhaltliche Einflussnahme auf die ‹Spex› aus ... ‹Spex› bleibt das politische Forum, auf dem mit Autoren und Leserschaft eine ebenso kritische wie entspannte Diskussion um Wirklichkeitsdefinition und -veränderung stattfindet.»

Was aber, wenn Piranha Media gar keine inhaltliche Einflussnahme ausüben muss, weil bereits die Redaktion ihre Auswahl von den Anzeigenkunden abhängig macht?