Balsan Tschinag: Erfrischend altmodisch

Nr. 14 –

«Vielleicht war es wirklich kein Zufall, dass ich das Fohlen mit dem ersten Wurf fing. Und wer will mir beweisen, dass auch die Begegnung zwischen dem Kind eines Steppennomaden und dem drei Jahrzehnte vor ihm auf die Welt gekommenen Sprössling eines deutschen Bäckers und Kleinbauern auch ein Zufall war? Ich für meinen Teil weiss: Zufall ist das, was einem zufällt.»

Dem Autor dieser Zeilen, der halt auch ein Lassokünstler ist, fallen vor allem Geschichten zu - selbst erfahrene und selbst gesponnene Geschichten, nicht aus dem Internet gestohlene, Geschichten aus den Steppen der westlichen Mongolei, aber auch aus Deutschland und anderen Weltgegenden. Der Mongole Galsan Tschinag stammt aus dem turksprachigen Nomadenvolk der Tuwa, er hätte eigentlich in Moskau studieren sollen, kam dann aber 1962 in die DDR, nach Leipzig, wo er Germanistik studierte. Seither ist es die deutsche Sprache, in der er sich schriftlich ausdrückt und der er seinen internationalen Ruf verdankt.

Die hier versammelten Texte entstanden im Lauf der letzten zwei Jahrzehnte. Zu einem grossen Teil sind sie Erinnerungsbilder, erfrischend altmodisch, ganz persönlich und sehr versöhnlich. Im Eröffnungstext stellt sich der heute 64-jährige Autor auf seine Weise vor: Er schildert einfach die Fülle der Namen, über die er verfügt. Das ergibt bereits eine Geschichte.

Einmal bezeichnet sich Tschinag als «ein Steppenpony, durch einen launischen Zug des Lebens in einen kunterbunten Stall voller Rassetiere geraten». Er erzählt von mehr oder weniger alltäglichen Begegnungen, Erfahrungen und Abschieden, und immer wieder gibt es eine Rückkehr in seine Heimat, deren Märchenkraft - in der letzten Geschichte - sogar das Rezept für die Überwindung des Kriegs birgt. Er beweist uns, dass Kalendergeschichten auch heute noch durchaus einen Sinn haben. Und wenn er uns lächelnd sagt, er «denke an etwas, was nicht geschehen war, aber gut hätte geschehen können», werden wir aktive MitspielerInnen beim Geschichtenerfinden.

Galsan Tschinag: Auf der grossen blauen Strasse. Unionsverlag. Zürich 2007. 157 Seiten. Fr. 26.30