Durch den Monat mit Andrin Willi (Teil 1): Fast wie in der Kunst

Nr. 18 –

Andrin Willi: «Eine Branche mit Kritikern ist sexy.»

WOZ: Wir sitzen hier im Gasthof 
Geeren in Gockhausen. Schmeckt Ihnen das Ghackets mit Hörnli?
Andrin Willi: Sehr! Ghackets mit Hörnli weckt bei mir Kindheitserinnerungen. Mein Vater kochte das oft. Genau so, übrigens.

Ein Gastrokritiker, der sich für Ghackets mit Hörnli begeistert. Damit zerstören Sie das Bild vom elitären Essprofi, der sich nur für eine Küche mit 18 Gault-Millau-Punkten erwärmen kann.
Diese Spitzenküche geht mir am schnellsten auf die Nerven. Wenn ich kurz hintereinander in solchen Lokalen esse, ist das Erste, worauf ich verzichten kann, irgendein Bärenkrebs-Carpaccio oder sonst eine komplizierte Konstruktion. Nie verzichten kann ich aber auf die wahre, innere Küche. Die einfachen, guten Gerichte.

Können Sie als Gastrojournalist privat überhaupt noch unbelastet essen, oder sind Sie permanent bei der Analyse?
Ich gehe schon mit einem anderen Blick in ein Restaurant. Wenn ich ein Lokal betrete, merke ich sofort, was für ein Groove herrscht, was für eine Grundstimmung. Dann schaue ich auch sofort: Was haben die jetzt für Lampen? Was ist das für ein Stil? Dieses Innenarchitektonische interessiert mich sehr. Und natürlich bewerte ich automatisch auch das Essen. Das bringe ich nicht mehr weg.

Wie oft essen Sie auswärts pro Woche?
Praktisch jeden Tag. Wenn ich zu Hause koche, dann mache ich das bewusst, gehe vorher gross einkaufen. Aber so im Alltag koche ich nie selbst.

Wie viel Geld geben Sie pro Monat aus für Essen und Trinken?
Es ist mein grösster Budgetposten.

Grösser als der Mietzins?
Ja.

Wie hoch ist Ihr Mietzins?
1500 Franken.

Machen Sie sich manchmal Gedanken darüber, dass Sie soviel Geld ausgeben für etwas, dass vergänglich ist? Hat das nicht etwas Dekadentes?
Es kommt drauf an, wie man Glück definiert. Auswärts zu essen, ist für mich ein grosses Glück und mein persönlicher Luxus. Ich gehe dafür kaum in die Ferien, arbeite sehr viel. Ich erhole mich in der Gastronomie und in der Kulinarik. Ich finde es genial, ein neues Gericht, einen neuen Geschmack oder eine neue Beiz zu entdecken.

Sie wurden mit 28 Jahren Chefredaktor bei der Gastronomiezeitschrift «Salz&Pfeffer». Sind Sie so gut, oder hatten Sie einfach Glück?
Ich komme ja ursprünglich nicht aus dem Journalismus, sondern aus der Hotellerie. Irgendwann sah ich ein Stelleninserat von «Salz&Pfeffer». Der Herausgeber Daniel E. Eggli schrieb: «Suche einen Textvirtuosen und Trendjournalisten.» Ich habe mich ohne Vorkenntnisse beworben und bekam die Stelle. Dann ist Eggli gestorben. So entstand ein Vakuum, und irgendjemand musste dieses Heftli weitermachen, und das war dann halt ich, zusammen mit dem Team. Reinwachsen nennt man das.

Sie haben es angesprochen: Daniel E. Eggli ist gestorben, der Gastrokritiker Silvio Rizzi auch. In der Schweiz fehlt ein Nachfolger, ein sogenannter Gastropapst. Ist das Ihr Karriereziel?
Ich weiss nicht, ob ich in diese Rolle hineingezwängt werden will. Es macht mir einfach grossen Spass, Restaurants zu beschreiben. Ich mache das nicht aus einer negativen Grundhaltung heraus, ich sehe mich zusammen mit anderen Gastrokritikern als Ansporn für die Branche. Eine Branche mit Kritikern ist sexy. Die Protagonisten werden in den Himmel gelobt oder zerpflückt. Das ist ja fast wie in der Kunst, nicht wahr?

Ist Gastrojournalist für Sie ein Traumjob?
Ja. Ich machte meinen Beruf, die Gastronomie, zum Hobby. Und mein Hobby, das Schreiben, machte ich zum Beruf.

Gibt es auch Schattenseiten?
Klar. Schreiben kann auch eine Sucht sein. Ich bin zu sechzig Prozent Chefredaktor bei «Marmite», der Zeitschrift für Esskultur, ich arbeite zu vierzig Prozent bei Radio Rumantsch und schreibe sonst noch für verschiedene Medien. Ich muss schreiben. Wenn ich nicht arbeiten kann, werde ich unruhig. Vielleicht ist das die Schattenseite.

Sie haben das Wort Sucht verwendet. Als professioneller Esser und Trinker sind Sie auch für andere Süchte prädestiniert. Wie halten Sie es mit dem Alkohol?
Genuss ist eine Massfrage. Ich kenne Leute aus dem Wein- oder Gastrojournalismus, die ein Problem haben damit. Ich bin in einem Hotel aufgewachsen und kenne die Problematik daher von Kindsbeinen an. Die Besoffenen stürzten bei uns im Restaurant auch mal die Treppe runter und schlugen unten ihren Grind auf. Das ist nicht nett, das kann nicht das Ziel sein. Deshalb habe ich Respekt vor dem Alkohol. Ich verzichte einen Monat im Jahr konsequent darauf.

Fällt Ihnen das schwer?
Ja. Vor allem weil ich Wein nicht als Alkohol definiere, sondern als Bereicherung des Essens, also des Lebens. Wenn ich einen Monat lang Tag für Tag im Restaurant sitze und Wasser trinke, dann fehlt mir etwas. Aber nicht der Alkohol, sondern der Genuss.

Andrin Willi, 31, ist Chefredaktor von «Marmite», der Zeitschrift für Esskultur, und Redaktor bei rtr, dem rätoromanischen Radio der SRG. Er ist einer der profiliertesten Gastrojournalisten des Landes.