Durch den Monat mit Andrin Willi (Teil 2): Essen ohne Reue?

Nr. 19 –

Andrin Willi: «Ich weigere mich, Schnitzeli in Rahmsauce für elf Franken zu essen.»

WOZ: Wir sitzen im «McDonald’s». Schmeckt Ihnen der Big Mac?
Andrin Willi: (leckt sich die Finger) Wenigstens hat man die geschmacklichen Unterschiede von Filiale zu Filiale oder von Land zu Land ausgemerzt. Ist doch toll, wenn alles überall gleich schmeckt, toll zumindest aus –betriebswirtschaftlicher Sicht. «McDonald’s» gibt es seit dreissig Jahren in der Schweiz. Im letzten Jahr hat die Kette einen Umsatz von über 550 Millionen Franken erwirtschaftet. Über vier Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Ist es für Sie als Genussmensch eine Qual, so was zu essen?
Warum? Es ist ausgezeichnete, beste Schweizer Qualität, geliefert von den letzten noch lebenden Schweizer Bauern. Die Hygienevorschriften sind minutiös eingehalten worden. Die Chance, dass ich in diesem klinischen Umfeld krank werde, ist kleiner, als bei der Dönerbude vis-à-vis. Es ist für mich genauso keine Qual, hier zu essen wie für die anderen Billigesser hier drin. Das ist es ja genau. Alles muss widerstandslos verzehrbar sein und darf bloss keinen Eigengeschmack haben. Genau wie das Musikprogramm der meisten Radiosender. Ein Gedudel, das nach nichts schmeckt und nichts hinterlässt.

Gehen Sie privat zu «McDonald’s»?
Nein, ich gehe zu «Burger King» 
(grinst).

«McDonald’s» gilt in vielen Augen als die gastronomische Verkörperung des Bösen. Wie sehen Sie das?
Es ist zu einfach, ein erfolgreiches Unternehmen so darzustellen. Wer macht es denn so erfolgreich? Die Vereinigung Slow Food wurde in Italien gegründet. Wissen Sie wann?

Nein.
Ende der Achtziger, nach der Eröffnung des ersten «McDonald’s» in Rom. «McDonald’s» hat also ziemlich lange gewartet, bis sie sich nach Italien gewagt haben. Heute verkaufen italienische Fast-Food-Ketten Pizza mit Pommes. Ich hätte gewettet, das verkauft sich nie. Es verkauft sich aber. Für mich verkörpert eher das fehlende Interesse 
an Lebensmitteln das Böse für die Gastronomie.

Steht für Sie als Gastrokritiker 
der Genuss an höchster Stelle, oder machen Sie sich beispielsweise auch Gedanken über Fragen des Tierschutzes?
Ich habe in meinem Leben nur zweimal Froschschenkel gegessen. Einmal in der Champagne, unvergesslich gut. Zugunsten des Genusses verzichten zu können, das hat viel mit Tierschutz zu tun. Ich weigere mich, Schnitzeli in Rahmsauce für elf Franken zu essen. Ich esse auch kein Billighuhn, dann lieber einen knackigen Salatteller.

Nach was schmecken Froschschenkel?
Nach einer subtilen Mischung aus Fisch und hellem Geflügel. Das Fleisch hat weniger Biss und ist saftiger als das vom Poulet. Es ist nicht ganz einfach, so erklärte mir der Koch im Restaurant La Briqueterie, den richtigen Gargrad zu erwischen. Dazu gab es einen groben Kartoffelstock mit Baumnussöl. Sehr hohe Klasse.

Wie stehen Sie zur Nahrungsmittelindustrie?
Die Industrie deckt Bedürfnisse ab und schafft neue. Es geht um Geld und Macht. Ein Thema, das im Film «We Feed the World» etwas überspitzt, aber an sich einleuchtend genug gezeigt wird. Schade an solchen Filmen ist nur, dass die falschen Leute sie sehen.

Welche?
Ebendie, die sich für Lebensmittel oder Nahrung interessieren. Die anderen, die sich einen Dreck um die Herkunft von ihren Billigcrevetten scheren, gehen doch nicht ins Kino, um sich zu ekeln.

Was sind die grossen Trends in 
der Nahrungsmittelindustrie? 
Convenience-Food? Functional Food? Gender-Food?
Schwer zu beantworten; sicher, die Einpersonenhaushalte nehmen zu, und auch der Anteil einfach zuzubereitender Frische-Convenience nimmt zu. Functional Food, also Produkte mit gesundheitsfördernder Wirkung, ist nach wie vor ein Riesenmarkt, genau wie Diätprodukte anscheinend nicht aus der Mode zu bringen. Es ist der Traum vom Essen ohne Reue, also ohne Angst vor Gewichtszunahmen, der viele Menschen anspricht. In den USA gibt es ja sogar das fettfreie Fett Olestra, das vom Körper nicht aufgenommen werden kann. Die Nebenwirkungen sind bekannt und nicht zu unterschätzen, deshalb ist es bei uns verboten. Der Topseller der Sélection-Linie der Migros hingegen ist die Mousse au Chocolat. Nicht ganz einfach also, eine konkrete Antwort zu geben.

Wie sähe Ihre ideale Nahrungswelt aus? Alles bio?
Wenn das eine hypothetische Frage ist: ja. Realistisch gesehen, haut das wohl nicht hin. Zu viele Menschen sind Billigesser, denen ist es wurscht, wie die Schweine gehalten wurden, Hauptsache, die Koteletts in der Tiefkühltruhe sind im Sonderangebot.

Andrin Willi, 31, ist Chefredaktor von «Marmite», der Zeitschrift für Esskultur, und Redaktor bei rtr, dem rätoromanischen Radio der SRG. Er ist einer der profiliertesten Gastrojournalisten des Landes.