Fussball: Die Schönheit, die Poesie
Er führte den FC Basel mit Hilfe von Theodor W. Adorno und Karl Marx aus der sportlichen Krise und besiegte eine schwere Depression. Ein Gespräch mit dem FCB-Captain Ivan Ergic.
WOZ: Ihre Karriere ist geprägt von einem Bruch. Sie waren in der Saison 2002/03 kurz davor, die grosse internationale Bühne zu betreten - ein Wechsel zu Juventus Turin. Stattdessen folgte ein Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik ...
Ivan Ergic: Wir spielten mit dem FC Basel in der Champions League. Ich war in Hochform, ich dirigierte, ich schoss Tore. Juventus Turin, der mich an den FC Basel ausgeliehen hatte, wollte mich zurück. Dann verletzte ich mich. Ich musste mich operieren lassen. Der Druck war gross. Ich war jung. Ich hatte private Probleme. Ich litt plötzlich an Pfeifferschem Drüsenfieber. Ich konnte vor Schmerzen kaum laufen. Dann kamen die Depressionen.
Wie kamen Sie da wieder raus?
Ich meldete mich in der Klinik und wurde im Sommer 2004 vier Monate stationär behandelt. Ich hatte zuvor lange gelitten, ich hatte Schmerzen. Ich rannte zu jedem Arzt. Niemand konnte mir helfen. Ich dachte, die Schmerzen seien physisch bedingt. Ich wusste nicht, dass sich mentale Beschwerden auch auf den Körper auswirken können. Ich war am Tiefpunkt.
Weg vom glitzernden Stadion in eine abgeschottete Klinik ...
Der geschützte Rahmen tat mir sehr gut, er rettete mich. Es war ein spannendes Umfeld. Ich war inmitten sehr sensibler, aber auch kreativer Menschen, da waren Bankmanager, Studenten, Bauarbeiter. Bevor ich die Klinik aufsuchte, dachte ich, wenn du dort reingehst, wird alles nur noch schlimmer. Dann hört das nie auf. Dem war nicht so, im Gegenteil. Die Therapie hat mich geheilt.
Wie haben Ihre Mitspieler reagiert?
Kaum. Es ist die allgemeine Meinung, dass dies einem Sportler nicht passieren kann. Ich wollte dann dieses Tabu brechen und ging offensiv mit meiner Krankheit um. Man ist ja kein Aussätziger, weil man depressiv ist. Das kann jedem passieren. Ich verüble es meinen Mannschaftskollegen nicht, dass sie zurückhaltend waren. Ich verstehe ihre Unsicherheit. Ich hätte wohl ähnlich reagiert.
Und der Trainer?
Christian Gross sagte: Wir geben Ivan so viel Zeit, wie er braucht, um wieder fit zu werden. Er hielt zu mir. Der FC Basel hielt zu mir. Sie verlängerten meinen Vertrag.
Zwei Jahre nach Ihrer Krise machte Sie Christian Gross zum Captain.
Ich hatte mir damals die Frage gestellt: Will ich zurück? Bin ich bereit für dieses harte Geschäft? Nach dem Abgang von Pascal Zuberbühler und der schweren Niederlage im letzten Meisterschaftsspiel gegen den FC Zürich im Mai 2006 übernahm ich die Binde. Heute steht der FC Basel im Cupfinal. Und wir können wieder Meister werden. Ich habe auf verschiedenen Ebenen schwierige Zeiten gemeistert.
Als man Sie holte, hiess es: Ergic ist einer der ganz Grossen. Ist es für Sie befriedigend, in Basel zu arbeiten?
Ich kenne viele Spieler in grossen Vereinen. Ich machte selbst Erfahrungen bei Juventus Turin. Ich sah, wie es laufen kann. Ich bin froh, bei einem Verein wie Basel zu sein, wo eine gewisse Übersicht herrscht. Juventus wurde wegen Korruption in die zweithöchste Liga relegiert. Mich hat das nicht überrascht. Man konnte es sehen. Ich möchte nicht ausschliessen, dass jene dreckige Seite des Fussballs damals zu meiner Krankheit beigetragen hat. Ich hatte direkten Kontakt mit Leuten, die heute im Gefängnis sitzen. Fussball ist ein knallhartes Geschäft. Ich war naiv. Ich erkannte es, aber ich habe es nie akzeptiert.
Sondern?
Ein faires Spiel ist mir wichtiger als der Erfolg. Das ist mein persönlicher revolutionärer Gedanke, mit dem ich nicht brechen möchte.
Aggressivität wird von Trainern geradezu gefordert.
Das ist ein Trick, den fast jeder Trainer kennt und dem sich nur wenige Spieler entziehen können: Trainer üben bewusst Druck aus, kitzeln im Training die Aggressivität, und dann stehen die Spieler auf dem Platz, kurz davor zu explodieren. Vieles davon passiert unbewusst. Das schadet dem Spiel.
Was wäre die Alternative?
Es gibt viele andere Möglichkeiten, einen Spieler zu motivieren. Ich bewundere faire, kreative Spieler, zum Beispiel Messi, den jungen Argentinier.
Sie erinnern mich ein wenig an Gary Lineker, den englischen Nationalspieler aus den achtziger Jahren.
Lineker? Er war einer der ganz Grossen. Er war ein sehr fairer Spieler. Er bekam in seiner langen Karriere keine einzige Spielsperre. Ich bewundere das, auch wenn ich dafür belächelt werde.
Belächelt?
Die Leute sagen: Als Captain musst du aggressiv sein, du musst ab und zu auch mal einen Gegner umhauen, mit gutem, aggressivem Beispiel vorangehen. Ich will mit einem anderen Beispiel vorangehen. Ich bin stolz darauf, dass ich in der laufenden Saison noch keine gelbe Karte erhalten habe. Das hat nichts damit zu tun, ob ich kämpfe oder nicht. Ich gebe alles für meine Mannschaft. Doch mir ist der Fairplaygedanke sehr wichtig. Fairplay ist heute bloss noch ein abstrakter Begriff der Fifa, ein schönes Wort. Es wird nicht geschätzt, wenn man fair spielt. Ich bin gegen absichtliche Fouls, auch wenn ich vielleicht naiv wirke. Denn was mich an der Aggressivität stört: Es ist ein Ausdruck davon, dass es im Fussball um sehr viel Geld geht.
Das ist schon fast eine Kapitalismuskritik.
Das ist eine Kapitalismuskritik. Ich muss hier anfügen, dass einer meiner wichtigsten Inspirationen Karl Marx ist.
Karl Marx?
Das kommt nicht von ungefähr. Mein Vater war früher in der Sozialistischen Partei. Er war ein orthodoxer Marxist. Er hat nicht alles geschätzt am Sys-tem, er hat mich erzogen, Mensch zu sein. Durch meinen Vater also kam ich zu Karl Marx. Und Marx sah schon vor 150 Jahren die Widersprüche des Kapitalismus, er hat eingesehen, dass Geld die Welt zerstört. Und es zerstört auch den Fussball. Ich möchte kein konformistischer Fussballer sein.
Sie müssen den FC Basel zum erfolgreichsten Klub machen.
Das ist so. Ich versuche dies aber auf meine Art. Ich will ein Vorbild sein, kein Mittel zum Zweck. Meine Inspiration ist die Frankfurter Schule, es sind dies Adorno, Horkheimer, Sartre. Ihre inspirierenden, marxistischen Schriften haben mir die Kraft gegeben, meinen Willen durchzusetzen, daran festzuhalten, dass Prinzipien wichtiger sind als Erfolg. Marx hat geschrieben, dass der Kapitalismus so viele Widersprüche birgt, dass das Wesen des Menschen verschwindet, dass eine völlige Entfremdung stattfindet. Und er hat recht.
Auf den Fussball bezogen müsste das heissen: Wir stürmen nach vorne!
Gerade dem FC Basel passiert das oft, dass die Gegner mauern, uns mit völligem Sicherheitsfussball entgegentreten. Deswegen gefällt mir Messi, auch Ronaldinho, deswegen gefiel mir Zidane: Sie stehen ein für offensiven Fussball. Es ist jene Art von Fussball, die die Fans geniessen können. Heute ist es allerdings bereits im Juniorenbereich so, dass den Spielern eingetrichtert wird, funktional zu sein, nicht aber kreativ. Es wird wenig in die Technik investiert, dafür viel in Taktik und Kraft. Es fehlt dann an Material und Wissen, schönen Fussball zu spielen.
Cesar Luis Menotti, jener Fussballtrainer, der die argentinische Nationalelf um Mario Kempes mit spektakulärem Fussball 1978 zum Weltmeis-tertitel führte, nannte seinen Offensivfussball «linken Fussball». Jenen seiner italienischen und deutschen Kollegen nannte er «rechten Fussball», einen, der um des Erfolgs willen auf Destruktivität setzt.
Menottis Links-rechts-Theorie ist mir zu geometrisch. Doch es ist ein sehr schönes Bild. Und tatsächlich steht Menotti für schönen Fussball. Die meisten Spieler heute kennen Menotti jedoch nicht mehr. In den Sportzeitungen liest man seinen Namen nicht. Es geht um Resultate, nicht um Ästhetik. Menotti hat meinen Fussball beeinflusst. Ich bewundere ihn.
Sie würden einen wunderbaren Trainer abgeben.
Ich sehe meine Zukunft nicht im Fussball. Es ist nicht das, was ich mir als Kind vorgestellt habe.
Was haben Sie sich vorgestellt?
Das Spiel an sich, die Schönheit, die Poesie. Heute überwiegt das Geschäft, man muss nicht kreativ sein, man muss in erster Linie hart und abgebrüht sein. Und so bin ich nicht.
Noch sind Sie Fussballer. Der FC Basel steht nach einer katastrophalen Hinrunde, nach einer tiefen Krise nun trotzdem im Cupfinal und hat den Rückstand auf den Tabellenführer FC Zürich massiv verkürzt. Gewinnen Sie gar beides, den Cup und die Meisterschaft?
Wir wollen und müssen gegen den FC Luzern den Cup holen. Unsere Leistung in der Meisterschaft ist ein Versprechen, dass es knapp wird. Wir wollen Zürich abfangen. Es wäre für uns eine Katharsis.
Eine Katharsis für die verspielte Meisterschaft? Für die Krawalle vom 13. Mai 2006 im St.-Jakob-Park, als Basler Fans das Feld stürmten, nachdem der FC Zürich mit einem Tor in letzter Sekunde die Meisterschaft für sich entschieden hatte?
Für beides. Wir waren am Tiefpunkt. Wenn du so abgeschossen wirst und aus Kritik Prügel werden, brauchst du Zeit, um zu reagieren. Wir mussten nach der verlorenen Meisterschaft und den Ausschreitungen erst einmal wieder zu uns finden. Die Hinrunde verlief sportlich nicht gut. In der Winterpause haben wir die sportliche und personelle Situation analysiert, das Befinden: Was läuft sportlich falsch? Seither haben wir kein Spiel mehr verloren. Wir mussten aber auch in einem anderen Bereich aus der Krise finden: Wie würden Fans und Verein nach den Ausschreitungen wieder zusammenfinden? Wir veranstalteten eine Podiumsdiskussion, hielten Sitzungen ab, suchten den Dialog. Der Verein, die Spieler, die Fans haben dadurch Nähe geschaffen, haben sich um einen direkten Kontakt bemüht. Das Verhältnis ist momentan extrem gut.
Im Merian-Verlag erscheint im Mai das Buch «Basler Choreo». Es ist eine Hommage an die Basler Fankultur. Sie haben das Vorwort geschrieben. War das auch Teil einer Annäherung?
Ich hatte schon vor dem 13. Mai einen engen Kontakt zu den Fans. Ich wollte mit dem Vorwort den Fans etwas zurückgeben, namentlich jenen Fans in der Muttenzer Kurve. Sie sind unersetzbar. Sie sind unser zwölfter Mann. Es ist ein bisschen wie Embryologie: Zuerst war der Fussball, dann die Zuschauer, die Fans; erst dann kam der institutionelle Anbau. Das Spiel, die Fans, diese Verbindung gilt es zu behaupten, es ist die Essenz des Spiels.
Der serbisch-australische Doppelbürger Ivan Ergic wurde in Sibenik, im heutigen Kroatien, geboren. Als er zehn Jahre alt war, brach der Krieg aus und seine Eltern flüchteten mit ihm nach Serbien, von dort wanderten sie, als Ivan vierzehn Jahre alt war, nach Australien aus. Mit achtzehn erhielt er einen Profivertrag beim australischen Verein Perth Glory. Im Jahr 2000 wechselte er zu Juventus Turin und wurde an den FC Basel ausgeliehen. Dort spielt er bis heute.
Captain Ivan Ergic, 26, ist der dienstälteste Spieler des FCB. Er gilt als einer der talentiertesten Mittelfeldspieler Europas. 2006 stand er im Aufgebot der serbisch-montenegrinischen Nationalmannschaft für die WM in Deutschland. Zurzeit bestreitet er mit der serbischen Natio-nalmannschaft die Qualifikation für die Euro 08.