Durch den Monat mit Luca Maggi (Teil 4): Ist der Fussball ein linkes Spiel?

Nr. 26 –

Wenn nicht Champions League, dann halt Quartierverein: Auch wenn die Arbeiter:innenklasse aus den grossen Stadien verdrängt worden sei, habe sie sich den Fussball nicht nehmen lassen, sagt Luca Maggi.

Luca Maggi im Letzigrund-Stadion
Luca Maggi: «Laut dem argentinischen Weltmeistertrainer Menotti spielt man den ‹linken Fussball›, um ein Fest zu erleben, schöner zu spielen als der Gegner.»

WOZ: Luca Maggi, wem gehört eigentlich der Fussball?

Luca Maggi: Der Fussball gehört allen, die ihn spielen und sich von ihm begeistern lassen: den Fans, der Gesellschaft. Ohne sie hätte er weder einen Reiz noch eine Geschichte. Und das wiederum lässt sich natürlich bestens zu einem Geschäft machen; so reden wir heute immer mehr über all die wirtschaftlichen und kommerziellen Interessen, die den Fussball prägen. Und ja, das setzt neue Regeln und Schranken, die mit dem Fussball an sich wenig zu tun haben. Heute wahrscheinlich mehr denn je.

Lange galt der Fussball als Sport der Arbeiter:innenklasse. Was ist davon geblieben?

Fussball wird in jedem Land, in jeder Stadt, in jedem Dorf gespielt. Status und Klasse spielen dabei oftmals keine Rolle. Aber die Kommerzialisierung hat natürlich auch im Fussball Klassen geschaffen, die über die sportlichen Leistungen hinausgehen – etwa was die horrenden Ticketpreise für die Spiele betrifft, wofür ausgerechnet die Premier League in England, dem Mutterland des Fussballs, das Paradebeispiel ist. Zudem wird vom Publikum im Stadion – trotz der riesigen medialen Emotionalisierung – ständig erwartet, die eigenen Emotionen unter Kontrolle zu halten. Der moderne Fussball will eine saubere Bühne.

Aber hat der Fussball nicht doch auch etwas Verbindendes?

Absolut. Die Menschen lassen sich den Fussball dadurch nicht nehmen – auch die Arbeiter:innenklasse nicht. Der Fussball ist heute eine Art globale Sprache: Sitzt man irgendwo auf dieser Welt in einem Bus oder in einem Zug, hat der Fussball etwas Einendes. «Messi?», Daumen hoch oder Daumen runter – und schon ist man im Gespräch, auch wenn man sonst kein Wort voneinander versteht. Fussball verbindet und schafft es darum, Klassen zu sprengen.

Dennoch: Im Fussball haben allein die Geldgeber das Sagen.

Klar, im Profifussball ist das so. Klubs ab einer bestimmten Grösse sind nicht mehr als Vereine, sondern als Aktiengesellschaften strukturiert. Da unterscheidet den Fussball nur noch wenig von der restlichen Wirtschaft. Auch die Zwänge sind die gleichen: Löhne, Einnahmen, Ausgaben, Gewinn oder Verlust. Dem ganzen Profifussball stehen aber immer noch die klassischen, als Vereine organisierten Klubs gegenüber. All die kleinen Quartier- und Dorfvereine, in denen unzählige Mitglieder dank grosser Einsatzbereitschaft und Freiwilligenarbeit vielen Menschen eine der wohl erschwinglichsten Freizeitbeschäftigungen ermöglichen.

Lässt sich der Fussball vor diesem Hintergrund auch als so etwas wie ein linkes Spiel darstellen?

Da bräuchte es nun einiges an Plattitüden, um diese Frage einfach so zu bejahen. Aber um sie trotzdem zu beantworten: Geht es nach César Luis Menotti, dem argentinischen Weltmeistertrainer von 1978, gibt es zumindest eine Philosophie des «linken Fussballs», ja.

Menotti, der Anfang Mai 85-jährig gestorben ist, plädierte dafür, den Fussball ästhetisch und mit Freude zu spielen.

Genau. Er sagte, den «linken Fussball» spiele man nicht allein, um zu gewinnen, sondern um ein Fest zu erleben, als Mensch zu wachsen. Ginge es nur ums Resultat, könne man ja gleich eine Münze werfen. Tatsächlich würden sich die Fans das Spiel ansehen, weil sie es liebten, und der Fussball solle diese Liebe zurückgeben. Menottis Maxime war es darum, schöner zu spielen als der Gegner. Das allein sei schon der Sieg.

Nach dem Gewinn des Weltmeistertitels 1978 im eigenen Land, zur Zeit der Militärdiktatur, sagte Menotti: «Meine Spieler haben die Diktatur der Taktik und den Terror der Systeme besiegt.» Erzählungen zufolge soll er Jorge Rafael Videla, dem Vorsitzenden der Militärjunta, nach dem Titelgewinn den Handschlag verweigert haben. Ich finde das ein wunderbares Beispiel dafür, dass ein linker Fussball denkbar ist.

Kylian Mbappé, der grösste Fussballstar der Gegenwart, hat Frankreichs Jugend kürzlich dazu aufgerufen, sich gegen die aufstrebende extreme Rechte zu stellen.

Das finde ich beeindruckend – und gleichzeitig wünschte ich mir mehr Fussballer:innen, die sich zu gesellschaftlichen Themen äussern. Dazu gibt es eine andere Anekdote über die WM 1978. Angesprochen auf die damalige Militärdiktatur, liess sich der deutsche Nationalspieler Berti Vogts wie folgt zitieren: «Argentinien ist ein Land, in dem Ordnung herrscht. Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen.»

Heute habe ich das Gefühl, dass viele Sportler:innen – ich beschränke das bewusst nicht auf Fussballer:innen – mit einer vergleichbaren Haltung durch die Wettbewerbe gehen. Wenn Staatspräsident:innen den Spielen beiwohnen, wenn Turniere in Diktaturen stattfinden, wenn der Kosovo nicht gegen Serbien und Spanien nicht gegen Gibraltar spielen kann, dann ist das halt politisch. Und hier würde ich mir deutlichere Statements wünschen.

In drei Wochen geht in der Schweiz wieder die Super League los. Zuvor gewinne Portugal aber noch die Europameisterschaft, sagt Luca Maggi (34), Sicherheitsverantwortlicher beim FC Zürich.