Asyl in den Bergen: SOS ins Rheintal

Nr. 20 –

Im abgelegenen Valzeina sollen abgewiesene AsylbewerberInnen isoliert werden. Doch die BewohnerInnen des Dorfes wehren sich. Und solidarisieren sich mit den Asylsuchenden.

Valzeina im Prättigau: 131 EinwohnerInnen, 1261 Meter über dem Meer, null Restaurants, null Einkaufsmöglichkeiten. Hier will der Kanton Graubünden eine Unterkunft für abgewiesene AsylbewerberInnen errichten. Im Sommer sollen vierzig bis fünfzig abgewiesene Flüchtlinge das ehemalige Ferienheim Flüeli, rund zwanzig Gehminuten vom Dorfkern entfernt, beziehen. Das Postauto ins Tal und zurück kostet 9 Franken, die Asylsuchenden erhalten vom Kanton 7.30 Franken pro Tag. Die wahrscheinliche Überlegung dabei: Die isolierte Lage soll für die zukünftigen BewohnerInnen so unerträglich sein, dass sie freiwillig aus der Schweiz ausreisen. So wird eine Asylunterkunft zur verkappten Ausschaffungshaft.

Die EinwohnerInnen des Bergdorfes wehren sich gegen die Pläne des Kantons. Das war zu erwarten. Unerwartet kommt, dass sie sich nicht nur für sich und ihr Dorf wehren, sondern auch für die AsylbewerberInnen. Schlaue Taktik oder echte Solidarität?

«Aufbrausend, stolz, wehrhaft»

2005 wechselte das Asylwesen im Kanton Graubünden vom Sozialamt zum Amt für Polizeiwesen und Zivilrecht. Damit einher ging ein Paradigmenwechsel in der Asylpolitik: weg von der Integration, hin zur Repression. Auch bei der Kommunikation mit den Gemeinden, in denen Asylunterkünfte geplant sind, werden seitdem andere Töne angeschlagen. Die BewohnerInnen von Valzeina erfuhren aus den Medien von den Plänen des Kantons. Da war die Asylunterkunft im Flüeli bereits beschlossene Sache. Angst und Wut machten sich breit im Dorf.

Die Medien wurden auf den Fall aufmerksam. So schickte der «SonntagsBlick» eine Reporterin ins Prättigau. Diese durchstreifte das abgelegene Bergdorf mit ethnologischem Blick und wusste zu berichten: «Die Menschen hier sind aufbrausend, stolz und wehrhaft.» Rasch war das Klischee von den verstockten und xenophoben BerglerInnen skizziert. Auf der Titelseite der «SonntagsBlick»-Beilage «Sie + Er» wurde ein Bewohner Valzeinas abgebildet mit dem finsteren Zitat: «Mir kommt kein Asylant ins Dorf.» Eine Ausgabe später musste «Sie + Er» richtigstellen, dass der Betreffende das so nie gesagt hatte.

Politisieren mit YouTube

In Valzeina gibt es zwei politische Lager: die eher konservativen Alteingesessenen und die eher linken Neuzuzüger aus dem Unterland, oftmals Aussteiger oder Biobäuerinnen. So uneinig sich die beiden Lager bei politischen Fragen immer wieder waren, so einig sind sie sich jetzt: Das Flüeli in Valzeina ist nicht der richtige Ort für eine Asylunterkunft. Die Gemeinde setzte die Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit Valzeina ein, welche die Interessen der Gemeinde nach aussen vertritt. Prominentes Mitglied der Arbeitsgruppe ist die 28-jährige Grafikerin Manuela Pfrunder, die von der Nationalbank kürzlich den Auftrag erhielt, die neuen Banknoten zu gestalten. Ruhe und Muse suchend zog sie vor einem Jahr zusammen mit ihrem Partner Adrian Heuberger nach Valzeina. Doch mit der Ruhe war es bald vorbei. Heute gehören die beiden zu den kämpferischsten GegnerInnen der repressiven Asylpolitik Graubündens.

«Wir standen vor der Aufgabe, uns als kleines Dorf ohne politische Macht Gehör zu verschaffen», sagt Manuela Pfrunder. Erreicht haben sie dies durch kreative Kommunikationsmassnahmen unter dem Claim «S.O.S. Menschlichkeit». So stellten sie unter anderem einen selbst produzierten Kurzfilm mit dem Titel «Hello Refugee» auf die Internetplattform YouTube, entwarfen Postkarten und errichteten in der Nähe des Asylheims eine Lichtanlage, welche die drei Meter hohen Lettern SOS ins Rheintal ausstrahlt. Die Arbeitsgruppe organisierte zudem mehrere Infoanlässe, an denen teilweise auch Asylsuchende referierten. Für Manuela Pfrunder wäre dies ein Weg, den man in der Asylpolitik vermehrt beschreiben sollte: sich gegenseitig kennenlernen. Denn: «Die Angst entsteht, weil man sich nicht kennt.»

Mit Widerstand aus dem Dorf hatten sie gerechnet, die Vertreter des Kantons. Aber nicht mit so heftigem und so kreativem. Unerwartet waren nicht nur die Kommunikationsmittel, sondern auch die Argumentationen der Arbeitsgruppe. «Nicht weil wir fremdenfeindlich sind, lehnen wir das Überrumpelungsprojekt des Amtes für Polizeiwesen ab, sondern aus Mitgefühl mit den Menschen», schrieben die Valzeiner in einer Stellungnahme. «Mitgefühl einerseits mit den Menschen, die da oben auf dem Berg wie in einem Ghetto leben müssten, ohne sinnvolle Beschäftigung, ohne Arbeits- oder gar Einkaufsmöglichkeiten. Anderseits mit der Bevölkerung unserer Kleinstgemeinde, die überfordert wäre, mit so vielen Asylbewerbern auf sinnvolle, integrierende Art zusammenzuleben.»

Was denkt die Gemeinde wirklich?

Die Arbeitsgruppe beliess es nicht beim Protest gegen die Pläne des Kantons. Sie suchte zusammen mit dem Verein Hilfe für Asylsuchende auch nach Alternativen - und wurde fündig. Sie schlug vor, im ehemaligen Gasthof Alpenrose im Dorfzentrum zwei bis drei Familien einzuquartieren statt im Flüeli vierzig bis fünfzig Asylsuchende. Ende Januar stimmte die Gemeindeversammlung diesem Vorschlag zu - ohne Gegenstimme. «Diese Abstimmung war für uns sehr wichtig, um zu sehen, wie die Gemeinde wirklich denkt», sagt Manuela Pfrunder. Tatsächlich ist es bemerkenswert, dass eine Gemeinde der Errichtung einer Asylunterkunft zustimmt. Der Kanton Graubünden hatte immer wieder argumentiert, keine Gemeinde wolle freiwillig Asylsuchende bei sich aufnehmen, deshalb müsse man die Dörfer oder Städte dazu zwingen. Doch als Valzeina das Gegenteil bewies und einen konstruktiven Vorschlag unterbreitete, wurde dieser vom Kanton nicht einmal ernsthaft geprüft.

Nun bleibt der Gemeinde als einziges realistisches Mittel noch eine Einsprache gegen den Umbau, mit dem der Kanton das Flüeli bezugsbereit machen will. Denn der neuste hübsche Vorschlag der Valzeiner Arbeitsgruppe, aus dem Flüeli ein Ferienheim für AsylbewerberInnen zu machen, wird wohl chancenlos bleiben.