Porträt: Die Kartoffeln sind auch nicht von hier
Sich einsetzen, um die eigene Menschlichkeit nicht zu verlieren: Daniela Stirnimann-Gemsch engagiert sich im Bündner Dorf Valzeina für Asylsuchende. Jetzt bekommt sie dafür den Paul-Grüninger-Preis.
Sie hat die Frage schon oft gehört. So oft, dass sie eine ironische Antwort parat hat. Wenn wieder einmal jemand wissen will, woher sie die Energie nehme für ihr Engagement, «dann sage ich: Ich brauchte ein neues Hobby, als die Kinder ausgezogen waren. Andere Frauen in meinem Alter fangen an zu golfen.» Daniela Stirnimann-Gemsch lacht laut. Doch dann wird sie ernst. «Für mich stellt sich die Frage, wie ich mein eigenes Menschsein definiere. Manche Flüchtlinge sind unsere Freunde geworden. Ich kann doch nicht einfach zuschauen, wie sie kaputt gemacht werden.»
Seit bald fünf Jahren setzt sich die Biobäuerin und Hortmitarbeiterin im Bündner Dorf Valzeina für Asylsuchende ein. Am Freitag dieser Woche erhält sie dafür den Paul-Grüninger-Preis, zusammen mit der Organización Femenina Popular, die in Kolumbien Frauenhäuser aufbaut. Der Preis erinnert an den St. Galler Polizeikommandanten, der 1938 und 1939 Hunderten von jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland das Leben rettete.
«Ich nehme diesen Preis stellvertretend für alle entgegen, die sich hier engagieren», betont Daniela Stirnimann. «Ich bin Pressesprecherin des Vereins Miteinander Valzeina, darum stehe ich im Vordergrund. Aber mein Mann Guido macht mindestens so viel wie ich und viele andere auch.» Guido und Daniela sitzen vor ihrem Bauernhaus am Steilhang. Der Föhn schüttelt die letzten Blätter von den Bäumen. Das stotzige Gelände gab den Ausschlag, dass Stirnimanns keine Kühe kauften, als sie vor 25 Jahren hier heraufzogen, sondern Milchschafe. Daniela Stirnimann verarbeitet die Milch zu verschiedenen Käsesorten, die auf dem Markt in Chur guten Absatz finden.
Ein ganzes Dorf solidarisch?
Die Höfe liegen weit verstreut über den ganzen Hang. Der Tourismus ist spärlich, es gibt nicht einmal mehr ein Restaurant. So kannten nur wenige UnterländerInnen Valzeina, als es 2007 in die Schlagzeilen kam. Der Kanton wollte abgewiesene Asylsuchende völlig isoliert im ehemaligen Ferienhaus Flüeli unterbringen, die Einheimischen wehrten sich dagegen – nicht mit fremdenfeindlichen, sondern mit solidarischen Argumenten. Es klang wie ein Wunder: Ein ganzes Dorf engagiert sich für Flüchtlinge!
Daniela Stirnimann zerstört das schöne Bild: «Wir hatten uns im Dorf geeinigt, dass sich niemand in der Öffentlichkeit fremdenfeindlich äussert. Aber einem Teil der Leute ging es darum, prinzipiell keine Asylbewerber im Dorf zu haben. Es war von Anfang an eine unheilige Allianz.» Als klar wurde, dass sich das Zentrum nicht verhindern liess, gründeten die Solidarischen den Verein Miteinander Valzeina, die anderen stiegen aus.
Vom Bundesrichter nominiert
2008 zogen erste abgewiesene Asylsuchende im Flüeli ein. Dort gab es weder Telefon noch Internetanschluss, Esswaren statt Geld und anfangs nicht einmal einen Aufenthaltsraum. Seither organisiert der Verein Treffen und Filmabende, bietet Rechtsberatung an, protestiert beim Kanton, hält Vorträge und rüstet die Asylsuchenden mit Handys, Kleidung und Sackgeld aus. Als Daniela Stirnimann erfuhr, dass auch Familien mit Kleinkindern ins Flüeli mussten, lüpfte es ihr den Deckel. «Ich habe ein wütendes Mail an Regierungsrätin Barbara Janom Steiner geschickt. Und dann habe ich diese Laube hier gebaut» – sie zeigt auf das Gerüst aus Ästen, um das sich Waldreben ranken. «Ich versuche Wut in positive Energie umzuwandeln. Schliesslich will ich keine hässige alte Tante werden.»
Die Bündner Asylbehörden reagierten immer genervter auf das Engagement des Vereins. An einer Pressekonferenz im März 2011 wiesen Barbara Janom Steiner und ihre Mitarbeiter mit eisiger Miene alle Vorwürfe zurück. VertreterInnen von Hilfswerken und auch Guido Stirnimann wurde der Zutritt verweigert.
Es kann doch nicht die ganze Welt in die Schweiz kommen! Dieses Argument mag Daniela Stirnimann nicht mehr hören. «Wir leben auf Kosten der ganzen Welt – und wenn ein paar Arme auch profitieren wollen, geht ein Riesengeschrei los. Klar haben wir eine hohe Bevölkerungsdichte, aber wir vermögen es auch. Gut, wenn wir keine Waffen mehr exportieren, keine Despotengelder mehr horten und keine Rohstoffe mehr importieren, dann müssen wir auch keine Leute mehr aufnehmen. Dann bekommt jeder ein Pferd und einen Pflug und kann Kartoffeln anbauen … aber die sind ja auch nicht von hier.»
Besonders freut es Stirnimanns, dass Daniela vom ehemaligen Bundesgerichtspräsidenten Giusep Nay nominiert wurde. «Wenn unsere Forderungen so unbegründet wären, würde er sich nicht für uns einsetzen», sagt Guido. «So etwas ist viel wert im Kanton Graubünden.» Bei den Bündner Asylbehörden dürften einige Mienen noch eisiger geworden sein.