«Verliebte Feinde»: Eine Feministin, ein Aristokrat
In seiner Doppelbiografie von Iris und Peter von Roten gibt der Historiker Wilfried Meichtry Einblicke in eine vielschichtige Beziehung nicht ganz ausserhalb der Norm.
«Ich kann doch nicht eine Iris Meyer heiraten, das ist doch kein Name», schrieb Peter von Roten im Herbst 1944 in sein Tagebuch. Diesen Satz zitiert der Historiker Wilfried Meichtry im Kapitel «Verliebte Feinde», dessen Titel er auch über seine Doppelbiografie dieses ungleichen Paares stellt. Satz und Titel bringen die Ausgangssituation der Beziehung zwischen dem Walliser Aristokraten und der freigeistigen Juristin gleichermassen auf den Punkt: Herkunft und ideologische Verankerung der beiden waren diametral entgegengesetzt, die Passion des argumentierenden Schreibens, die Exzentrik, die Faszination für das Ästhetische und die gegenseitige Loyalität aber verbanden sie.
Briefwechsel als Streitgespräch
Hauptquelle für die Doppelbiografie bilden die über tausend Briefe, die sich Iris Meyer und Peter von Roten in den vierziger Jahren schrieben. Und so liegt das Schwergewicht der zwei sich verschränkenden Lebensgeschichten in der Zeit vor ihrer Heirat. Die bekannten Episoden über die politischen Eingaben von Peter von Roten im Nationalrat und die Reaktionen auf Iris von Rotens «Frauen im Laufgitter» nehmen dagegen umfangmässig wenig Raum ein. Diese sind jedoch auf dem Hintergrund der breit ausgelegten schwierigen Beziehung und eigenwilligen Gestaltung des Ehealltags umso aufschlussreicher.
Wilfried Meichtry scheint von Iris und Peter von Roten fasziniert zu sein, doch zu einer Identifikation kommt es nicht, dazu sind die beiden zu widersprüchlich. So versteht der Autor sein Buch auch eher als Annäherung und zieht das direkte Zitat der paraphrasierenden Deutung von Quellen vor. Mit diesem Vorgehen konstruiert er für seine Protagonistin und seinen Protagonisten eine Bühne, auf der sie einzeln oder gemeinsam auftreten. Einige Titel der insgesamt 42 Kapitel erinnern deshalb an den Auftakt zu einer Inszenierung: «Die klandestine Heirat», «Peter auf der Pirsch», «Schelmenstück in Unterbäch».
Der Briefwechsel zwischen Iris Meyer und Peter von Roten liest sich wie ein intellektuelles Streitgespräch. Die Positionen zeugen von einem elitären, aus der eigenen Überzeugung gewachsenen Lebensentwurf und dem Willen zu dessen radikaler Umsetzung, bezogen auf Peter von Roten aber auch von einem ausgeprägten Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Stand und dessen in der Tradition verankerter Verpflichtungen. Bei Iris Meyer dagegen zeugen sie auch von der Zugehörigkeit zu einem diskriminierten Geschlecht, vom Glauben an die Überzeugungskraft des Arguments und vom Kult der Selbstständigkeit.
In den Briefen werden Differenzen ausgetragen, Positionen elaboriert. Meichtry spricht von «Briefduellen». Dabei zeigt sich, dass Peter von Roten einen starken Wandel durchmachte und viele Ansichten seiner Lebenspartnerin übernahm, aber trotzdem eine äusserst eigenwillige Persönlichkeit blieb, die ideologisch kaum klar zu verorten ist.
Iris von Roten dagegen bleibt bei ihrer Weltanschauung, verändert im Gegensatz zu ihrem Ehemann mehrfach ihre berufliche Beschäftigungen und geht später immer wieder alleine auf lange Reisen. Vor allem scheint einem, dass die Beziehung im Schreiben, in der diskursiven Auseinandersetzung, von grösserer Intensität und Spannung war als im nahen Nebeneinander. Dies liegt aber möglicherweise in der Problematik der Quellen, da Briefe über räumliche Distanzen ausgetauscht werden, Informationen über den gemeinsamen Alltag dagegen spärlich sind.
Frauen aus dem «Laufgitter»
Iris Meyer und Peter von Roten lernten sich Ende der dreissiger Jahre während des gemeinsamen Rechtsstudiums in Bern kennen, doch die kurze Beziehung endete in einer Ohrfeige, weil Peter von Roten versucht hatte, Iris Meyer zu küssen. 1943 nahm die inzwischen promovierte Juristin wieder den Kontakt zu dem ebenfalls promovierten Juristen auf. Bald wurde der tägliche Briefaustausch für beide zur Notwendigkeit, die direkten Kontakte dagegen waren rar und endeten nicht selten im Konflikt.
Der zentrale Streitpunkt lag in den unterschiedlichen Beziehungen zum schweizerischen Zentralstaat, zu den Rechten der Frauen, den katholischen Traditionen und der Rolle der Armee. Schwester, Bruder und Schwager von Iris Meyer waren die HerausgeberInnen des «Schweizerspiegels», wo Meyer schon als junge Frau ihre ersten Artikel publizierte. An der Schweiz kritisierte sie die rechtliche und wirtschaftliche Diskrimininierung und verlangte als Redaktorin des «Schweizerischen Frauenblattes» die radikale Gleichstellung der Geschlechter, was einige wichtige Repräsentantinnen der Frauenbewegung kritisierten und schliesslich zur Kündigung führte.
Nach Iris Meyer verwechselte die Frauenbewegung die Einforderung der Rechte von Frauen mit gemeinnütziger Tätigkeit zum Wohle der andern. Gemeinnützigkeit lag der für individuelle Rechte kämpfenden Iris Meyer fern. Als sie 1958 ihr Werk «Frauen im Laufgitter» herausbrachte, stimmten zwar viele Frauenrechtlerinnen mit ihrer Kritik der ungleichen Stellung der Frauen in Beruf und Politik ein, brachten ihr aber trotzdem wenig Sympathie entgegen und distanzierten sich öffentlich mehrheitlich von ihr und ihrem Werk.
Zu Beginn ihrer Beziehung war Peter von Roten ein deklarierter Gegner des Frauenstimmrechts, wandelte sich aber durch Meyers scharfsinnige Argumente zu einem der prominentesten männlichen Vertreter des Frauenstimmrechts, der seine Funktionen als Redaktor des «Walliser Boten», als Walliser Grossrat, Nationalrat und Bezirkspräfekt dazu verwendete, den Frauen den Weg zum Stimmrecht zu ebnen. Sein grösster Coup war sicherlich, dass es ihm als Bezirkspräfekt gelang, dass in Unterbäch die Frauen bereits 1957 an einem eidgenössischen Urnengang teilnehmen konnten.
Wenig Kompromissbereitschaft zeigte Peter von Roten aber in Bezug auf die katholische Kirche und bestand als Vorbedingung für die Heirat auf der Konversion seiner zukünftigen Frau. Doch seine Familie lehnte Iris Meyer aufgrund ihrer «simplen» Herkunft und als Frauenrechtlerin grundsätzlich ab, und es gelang seiner Mutter, die Konversion durch Interventionen bei hohen Würdenträgern zu verhindern.
Wilfried Meichtry, der dem Kapitel Konversion breiten Raum gibt, wurde die Einsicht in diesbezügliche Akten im Archiv des Bistums Sitten bis heute nicht erlaubt. Wegen der renitenten Haltung seiner Familie entschied sich Peter von Roten schliesslich zu einer klandestinen Heirat. Das Ehepaar wohnte zuerst im Wallis, bezog aber dann auch Wohnsitz in Basel, wo die Umsetzung ihres radikalen Eheentwurfs weit weniger Wellen warf als im kleinräumigen Oberwallis.
Frauenbewegung und Ehe
Auch wenn die Beziehung von Iris und Peter von Roten schon oft mit derjenigen von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir verglichen wurde, zeigt Wilfried Meichtrys Doppelbiografie implizit die grossen Unterschiede zwischen diesen beiden Paaren: Sartre und Beauvoir suchten immer wieder den Kontakt zu den sozialen Bewegungen, der Arbeiter-, Studenten- oder Frauenbewegung, positionierten sich also immer im Gefüge der gesellschaftspolitischen Entwicklungen, ohne sich dabei als selbstständige Intellektuelle einer Parteidoktrin unterzuordnen.
Dies lag auch Iris und Peter von Roten fern. Zwar vertraten sie in der Öffentlichkeit die Anliegen der Frauenbewegung und der Armeegegner, verstanden sich aber nie als Teil einer Bewegung und suchten sich auch nie enger mit einer solchen zu vernetzen. Sie agierten vielmehr als radikale IndividualistInnen, selbst ein Peter von Roten, der trotz seiner Exzentrik dem Wallis verhaftet blieb. Im Unterschied zum französischen Paar entschieden sich Iris und Peter von Roten für Kinder, übergaben einen bedeutenden Teil der Erziehungsaufgaben nach aussen. Andererseits zeigten sie sich in ihrer Verweigerung der tradierten Normen dem berühmten Paar in Paris doch verwandt. Nicht nur liess sich Iris von Roten von ihrem Ehegatten schriftlich versichern, dass sie entgegen der rechtlichen Vorgaben keine Hausarbeiten zu verrichten hatte, sondern beide gestanden sich gegenseitig weitere sexuelle Beziehungen zu. Trotz aller Konflikte blieben sich die beiden loyal in ihrer gegenseitigen Achtung und Unterstützung. Im Alter trug Iris von Roten die körperlichen Beeinträchtigungen jedoch sehr viel schlechter als ihr Ehemann Peter und schied in radikaler Selbstbestimmung mit 73 Jahren freiwillig aus dem Leben.
Wilfried Maichtry: Verliebte Feinde. Iris und Peter von Roten. Amman Verlag. Zürich 2007. 655 Seiten. Fr. 58.50