Standpunkt von Caroline Beglinger: Das Gejammer der verwöhnten Autolobby
Wer mit der Bahn fährt, zahlt immer mehr fürs Billett. Die Abgaben der AutofahrerInnen stagnieren dagegen seit Jahrzehnten. Mit dem neuen Strassenfonds NAF, über den am 12. Februar abgestimmt wird, soll der private Verkehr weiter zulasten des ÖV gefördert werden.
Winterzeit, Budgetzeit. Seit mehr als zehn Jahren steigen die Preise für Bahn und Bus in der Schweiz stetig, einmal sind die Einzelbillette besonders betroffen, das andere Mal die Abonnemente. Seit dem Jahr 2000 wurde der öffentliche Verkehr für die Fahrgäste 37 Prozent teurer, und das in einer Zeit, in der es fast keine Teuerung gab und gewisse Güter sogar günstiger wurden, so elektronische Apparate, aber auch Benzin und Diesel. Und genau dieser letzte Punkt ist irritierend.
Während Jahren wurde uns eingetrichtert, dass AutofahrerInnen massiv zur Kasse gebeten würden, ja dass sie die Milchkühe der Nation seien. Sie würden viel zahlen, aber wenig dafür bekommen. Das Gejammer der Autolobby und der Erdölvereinigung haben wir uns letztes Jahr vor der Abstimmung über die «Milchkuh-Initiative» besonders intensiv anhören müssen.
Was kam beim Faktencheck heraus? Die AutofahrerInnen erlebten seit 1993 keine Preiserhöhung auf ihre Benzinabgaben mehr. Kaufkraftbereinigt sind die Abgaben heute nur noch die Hälfte wert. Der Mineralölsteuerzuschlag wurde sage und schreibe seit 1974 nicht mehr angepasst. Und warum ist das so? Weil es der Strassenlobby gelungen ist, den Irrglauben in die Welt zu setzen, AutofahrerInnen würden ihre Kosten decken. Das aber ist falsch, wie das unverdächtige und faktenbasierte Bundesamt für Statistik (BFS) im Oktober 2016 dargelegt hat. Die Strasse deckt nur einen Teil ihrer Kosten. Jedes Jahr verursacht der Strassenverkehr sogenannte externe Kosten in Höhe von 5,6 Milliarden Franken. Davon spricht auf der Strassenseite niemand gern. Man sei sich nicht einig über die Kalkulation. Nun, das BFS wurde fündig. Zudem werden beim Mantra der Autolobby nicht nur die externen Kosten, sondern auch die defizitären Strassenrechnungen von Gemeinden und Kantonen vornehm weggelassen.
Gesellschaftliche Segregation
Denn Bund, Kantone und Gemeinden stecken aus diversen Strassenkassen und Kantons- respektive Gemeindebudgets insgesamt rund sieben Milliarden Franken pro Jahr in die Strasse. Das heisst, sie könnten so viel in den Strassenbau investieren, wenn denn überhaupt genügend Strassenprojekte baureif wären. Auf Bundesebene hat sich seit Jahren ein komfortables Finanzpolster in der Spezialfinanzierung Strasse angesammelt. Denn das Geld ist zweckgebunden, kann aber nicht aufgebraucht werden. Warum es dann nötig sein soll, weiter Steuergelder aus der Bundeskasse in eine prall gefüllte Strassenkasse umzuleiten, ist nicht nachvollziehbar. Hingegen scheint es in Anbetracht der Fakten verständlicher, dass in den letzten Jahren auf eine Erhöhung der Beteiligung der StrassennutzerInnen verzichtet wurde, es wurden ja Reserven angehäuft. Zumindest auf Bundesebene.
Der neue Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF), über den wir am 12. Februar abstimmen, will sich in der Bundeskasse mit zusätzlichen 650 Millionen Franken pro Jahr bedienen. Damit würden dem Staat wichtige Mittel entzogen, die bei der Bildung, der Entwicklungshilfe, im Sozialen und vor allem auch im öffentlichen Verkehr fehlen würden.
Damit wären wir also wieder bei Bahn und Bus. Dort steigt der Preis für die Fahrt wie erwähnt unaufhörlich. Der Preisüberwacher hat diesen Missstand in einer Studie angeprangert. Denn eine eigentliche Wahl haben die Fahrgäste nicht. Unser dichtes, gut aufeinander abgestimmtes öffentliches Verkehrsnetz, um das uns andere Staaten beneiden, wird uns zu immer teureren Preisen verkauft. Damit beginnt klammheimlich eine gesellschaftliche Segregation, denn man muss sich Bahnfahren plötzlich wieder leisten können.
Völlig falsche Anreize
Das ist umso irritierender, als der öffentliche Verkehr die Grundversorgung in der Fläche darstellt und auch Bevölkerungsschichten Mobilität ermöglicht, denen kein Auto zur Verfügung steht, so Kindern und Jugendlichen, älteren Menschen, aber auch all jenen, die einfach keinen Führerschein haben. Letztere Gruppe wird stetig grösser, denn die junge Generation macht den Führerschein immer später oder grad gar nicht mehr. Unterschiedlichste Bevölkerungsschichten sind auf Bahn, Tram und Bus angewiesen, für sie wurde der ÖV immer teurer. Das war sicher nicht die Meinung, als die SchweizerInnen immer wieder dafür gestimmt haben, die Bahninfrastruktur und das ÖV-Angebot auszubauen, von «Bahn und Bus 2000» über die Neat bis zur Annahme von Fabi (Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur) mit 64 Prozent im Februar 2014.
So werden völlig falsche Anreize gesetzt. Autofahren verbraucht gegenüber der Bahn ein x-Faches an Ressourcen. So beansprucht ein Auto circa vierzehnmal mehr Fläche, um eine Person einen Kilometer zu befördern, als der Zug, und der Energieverbrauch liegt ungefähr sechsmal höher als jener der Eisenbahn für eine vergleichbare Reise. Beim CO2-Ausstoss ist das Auto sogar zwanzigmal schlechter. Hätten Natur, Biodiversität, Gesundheit und Kulturland einen fairen Preis und könnten unsere natürlichen Ressourcen nicht gratis verschlissen werden: Autofahren müsste klar teurer sein.
Doch das Gegenteil ist der Fall. Der NAF wird direkt an der Preisspirale im öffentlichen Verkehr weiterdrehen. Aber nicht nur das: Dort, wo heute gebaut wird, findet der Verkehr in zwanzig Jahren statt. Bauen wir Autobahnen, wird er auf den Autobahnen zunehmen – und damit auch Umweltverschmutzung, Klimawandel, Stau und Unfälle. Das wiederum treibt die gesellschaftlichen Kosten in die Höhe, die selbstverständlich von der Allgemeinheit weiter bezahlt werden. Von einer Allgemeinheit notabene, die sich in zwei Jahrzehnten ein Bahnbillett nur noch zu Weihnachten leisten kann.
Caroline Beglinger (52) ist Kogeschäftsleiterin des Verkehrs-Clubs der Schweiz (VCS).