Super League: Grün-weisses Nervenflattern

Nr. 34 –

Der FC St. Gallen spielt seine letzte Saison im legendären Espenmoos. Dann zieht er um an den westlichen Stadtrand in das grösste Einkaufszentrum der Ostschweiz. Startete der Verein deshalb so schlecht in die Saison wie seit 35 Jahren nicht mehr?

Sogar 1992 begann die Saison für den FC St. Gallen besser als 2007. Damals stieg der FC ab in die Nationalliga B. Was erwartet die Ostschweizer also jetzt?

Dabei war es ausgerechnet der jetzige Trainer Rolf Fringer gewesen, der den FC St. Gallen nach Jahren der Tris-tesse aus der Apathie gerissen hatte: In der Hinrunde 2006 spielte der FC St. Gallen so erfrischend und wach wie seit vielen Jahren nicht mehr. Der dritte Tabellenplatz war der Lohn zur Winterpause.

Seither geht es trotz guten Kaders abwärts. Knapp reichte es Ende der letzten Saison noch für den UI-Cup, die Qualifikationsrunde für den Uefa-Cup. Die Fans druckten schon T-Shirts: «Europa, wir kommen!» Doch der FC St. Gallen verlor gegen den moldawischen FC Dacia Chisinau und schied aus. Ein paar Tage später ging die Meisterschaft los. Es folgten fünf Niederlagen in fünf Spielen. Es war der schlechteste Saisonstart seit 35 Jahren. Und das ausgerechnet in der letzten Saison im legendären Stadion Espenmoos. 1910 gebaut. Ein Hexenkessel.

Vom Hexenkessel zur Megaküche

Im Sommer 2008 zieht der FC St. Gallen um an den westlichen Stadtrand, zum Autobahnkreuz Winkeln, wo man bisher höchstens hinfuhr, um im Media Markt günstig Horrorfilme zu kaufen und bei «McDonald's» in einen Burger zu beissen und dann schnell wieder zu verschwinden. Absolutes Niemandsland. Jetzt bauen Jelmoli und Ikea das grösste Einkaufszentrum der Ostschweiz, und darin eingebettet, als Konsumleuchtturm, liegt das neue Stadion. Es heisst - natürlich, da an neuem Standort - nicht mehr Espenmoos, sondern AFG-Arena, Arbonia-Forster-Gruppe-Arena.

Der Ostschweizer Küchenhersteller und inzwischen in der Schweiz und Deutschland führende sogenannte integrierte Bauausrüster (Küchen, Fens-ter und Türen, Heizungen) hat sich für eine Million Franken pro Jahr und bis mindestens 2018 die Namensrechte am neuen Stadion gesichert. Firmenchef Edgar Oehler hat sich diese zehn Millionen teure Werbeaktion zum 64. Geburtstag geschenkt. Zum 61. Geburtstag hatte er ein AFG-Technologiezentrum eingeweiht. Zum 65. Geburtstag, im März 2007, übernahm seine AFG den grössten Türenhersteller im Land, zum nächsten Geburtstag soll in Arbon der neue AFG-Hauptsitz eingeweiht werden. Oehler nennt das «den Geburtstag mit einem sinnvollen Ereignis verbinden». Er ist einer der 300 reichsten Schweizer, seine jüngste Tochter sagt über ihn: «Der Beruf meines Papas ist Arbeiten.» Oehler ist der grösste Fabrikant in der Ostschweiz (6000 MitarbeiterInnen). Und letzte Woche hat Edgar Oehler ob der schlechten Leistungen des FC St. Gallen die Nerven verloren.

Der Sportchef habe alles falsch gemacht, sagte Oehler in diversen Zeitungen und auf Tele Ostschweiz, um jeweils im nächsten Satz anzufügen, dass er selbst keine Ahnung von Fussball habe. Der Namengeber, die Inves-toren und die Betreiber des neuen Stadions schlafen zurzeit sehr schlecht, auch wenn die Saison noch sehr jung ist, fürchten sie bereits das Worst-Case-Szenario: Abstieg in die Challenge League, Spiele gegen den FC Wohlen oder den FC Cham statt gegen den FC Zürich oder den FC Basel.

Pleite. Panik. Paranoia. Pech. Und Prügel für die Vereinsführung.

Dabei hätte Edgar Oehler die einmalige Chance gehabt, den Kritiker-Innen des neuen Stadions etwas Wind aus den Segeln zu nehmen: Statt öffentlich eine Panikattacke zu bekommen, hätte er sagen können, dass man sich ob der schlechten Leistungen nicht aus der Ruhe bringen lassen dürfe. Wie das neue Stadion sei auch der regionale Fussball ein Langzeitprojekt. Es wäre ein Steilpass gewesen für ein fussballfreundliches und nicht bloss gewinnorientiertes Image. Stattdessen rief Oehler in den Medien aus, dass Stürmerersatz Adrian Fernandez ein völliger Fehleinkauf sei. Dieser war geholt worden, nachdem sich der St. Galler Torschützenkönig Alex Tachie-Mensah im ers-ten Saisonspiel erheblich verletzt hatte. Doch bei seiner Auswechslung nach seinem Debüt im grün-weissen Trikot am vergangenen Samstag gegen Xamax erhielt Fernandez fast eine Minute anhaltenden, euphorischen Applaus des Publikums. Es war wie Klatschen gegen Oehler.

Jahre des Debakels

Auch in Sankt Gallen ist der FC die wichtigste Nebensache der Welt. Die Tradition verpflichtet: Der FC ist der zweitälteste Klub auf dem europäischen Festland und der älteste noch bestehende FC in der Schweiz; nicht aber wie YB, Zürich, GC und Basel häufig erfolgreich, sondern meistens Mittelmass: Bloss zweimal wurde er bisher Meister (1904 und 2000), nur einmal gewann der FC St. Gallen den Cup (ewig her: 1969). In den letzten Jahren herrschte mehr oder weniger Dauerkrise, zu den mittelmässigen Platzierungen in der Meisterschaft kamen die Cupdebakel gegen den Kantonsrivalen FC Wil (Heimniederlage im Halbfinal) und die Zweitligamannschaft von Küssnacht am Rigi oder die demütigende 11:3-Niederlage gegen den FC Wil in einem Meisterschaftsspiel im November 2002.

Das St. Galler Publikum neigt denn auch schnell zu Träumereien - kaum spielt der Klub ein paar Wochen gut, wird vom Gewinn der Schweizer Meis-terschaft geredet. Es neigt andererseits dazu, allzu schnell zu zaudern, die Nerven zu verlieren, Sündenböcke zu suchen. Vor allem aber - und das ist unabhängig davon, wie der Klub gerade spielt - ist das Publikum extrem treu. 11 300 passen rein ins Espenmoos, 10 000 kommen fast immer. Am vergangenen Wochenende, gegen Xamax, ist das Haus ein Hexenkessel. Als Xamax den Ausgleich schiesst und der erste, so dringend benötigte Saisonsieg kurz vor Schluss zu entgleiten droht, ist man sich auf den Rängen einig, dass hier dem eigenen Klub eine grosse Ungerechtigkeit widerfährt. Als kurz vor Schluss per Elfmeter doch noch das Siegestor für den FC St. Gallen fällt, brechen Dämme, als sei man soeben zum dritten Mal Meis-ter geworden. Dabei hat man nur endlich die ersten Punkte in der laufenden Saison gewonnen.

Was passiert wäre, wenn der FC St. Gallen vergangenen Samstag wieder und zum sechsten Mal in Folge verloren hätte? Wohl Chaos, Trainerentlassung, völlige Verunsicherung und Fans, die die Nerven verlieren: Am Abend vor dem Spiel, es war am Stand des Fandachverbandes am zweitägigen Sankt Galler Fest, schwang ein Hüne von Mann seine Faust und brüllte: «Wenn die morgen schon wieder verlieren, dann ist dieses Stadtfest hier vorbei. Dann könnt ihr als Erstes die Feuerwehr rufen.»

Feindbild Nummer eins ist zurzeit Sportchef René Weiler («Arrogant!» «Falsch eingekauft!»). Vorher war es - neben dem heftig umstrittenen früheren Trainer Heinz Peischl - Präsident Dieter Fröhlich. Am schnellsten entlassen wird jedoch Trainer Rolf Fringer werden. Ob das Präsidium (zumindest Sportchef Weiler) seinen Rausschmiss überleben würde, ist nach Jahren sportlicher Tristesse und vor allem aufgrund des massiven Drucks der neuen Stadionbetreiber und von Supersponsor Oehler zu bezweifeln. Der Sieg am Samstag gab dem Vorstand und dem Trainer einen Aufschub. Man hofft jetzt auf einen Sieg gegen den verunsicherten FC Sion, der am Sonntag gegen den FC Zürich 0:5 unterging. Denn trotz der ersten Punkte liegt der FC St. Gallen nach wie vor auf dem letzten Platz. Im Winter soll in Sankt Gallen die Lage (am liebsten nach wie vor mit Fringer als Trainer) analysiert werden.

Oehler for President!

Es gibt Stimmen, die sagen, der Ein-bisschen-Fan Edgar Oehler werde früher oder später den FC St. Gallen übernehmen. Er habe zwar keine Ahnung von Fussball, doch habe er sowieso das Gefühl, dass dies nicht zwingend nötig sei, da ein FC, so Oehler, wie eine normale Firma zu führen sei. Und davon wiederum hat er eine Ahnung. Also hopp! Wie bei seiner eigenen Karriere: Vom Vater bekam er zum HSG-Studium einen Porsche geschenkt, dann, kaum zum Studium raus, eröffnete er mithilfe des Vaters ein Gipsergeschäft, später wurde er von Kurt Furgler zum Chefredaktor der katholischen «Ostschweiz» gemacht (obwohl er vorher noch nie Journalist war). Er schrieb Leitartikel für den freien Markt und für den Papst und für Pinochet, er war 24 Jahre lang CVP-Nationalrat - und dann übernahm er die Arbonia-Forster-Gruppe. Dort sitzt er jetzt, der grösste Unternehmer der Region, ein Chrampfer, wie er selbst sagt, der nicht still sitzen kann, einer, der kauft und kauft, kürzlich das Hotel Frohsinn in Arbon zum Beispiel, und die Lokalzeitung schrieb: «Auch hier sorgt Edgar Oehler für klare Verhältnisse.» Und die serbelnden Pizolbahnen und die Steinacher Surface Technologies International und den Türenhersteller RWD Schlatter und die Bodenseeflotte kaufte er auch, und jetzt auch irgendwie den FC, und er hat Fabriken in Tschechien und in China und in den USA. Der Mann ist in der Ostschweiz ein Heiliger, seine Stimme wird gehört, auch wenn er mal nicht weiss, wovon er gerade redet.

Oehler hat sich auf den nahenden Ruhestand erheblichen Einfluss im grossen Ostschweizer Fussballklub gekauft. Seine öffentlichen Misstrauensvoten gegen die Vereinsführung zeigen, in welch mächtiger Position er sich als Geldgeber sieht. Ob sie in den Anhängerkreisen goutiert werden? Ob sie dem Klub in dieser heiklen Situation in irgendeiner Weise nützen oder doch bloss schaden? Die Loge neben seinem alten Förderer, dem ewigen Saisonkartenbesitzer und FC-St.-Gallen-Fan Kurt Furgler, ist Oehler jedoch so oder so garantiert. Stellt sich bloss noch die Frage, was auf dem Logenschild stehen wird: Sponsor? Präsident? Schlächter?

Hätte Oehler wie sein Förderer Kurt Furgler bereits früher die Spiele des FC St. Gallen genauer verfolgt, wäre ihm vielleicht klar geworden, dass sich der Fussball des FC St. Gallen in den letzten hundert Jahren nur sehr selten als überregionaler Leuchtturm eignete. Und so hätte ihn die aktuelle (in der Vergangenheit oft erlebte) Misere nicht derart hysterisch aus der Fassung gebracht. Ein Engagement beim FC St. Gallen macht alle UnterstützerInnen mehr oder weniger gleich. Das verbindende Element heisst Leiden.