Energieverbrauch im Internet: Strom aus der Dose: Die Leibspeise der virtuellen Welt

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Effizienz ist eines der obersten Gebote auf dem Weg in eine nachhaltige Zivilisation. Ist die Informationstechnik wesentlicher Teil des Problems - oder doch eher die Lösung?

Zukunftsexperten hauen mit ihren Prognosen des Öfteren daneben. Ein Klassiker war die Mär vom «papierlosen Büro», die das amerikanische Nachrichtenmagazin «Newsweek» bereits 1975 erstmals verbreitete. Die Erwartung, das digitale Zeitalter werde zur Entstofflichung von Medien und Wirtschaft beitragen und so die Umwelt entlasten, hat sich als grundsätzlich falsch erwiesen. Die Informationstechnik beschleunigte die Globalisierung mit ihren gewaltigen Güter- und Rohstoffströmen, wodurch wiederum mehr Informationstechnik benötigt und die explosionsartige Ausbreitung des Internets vorangetrieben wurde.

Entstanden ist eine weltumspannende Datenmaschine, die die globale Wirtschaft lenkt und eine Milliarde Internetnutzer mit Informationen und Unterhaltung versorgt. Inzwischen ist klar, dass diese Datenmaschine selbst immer mehr Teil des Umweltproblems wird. Eine Suchanfrage bei Google verbraucht innerhalb von Sekundenbruchteilen so viel Strom wie eine 10-Watt-Energiesparbirne in einer halben Stunde. Das passiert 1,2 Milliarden Mal am Tag. Das Internetauktionshaus Ebay benötigt zur Abwicklung einer siebentägigen Auktion immerhin die Energiemenge einer 20-Watt-Glühbirne, die eineinhalb Stunden brennt. Derzeit finden zu einem beliebigen Zeitpunkt rund hundert Millionen Auktionen parallel statt.

Diese eine Netzwerk-«Maschine» fresse zurzeit über fünf Prozent unserer Elektrizität, hat der US-Autor und Internet-Experte Kevin Kelly kürzlich ausgerechnet - pro Jahr 868 Terawattstunden weltweit. Das entspricht dem 92-fachen dessen, was das grösste Schweizer AKW in Leibstadt produziert. Vor allem aber bedeutet das: Die Datenströme, die in Unternehmen und Privathaushalten bewegt werden, verursachen jährliche Emissionen von 520 Millionen Tonnen Kohlendioxid, etwa 1,6 Prozent des weltweiten Ausstosses.

Die Industrie wacht auf

Die gute Nachricht: Die IT-Industrie ist aufgewacht. Jahrelang ging es nur darum, mit immer schnelleren neuen Computern noch mehr Rechenpower bereitzustellen. Doch die hat einen Preis, der nicht länger als nebensächlich verbucht werden kann. Für jeden Dollar, der in neue Hardware investiert wird, fallen bereits fünfzig Cent Stromkosten an. Inzwischen galoppieren diese den Anschaffungskosten davon: Das Marktforschungsunternehmen IDC schätzt, dass sie achtmal so schnell wachsen wie die Investitionen in die Hardware.

Das war zwar schon seit längerem abzusehen. Aber es bedurfte erst der neu aufgeflammten Klimadebatte, damit sich etwas bewegt. Nun haben die ersten IT-Dienstleister begonnen, die Technik systematisch auf Einsparpotenziale hin abzuklopfen. Und dabei zeigte sich: Die grossen Computerparks haben bislang alles andere als effizient gearbeitet.

Wie eine Analyse des Netzwerkausrüsters Cisco im Mai ergab, sind in einem typischen Rechenzentrum die Speicher nur zu einem knappen Drittel, die Server - also die Hauptrechner eines Netzwerks - gar nur zu einem Siebtel ausgelastet. Dagegen hilft das, was in der Branche als «Virtualisierung» bezeichnet wird: Anstatt für diverse Datendienste jeweils eigene Recheneinheiten laufen zu lassen, fasst man mehrere Dienste auf einem Gerät zusammen. Es ist gewissermassen das Analogon zum sogenannten Car-Pooling, das inzwischen manche Metropolen zur Entlastung des Berufsverkehrs nutzen: Voll besetzte Wagen bekommen den Vorzug vor allein fahrenden Pendlern. Laut Cisco könnten so, zusammen mit einer effizienteren Nutzung der Netzwerkverbindungen selbst, bis zu 85 Prozent Energie gespart werden.

Damit ist die Effizienzschraube aber noch nicht voll angezogen, wie das Beispiel des deutschen Internetproviders Strato zeigt. Auf der Ebene der Prozessoren seien bei bestimmten Servertypen Stromeinsparungen von bis zu neunzig Prozent möglich, rechnet der Vorstandsvorsitzende Damian Schmidt vor. Zudem könnten dank eines neu konzipierten Systems zur Raumbelüftung in den Rechenzentren des Providers zwanzig Prozent der Kühlenergie eingespart werden. Zu diesem Zweck wird nicht mehr der ganze Raum gekühlt, sondern nur ein Teil der Gänge zwischen den Regalen, in denen sich die Server befinden. Die Luftzirkulation aufgrund des Temperaturunterschieds lässt die wärmere Luft in den anderen Gängen nach oben steigen und zieht die gekühlte Luft nach - es muss also nicht gleich die ganze Halle in einen Kühlschrank verwandelt werden.

Rechner ohne CO2-Ausstoss

Die erste Ausbeute ist beachtlich: «Wir haben in den letzten achtzehn Monaten in unseren Rechenzentren eine Einsparung von dreissig Prozent geschafft», sagt Schmidt. Und fügt mit Nachdruck hinzu: «Wenn wir das können, kann das jeder Anbieter, der sich Gedanken darüber macht.» Für Aufmerksamkeit in der Branche hat auch die Ankündigung des Providers gesorgt, ab 2008 ausschliesslich Strom aus erneuerbaren Energiequellen beziehen zu wollen. Geliefert werden soll er von der NaturEnergie AG, die am Hochrhein mehrere Wasserkraftwerke betreibt. Dann würden die 30 000 Server des Providers weitgehend CO2-frei arbeiten.

Ähnliche Pläne gibt es beim Zürcher Provider Nine Internet Solutions. Hier arbeitet man mit Myclimate zusammen, dem grössten Schweizer Anbieter von CO2-Kompensation. Die jährlich 70 Tonnen CO2-Emissionen, von denen 65 Tonnen beim Serverbetrieb anfallen, würden durch Klimaschutzprojekte in der Schweiz neutralisiert, sagt Geschäftsführer Philip Koch. «Wir sind das erste Schweizer IT-Unternehmen, das klimaneutral zertifiziert ist.»

Strato-Chef Damian Schmidt hält Kompensieren allerdings nicht für den richtigen Weg: «Das führt zu einer gewissen Schläfrigkeit der Unternehmen.» Besser sei es, wenn der Klimaschutz von den Anbietern gleich ins Produkt integriert werde. Ohnehin ist die CO2-Kompensation nicht unumstritten: Bislang fehlt ein einheitlicher Standard, um die Wirksamkeit verschiedener Klimaschutzprojekte zu vergleichen, und zum Teil krude Kompensationsumrechnungen können dazu führen, dass unter dem Strich sogar mehr CO2 emittiert wird (siehe WOZ Nr. 14/07).

Der Sinneswandel der IT-Industrie gibt zwar Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Allerdings: Der dickste Energiebatzen liegt bei den NutzerInnen. Sechzig Prozent des Energieverbrauchs der digitalen Weltmaschine entfallen auf Endgeräte wie Monitore, Drucker und PCs. Das liegt vor allem daran, dass etliche Millionen von ihnen rund um die Uhr eingeschaltet bleiben. Kein Mensch würde seinen Wasserhahn den ganzen Tag aufgedreht lassen, nur um zwischendurch mal einen Wasserkocher zu füllen - in der digitalen Welt ist diese «Always on»-Mentalität jedoch der Normalfall. Zwar verfügen heutige Rechner über Energiespareinstellungen und Zeitschaltungen, doch die wenigsten NutzerInnen dürften diesen im Gestrüpp ihres Computerbetriebssystems schon begegnet sein.

Beim Kühlschrank ist man schlauer

Das zweite Problem: Für IT-Geräte gibt es derzeit noch keine abgestuften Kennzeichnungen zur Energieeffizienz, wie sie etwa bei Kühlschränken seit langem üblich sind. Die 2005 verabschiedete Ökodesignrichtlinie der EU könnte das ändern - doch die für eine Umsetzung nötigen Studien sind zum Teil noch nicht einmal angelaufen. Mit aussagekräftigen Effizienzlabeln für Computer ist frühestens in zwei Jahren zu rechnen.

Doch selbst wenn sich das neue Umweltbewusstsein bei IT-Dienstleistern und -Nutzern zügig durchsetzt: Das hübsche kleine Energiemonster, zu dem sich die digitale Infrastruktur entwickelt hat, ist noch lange nicht ausgewachsen. Denn die nächste Stufe des Internets, die nach Ansicht von ExpertInnen gerade in virtuellen Welten wie Second Life entsteht, wird noch mehr Rechnerparks und noch bessere PCs erfordern, die die immer realistischeren 3D-Ansichten bewältigen können.

Der US-Journalist Nicholas Carr hat vor einiger Zeit abgeschätzt, wie viel Energie ein sogenannter Avatar in Second Life - die Figur, die das Alter Ego eines Nutzers darstellt - durchschnittlich im Jahr verbraucht. Ergebnis: 195 Kilowattstunden fallen in den Rechnerparks der Betreiberfirma Second Life an, der Löwenanteil von 1557 Kilowattstunden beim Nutzer und im Internet. Das ist mehr als das Dreifache des jährlichen Pro-Kopf-Verbrauchs in Indien und immerhin ein Viertel des entsprechenden Schweizer Wertes.

Dieser Wert wird durch Effizienzsteigerungen sicherlich sinken. Das Dumme ist nur: Es dürfte nicht bei den fünfzig Millionen NutzerInnen bleiben, die sich gegenwärtig - wenn auch nicht alle permanent - als Avatare in diversen virtuellen Welten wie etwa auch Onlinegames tummeln. David Burden von der britischen Softwarefirma Daden geht in seiner kürzlich erschienenen Trendprognose zu virtuellen Welten davon aus, dass deren «Bevölkerung» bis 2010 auf 500 Millionen, bis 2020 gar auf zwei Milliarden anwachsen könnte.

Das energiesparende E-Mail

Die entscheidende Frage ist deshalb wohl nicht, wie man den Energieverbrauch der digitalen Weltmaschine drosseln kann, sondern wie diese selbst helfen könnte, den sonstigen Energieverbrauch und die weltweiten Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Bislang gibt es keine systematischen Untersuchungen, wie viele Kilowattstunden durch Datendienste bereits eingespart werden - etwa, wenn E-Mails Briefe ersetzen.

Eine erste Vorstellung gibt aber eine Initiative des US-Konzerns Cisco. Der hat nämlich einen ökologischen Ladenhüter reaktiviert, der seit Jahren beschworen wird: Videokonferenzen als Ersatz für Geschäftsreisen. Laut Cisco legen seine über den Globus verteilten MitarbeiterInnen derzeit rund eine Milliarde Flugmeilen pro Jahr zurück. Das Unternehmen schätzt, dass mit dem Einsatz der hauseigenen «TelePresence» etwa zwanzig Prozent der gut zwei Millionen Tonnen Flug-CO2 eingespart werden könnten.

Für seine neue Strategie erntet der Netzwerkriese verhaltenes Lob: «Die Lösungen von Cisco für eine grüne IT sind ein richtiger Weg in Richtung Nachhaltigkeit», urteilt Joachim Lohse, Geschäftsführer des deutschen Öko-Instituts. Sie könnten zum «Modellfall» für einen umfassenderen ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft werden.

Doch wie auch immer man es dreht und wendet: Soll die Informationstechnik im grossen Stil Dienstleistungen, Verkehr und andere Wirtschaftsprozesse effizienter machen, muss sie erst einmal weiterwachsen - und damit auch ihr eigener Energieverbrauch. Wann aber wird dieser von den erzielten Effizienzgewinnen übertroffen? «Der Peak liegt immer fünf bis zehn Jahre vor uns», parodiert Lohse die Expertenmeinungen. Das dürfte, so schätzt er, wohl noch die nächsten dreissig Jahre so bleiben.


Google will CO2-neutral werden

Im Juni hat Google eine Charmeoffensive in Sachen Klima gestartet. Der Internetriese hat angekündigt, bis Ende 2007 klimaneutral zu wirtschaften. Dies will man zunächst in erster Linie mit dem Kauf von Zertifikaten auf dem Kompensationsmarkt erreichen. Längerfristig sollen aber auch Anstrengungen unternommen werden, um die Rechner energieeffizienter zu machen.

Ein Anliegen, das sich nicht nur für die Umwelt rechnet: Google sieht sich rasch steigenden Energiekosten gegenüber - eines ihrer US-amerikanischen Rechenzentren hat die Firma bereits in einen nördlichen Bundesstaat verlegt, vermutlich weil sich so die Kühlkosten für die riesigen Serverräume reduzieren liessen. Ausserdem hat das Unternehmen an seinem Hauptsitz in Kalifornien im Sommer die grösste je von einem Einzelunternehmen in den USA installierte Solarstromanlage in Betrieb genommen. Bis 2012 will man fünfzig Megawatt an erneuerbarer Energie zur Verfügung stellen - das wäre immerhin ein Sechstel des Stroms, den die Google-Server derzeit fressen, um Suchanfragen zu bewältigen.

Doch das Rennen wird fast nicht zu gewinnen sein: Einerseits nimmt die Anzahl Suchanfragen nach wie vor rasch zu und andererseits investiert Google stark in allerlei Webservices, die viel zusätzliche Rechenleistung benötigen.